von Sarcasticus
Dass die Entwicklung und Beschaffung der in Dienst befindlichen fünf Korvetten vom Typ K 130 der Bundesmarine eine milliardenschwere Posse war und die Schiffe auch nach ihrer um 54 Monate verspäteten und 120 Millionen Euro teureren Auslieferung reichlich Stoff für die Rubrik „Pleiten, Pech und Pannen“ lieferten, war bereits wiederholt Gegenstand in diesem Magazin. Bei sämtlichen Schiffen mussten unter anderem die Getriebe komplett ausgetauscht werden. Das war bei der zu dünnen Außenhaut nicht möglich; die nimmt schon bei Kontakt mit der Pier Schaden, unterschreitet beim Entfernen von Rost schnell die Mindestdicke und ist insgesamt bis zum heutigen Tage daher höchst reparaturanfällig.
Damit nun aber die Frage gar nicht erst auftaucht, ob der Autor diesen alten Kohl etwa deswegen wieder aufwärmt, weil ihm nichts Neues mehr einfällt, sei gleich hier verraten, dass die Realität immer noch die besten Satiren liefert – in diesem Fall in Gestalt von weiteren fünf Korvetten K 130, deren Beschaffung zwei gewiefte Bundestagsabgeordnete dem BMVg so geschickt untergejubelt haben, dass die Sache schon fast geritzt ist. Einschließlich der Bereitstellung von 1,5 Milliarden Euro dafür.
Doch der Reihe nach.
Das erste Rüstungsgroßprojekt, bei dem Ursula von der Leyen auftretende Schwierigkeiten keinem ihrer Vorgänger mehr anlasten kann, ist die Entwicklung des neuen Mehrzweckkampfschiffes (MKS) 180. Die Ausschreibung fand im vergangenen Jahr statt – erstmals nach den veränderten Grundsätzen des von ihr grundlegend umgekrempelten Rüstungsbeschaffungsmanagements. Mangelnder Transparenz, inkompetenten Vertragsabschlüssen mit der Wirtschaft und den üblichen Mauscheleien, wenn wieder etwas schief gegangen war, sollte der Boden entzogen werden, um Pleiten wie die mit den Korvetten (oder der Fregatte 125 oder dem Kampfhubschrauber Tiger oder dem Militärairbus A400 oder …) künftig möglichst zu vermeiden.
Der Vorsatz war richtig, doch mit der Umsetzung scheint es zu hapern. Die erste Hiobsbotschaft zum MKS 180 jedenfalls, der monatelanges Gemunkel vorausgegangen war, fand sich Anfang Oktober vergangenen Jahres in einem Schreiben von Markus Grüber, Staatssekretär im Wehrressort, mit dem er den Bundestag darüber informierte, dass ein „endverhandelter Vertrag“ über den Bau von vier Schiffen erst Ende 2017 vorliegen werde, „rund ein halbes Jahr später als geplant“. Ob das damit zu tun hat, dass die Ausschreibungsunterlagen nach diversen Nachbesserungen der Wehrverwaltung auf inzwischen 5000 Seiten angeschwollen sind, darf vermutet werden. Klar ist aber bereits jetzt, dass die für 2023 vorgesehene Auslieferung des ersten Schiffes nicht zu halten sein wird.
Zugleich operiert die von einst 200 auf kaum mehr 50 schwimmende Einheiten verzwergte Bundesmarine aufgrund diverser Missionen fern der Heimat – „Atalanta“ (gegen Piraten am Horn von Afrika), „Unifil“ (Ausbildung libanesischer Seestreitkräfte) , „Sophia“ (Seenotrettung vor Libyen), „Counter Daesh“ (Eskorte für einen französischen Flugzeugträger) plus eine Überwachungsmission in der Ägäis – schon seit längerem erkennbar an ihren Kapazitätsgrenzen. Das war auch ein maßgeblicher Grund für den schon einige Jahre zurückliegenden Regierungsentscheid, bis zu sechs MKS 180 zu beschaffen: Fregatten mit einem Landeplatz für Hubschrauber und ausreichend Raum, um auch Spezialeinsatzkräfte an Bord zu nehmen.
Die Lösung für die nunmehr zu verzeichnende Gemengelage aus Verzögerung beim MKS 180 und Kapazitätsproblemen der Bundesmarine erfanden zwei Bundestagsabgeordnete, Eckhardt Rehberg (MdB-CDU) aus Mecklenburg-Vorpommern und der Hamburger Johannes Kahrs (MdB-SPD): Statt verzögerter MKS 180 solle die Bundesmarine zunächst schnellstmöglich fünf weitere Korvetten erhalten. Die müssten auch nicht erst aufwendig entwickelt, sondern könnten einfach nachgebaut werden – Typ K 130. Als Folgebestellung wäre zudem nicht einmal ein zeitaufwändiges Ausschreibungsverfahren erforderlich. Schon 2019 könnten die Schiffe daher zur Verfügung stehen.
Ein brillanter Vorschlag also, könnte man versucht sein zu meinen.
