von Renate Hoffmann
Christian Morgensterns „Nasobēm“ erhält ein Geschwister. Friedfertig, exotisch, vom Wesen her ein wenig phlegmatisch. Alttestamentarisch verbürgt (1. Buch Makkabäer 6,42 bis 6,46). Ansässig seit dem 15. Jahrhundert in Brixen (Bressanone), Südtirol, Domplatz, gotischer Kreuzgang, Arkade 3.
Folgendes hatte sich begeben: Dem Hin und Her im Kriegsgeplänkel zwischen den Seleukidenkönigen Antiochus IV. und Antiochus V. und den aufständischen Israeliten unter Führung des Judas Makkabäus sollte endlich ein Ende gesetzt werden. König Antiochus V., ein noch sehr junger Mann, zog mit dem Feldherrn Lysias und einem großen Heer gen Judäa und auf Jerusalem zu. Seine Armee belief sich auf über hunderttausend (mehr oder weniger) gut gerüsteter Soldaten zu Fuß, zu Pferd und 32 Kriegselefanten dazu. Judas Makkabäus, geübt im verdeckten Kampf, stellte sich nach einigem Zögern der offenen Feldschlacht. Das geschah im Sommer 163 v. Chr. bei Beth-Sacharja. Die Auseinandersetzung verlief heftig und verlustreich.
Als Eleazar, Bruder des Judas, die schwierige Situation erkannte und die Aussichtslosigkeit der Lage ahnte, versuchte er im Alleingang und unter Einsatz seines Lebens, das Blatt zu wenden. Im Kampfgetümmel sah er einen Elefanten, der ob seiner Größe die anderen überragte und prächtigen Schmuck trug. Eleazar vermutete Antiochus, den König, auf ihm. Kurz entschlossen schlug er mit kräftigen Hieben eine Bresche in die feindlichen Reihen, drang zum Elefanten vor, sprang unter ihn und stieß dem Tier die Waffe in den Leib. Der Elefant, tödlich getroffen, brach zusammen und begrub Eleazar unter sich. –
So mutig gedacht und durchgeführt die Tat auch war, sie konnte die Niederlage nicht verhindern. Judas Makkabäus, in Einsicht der Notwendigkeit, zog seine Truppen zurück. Übrigens: Antriochus V. kam erst ein Jahr später zu Tode.
Man kann sich denken, dass Eleazars Elefantenkampf die Gemüter durch die Jahrtausende bewegte und mehrfach, vornehmlich in der sakralen Kunst, aufgegriffen wurde. Besonders bildhaft geschah dies im Kreuzgang des Brixener Doms. Dieses Wunderwerk gotischer Freskenmalerei, unvergleichlich in Farbenpracht und Ausführung und an Geschichten reich, zeigt im Gewölbebogen der dritten Arkade den letzten Kampfmoment des Eleazar. Dargestellt um 1465 vom Meister Leonhard von Brixen und seiner Werkstatt.
In einer düsteren Landschaft mit Andeutung eines Zeltes im Hintergrund (Judas’ Feldlager?) und einem Haufen geharnischter Ritter, steht das Beweisstück. Der Elefant. Ein verwandelter Elefant! Sein großes, dem eines Pferdes ähnliches Auge, blickt treuherzig vom Gewölbe, denn er ahnt nicht, was ihn ereilen wird.
Ohren, gefächert wie Fledermausflügel und ein kurzer dicker Schwanz. Merkmale, die nicht für einen Dickhäuter sprechen. Das eigentliche Problem bleibt allerdings der Rüssel. Wo sollte man ihn anbringen? Gewiss kannte Meister Leonhard Elefanten aus der Schöpfungsgeschichte, doch in Augenschein genommen hatte er sie noch nicht. Man riet ihm, sich an ein Pferd zu halten und ihm elefantenähnlich Attribute beizugeben. Daraufhin setzte der Maler den, wie eine Trompete geschwungenen Rüssel auf den Nasenrücken eines Pferdes. Und ein seltsames Mischwesen entstand. Es sieht verwegen aus. Doch nicht genug. Bei näherem Hinsehen entdeckt man, dass der „Pferdefant“ mit gespaltenen Zehen auf die Welt kam, also ein Paarhufer ist und keine Hufe, sondern Klauen besitzt. Das lässt auf einen Wiederkäuer schließen, was in der Stammesgeschichte einem genetischen Seitensprung gleichkommt. Nun ist die verwandtschaftliche Nähe zum „Nasobēm“ gesichert.
Zurück zum alttestamentarischen Geschehen im Kreuzgang. Das Elekuhpferd trägt, festgezurrt auf seinem Rücken, einen hölzernen Gefechtsturm mit vier bewaffneten Kriegern. In Kürze werden sie zu Boden gehen, denn unter dem Fabeltier liegt bleich, dem Ende nahe, Eleazar. Seine Lanze wird diesen Augenblick das Elekuhpferd durchbohren und er selbst ins Jenseits hinübergleiten.
Etwa hundert Jahre nach der schaurig-schönen Bilderzählung, treibt man einen echten Elefanten durch die Stadt Brixen. Ein Geschenk des portugiesischen Königs Johann III. an den Erzherzog Maximilian von Österreich in Wien. Aber da war Meister Leonhard längst tot. Doch sein Elekuhpferd lebt.
„Auf seinen Nasen schreitet
einher das Nasobēm,
von seinem Kind begleitet.
Es steht noch nicht im Brehm.“
Doch nunmehr steht danem
sein Neffe, hocherfreut.
Denn dieser fand bequem
den Anschluss hier auf Zeit.
Die Zwei beschreiten samt dem Kind
den Weg vollkommner Harmonie
einträchtig, wie sie nun mal sind.
Das sah selbst Christian noch nie.
Auf seinen Nasen schreitet
seither das Nasobēm,
vom Elekuhpferd sanft begleitet,
führn sie zu Dritt ein schönes Lem.“
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