von Clemens Fischer
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Allein der Soundtrack (von Nick Cave und Warren Ellis) dieses Neo-Westerns ist das ganze Eintrittsgeld wert!
Die Geschichte als solche hat man in dieser oder jener Form schon gesehen: Böse Bank geht (mindestens im übertragenen Sinne) über Leichen – ohne Rücksicht auf die Verluste der Betroffenen oder besser: je höher deren Verluste, desto fetter die Profite der Bank. Bis die Betroffenen sich wehren und in bekannter David-gegen-Goliath-Manier den Spieß umdrehen.
Die Sympathien sind bei solcher Konstellation eindeutig verteilt, auch wenn das Bürgerliche Gesetzbuch und vergleichbare Kodizes, um den Gebeutelten zu ihrem Recht zu verhelfen, dabei zwangsläufig auf der Strecke bleiben müssen.
Bei Bernhard Sinkel wurde daraus schon vor über 40 Jahren „Lina Braake oder Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat“ (1974) – mit der unvergesslichen Lina Carstens in der Hauptrolle und dem insbesondere Edgar-Wallace-Fans in gänsehäutiger Erinnerung gebliebenen Fritz Rasp als ihrem Partner.
Gut, das war in einem anderen Leben. Andererseits hat der Background der Geschichte, das kapitalistische Wirtschaftssystem, jedoch nicht nur überdauert, sondern ist heute wieder sehr viel mehr bei sich selbst als seinerzeit. Daher kommt für eine zeitgemäße Neu-Erzählung des Konstrukts – und zumal eine in Texas angesiedelte – wie „Hell or High Water“ (zu Deutsch etwa: „Komme, was da wolle.“) Lina Brakes unterschwelliges Credo „Keine Gewalt gegen Personen und möglichst auch nicht gegen Sachen!“ kaum mehr infrage.
Eher das Gegenteil. So viel immerhin darf hier verraten werden.
Ansonsten kommen Liebhaber der lakonischen Machart im Stil der Gebrüder Coen durchaus auf ihre Kosten, auch mit angenehm weniger zelebriertem Gemetzel als etwa in deren „No Country for Old Men“.
Jeff Bridges gibt einen herrlich abgeklärten, mit allen Hunden gehetzten Texas-Ranger kurz vor der Pensionierung, dem niemand, auch kein ebenso gewiefter wie sympathischer Krimineller, mehr etwas vormachen und der überdies auf ein offenbar unerschöpfliches Füllhorn an political incorrectness zurückgreifen kann. Wer sich nach Bridges‘ Auftritt in „True Grit“ auf weitere Altersrollen des Mimen gefreut hatte, der hatte sich keinesfalls zu früh gefreut!
„Hell or High Water“, Regie: David Mackenzie. Derzeit in den Kinos.
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Die rassisch und politisch motivierte, in den KZs teils mit industriellen Methoden betriebene massenhafte Menschenvernichtung durch das faschistische Deutschland wird seit langem üblicherweise Holocaust genannt, womit die nichtjüdischen Opfergruppen in der Regel ausgeklammert bleiben. Darunter Millionen sowjetischer Kriegsgefangener sowie die wie die Juden zur Ausrottung bestimmten Sinti und Roma, aber auch zahllose geistig oder körperlich Behinderte, Homosexuelle und andere.
Mit dem Thema des Holocaust hat sich Chris Kraus, Drehbuch und Regie des Mitte Januar angelaufenen Films „Die Blumen von gestern“, nach eigenem Bekunden seit mehr als fünfzehn Jahren befasst. Seit er herausgefunden hatte, dass sein Großvater Mitglied der SS-Einsatzgruppen war.
Zur Erinnerung: Diese Einsatzgruppen – zusammen kaum mehr als 3000 Mann –waren auf direkten Befehl von SS-Chef Himmler gebildet worden, um Massenmorde in Gebieten unmittelbar nach deren Eroberung durch die deutsche Wehrmacht zu organisieren und zu exekutieren, vor allem durch Erschießungen und den Einsatz von Gaswagen, wobei sie zur unmittelbaren Ausführung auf Wehrmachts- und Polizeieinheiten sowie einheimische Hilfswillige zurückgreifen konnten. Solche Einsatzgruppen agierten insbesondere in Polen, auf dem Balkan und in der Sowjetunion. Bereits ab September 1939 sorgten sie für die Ermordung von 60.000 Angehörigen polnischer Eliten, darunter etwa 7000 Juden. Das Massaker von Babi Jar bei Kiew vom 29. und 30. September 1941 mit über 30.000 ermordeten Juden geht auf ihr Konto. Insgesamt ermordeten die Einsatzgruppen Schätzungen zufolge etwa zwei Millionen Menschen.
Soweit zum Hintergrund des Films, dem auf einer einschlägigen Kino-Website kurzer- und unkundigerhand das Etikett „Historien-Komödie“ verpasst worden ist. (Also vergleichbar etwa der belanglosen DEFA-Schmonzette „Hauptmann Florian von der Mühle“ von 1968, an die zu erinnern einzig ihr Hauptdarsteller rechtfertigt: ein fast noch blutjunger Manfred Krug.)