Allenfalls verwundert, dass da nicht schon früher jemand drauf gekommen ist:
- Vielleicht ja deshalb nicht, weil eine Beschaffung weiterer K 130 ohne Ausschreibung nur als baugleiche Neuproduktion möglich wäre, also quasi samt solcher Macken wie der zu dünnen Außenhaut, und weil ein bloßer Nachbau allein deswegen nicht infrage käme. Von weiteren Petitessen ganz abgesehen. Wie zum Beispiel von dem Sachverhalt, dass sich seit dem Stapellauf der ersten K 130 das vorgeschriebene Maß für die Betten der Besatzung geändert hat. Sollten ein Neubau weiterhin über 65 Kojen verfügen, müsste das Schiff heute verlängert werden …
- Vielleicht ja auch nicht, weil die Bundesmarine bereits derzeit Schwierigkeiten hat, qualifizierten und ausreichend qualifizierungsfähigen Nachwuchs zu rekrutieren, und weil deshalb völlig unklar ist, woher zusätzlich etwa 1000 Mann Personal für die fünf Schiffe mit gegebenenfalls jeweils doppelter Besatzung für möglichst lange Standzeiten in fernen Einsatzgebieten kommen sollten. Und wie diese auf Dauer zu finanzieren wären.
- Vielleicht ja des Weiteren nicht, weil Rehberg und Kahrs nicht nur nicht dem Verteidigungsausschuss des Bundestages angehören, von dem man qua Funktion eine solche Initiative erwarten würde, sondern vielmehr ihre Abgeordnetenkollegen aus diesem Ausschuss durch Ausschluss von ihrem Vorhaben brüskierten.
- Und vielleicht ja nicht zuletzt deshalb nicht, weil der Idee eben gar kein militärischer, sondern Sachverstand ganz anderer Art zugrunde liegt: Rehberg brachte die zusätzlichen Korvetten als erster ins Gespräch, denn, so sagen böse Zungen, die Schiffe würden an der Küste seines Heimatlandes, in Warnemünde, ihren Standort haben. (Rehberg soll sich des Segens von höchster Stelle versichert haben. Angela Merkels Wahlkreis grenzt genau an den seinen.) Auch Kahrs war als rasch Verbündeter gewonnen; in seinem Wahlkreis sitzt die zur Lürssen-Gruppe gehörige Großwerft Blohm + Voss, die federführend beim Bau der ersten K 130 war.
Nicht von Schaden beim Promoten des Projektes war im Übrigen, dass beide, Rehberg und Kahrs, dem Haushaltsausschuss des Bundestages angehören, der entscheidenden Schaltstelle also, wenn es darum geht, große Summen im Wehretat umzuwidmen und beim Finanzminister weitere locker zu machen. Letzteres soll dem Vernehmen nach bei Wolfgang Schäuble bereits gelungen sein. Und auch Ursula von der Leyen ließ sich gewinnen. Ein störungsfreies Verhältnis zum Haushaltsausschuss hat einem Bundesverteidigungsminister noch nie geschadet, wenn es darum geht, eigene Präferenzprojekte durchzubringen …
Mittlerweile hat der Rehberg-Kahrs-Coup für reichlich Ärger gesorgt. Selbst Parteifreunde der Hauptinitiatoren, etwa aus dem Verteidigungsausschuss, legten kritische Distanz an den Tag und beklagten das „unvorbereitete, hektische“ Vorgehen.
Dass führende Militärs sich derzeit in Loyalität zu ihrer Ministerin und in Schadensbegrenzung üben, indem sie erklären, dass schon lange feststehe, dass die neuen Korvetten benötigt würden, ist verständlich. Nur leider ist aktenkundig, was der Generalinspekteur der Bundesmarine, Volker Wieker, im Juni 2015 in vertraulicher Sitzung dem Verteidigungsausschuss des Bundestages mitgeteilt hatte: Die Fregatten MKS 180 würden so multifunktional ausgelegt, dass weitere Korvetten K 130 „nicht mehr notwendig“ seien. Und folgerichtig war noch im März 2016 von den Korvetten keine Rede, als die Ministerin eine Liste mit Rüstungsprojekten über 130 Milliarden Euro für die nächsten Jahre präsentierte.
Woher in den Folgemonaten dann plötzlich doch ein zusätzlicher militärischer Bedarf aufgetaucht sein soll, hat das BMVg bisher nicht schlüssig zu erklären vermocht. So hat sich der Verdacht erhärtet, dass, wie es Tobias Lindner, ein Haushaltsexperte der Grünen, formulierte, „die Korvettenbeschaffung in Wirklichkeit mehr ein großes Subventionsprogramm für die deutsche Werftindustrie darstellt“.
Harsch urteilte auch Volker Rühe, der als Verteidigungsminister vor über 20 Jahren das K 130-Projekt anschob: „Wir brauchen keinen Nachbau alter Korvetten. Wir brauchen Schiffe für die Zukunft.“
Und Agnieszka Brugger, Verteidigungsexpertin der Grünen im Bundestag, stellte der verantwortlichen Ministerin folgendes Zwischenzeugnis aus: „Der […] Korvettendeal zeigt, dass es im Rüstungsbereich unter Frau von der Leyen genauso chaotisch und industriepolitisch motiviert weitergeht wie unter ihren Vorgängern auch.“
Im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattung soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass dem Rehberg-Kahrs-Coup auch Anerkennung zuteilwurde: Von einem „Husarenstreich der Küsten-Gang“ sprach ein SPD-Parlamentarier. Der ist offenbar aus einem ähnlichen Holze geschnitzt wie die Kollegen Rehberg und Kahrs.
Schlagwörter: Bundesmarine, Fregatte, Korvetten, Rüstung, Rüstungsbeschaffung, Sarcasticus, Ursula von der Leyen