„Wenn jemand fünfmal versucht, sich das Leben zu nehmen, und das klappt nicht, dann muss es dafür doch einen Grund geben.“ Sagt der Protagonist dieses Streifens (Lars Eidinger als Holocaust-Forscher Totila Blumen) zur Protagonistin (Adele Haenel als französische Praktikantin Zazie). Er sagt es unmittelbar nach deren fünftem Mal. Und dieser Spruch streift noch nicht einmal ansatzweise die teils schockierenden Sequenzen, die Kraus dieses Mal aus seinem Sujet destilliert hat. Die drehen sich vor allem darum, wie hierzulande mit dem Holocaust umgegangen wird – bei Kraus am Beispiel eines zwangsneurotischen Wissenschaftlers, interessengeleiteter Bürokraten, von Nachfahren von Opfern und Tätern sowie des Vertreters eines namhaften deutschen Konzerne mit einschlägiger brauner Vergangenheit und einschlägigem Stern im Logo. Und nicht zuletzt am Beispiel einer schrillen Überlebenden. (Die 2016 verstorbene Burg-Schauspielerin Sigrid Marquardt gibt die Diva Tara Rubinstein.)
Totila Blumen – der Titel des Films spielt auf seinen Familiennamen an – ist der Enkel eines SS-Mörders, der in Riga auf ein deutsches Gymnasium ging und später dort alle Juden unter seinen Mitschülern ermordete; darunter Zazies Großmutter, die mit ihm noch dazu in eine Klasse ging. Wie die anfängliche Konfrontation der beiden Enkel sich durch ihre – seitens Blumen völlig unfreiwillige, ihm von oben aufgenötigte – Zusammenarbeit wider Willen zum Liebesverhältnis entwickelt und dann doch nicht von Dauer ist, das hat Momente, die so entsetzlich komisch sind, dass dem Zuschauer das Lachen im Halse stecken bleibt. Das gilt auch für die Auftritte der Diva Rubinstein.
Ein Teil der Kritik hat den Film glatt verrissen – „Chris Kraus versucht sich […] an einer Komödie […] und scheitert kläglich.“ (FAZ); „schwer daneben gegriffen“ (Spiegel); der Film führe „nichts anderes im Schilde […], als Völkermord-Pointen zu platzieren […] ein technischer Totalausfall“ (Berliner Zeitung). Lediglich Martin Schickert (Zeit Online) befand, dass Kraus‘ Dialoge „von fast schon Woody Allen’scher Brillanz und Schnelligkeit“ seien.
Woran sich Kraus „versucht“ hat, wäre übrigens allenfalls Tragikomödie zu nennen – mit Zügen von Groteske und Farce. Letztere so zugespitzt, dass sie den Vergleich zu Edgar Hilsenraths konsequent makabrer Satire „Der Nazi & der Friseur“ nicht zu scheuen brauchen. Und vielleicht gerade deshalb provoziert der Film durchaus eine solche Antinomie im Urteil, wie sie in den obigen Zitaten zum Ausdruck kommt. Das des Zuschauers mag möglicherweise sogar beide Pole einschließen oder noch ganz anders ausfallen. Der Rezensent jedenfalls sagt für sich: „Die Blumen von gestern“ wird ihm in ähnlich dauerhafter Erinnerung bleiben wie frühere Filme von Kraus – so „4 Minuten“ (2006) und „Poll“ (2010), bei denen er neben der Regie ebenfalls für die Drehbücher verantwortlich gezeichnet hatte. Seinen Platz im cineastischen Olymp des Rezensenten hatte er da jedoch bereits sicher – für sein Drehbuch für „Basta. Rotwein oder tot sein“ (2004). Denn selbst wenn das Genre der rabenschwarzen Gangsterkomödie nur aus diesem einen Streifen bestände, dann wäre das zwar bedauerlich, doch das Genre wäre begründet …
„Die Blumen von gestern“, Regie: Chris Kraus. Derzeit in den Kinos.
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Es dürfte sich unter Kinogängerinnen bereits herumgesprochen haben, dass „Allied – Vertraute Fremde“ mit einem ganz besonderen Eyecatcher aufwartet: den in einer passenden Bettszene präsentierten nackten Pobacken von Brad Pitt. Gleichwohl sei vor überzogenen Erwartungen gewarnt, denn das Ganze währt nur einen halben Augenblick.
Ansonsten hat Regisseur Robert Zemeckis seiner wahrlich nicht unbeeindruckenden Filmografie (unter anderem: „Zurück in die Zukunft I – III“, „Falsches Spiel mit Roger Rabitt“, „Forest Gump“, „Contact“) ein Werk hinzugefügt, das nicht unbedingt als eines seiner stärksten in die Annalen eingehen dürfte. Und das liegt am unübersehbaren Bestreben Zemeckis‘, vom Mythos „Casablanca“ zu zehren – der erste Teil seines Films spielt auch dort und weitere Anleihen im Detail (wie etwa die Rolle der Marseillaise in der Handlung) sind nicht zu übersehen –, ohne ihm aber wirklich das Wasser reichen zu können. Zwar breitet Zemeckis seinen Plot in der wohltuend altertümlichen Erzählweise und Bildsprache der 1940er und 1950er Jahre aus, entgeht jedoch zugleich nicht der Versuchung, das Ganze immer wieder mit Computer generierten Spezialeffekten aufzupeppen. Vor allem jedoch hatte er keine Hauptdarsteller wie weiland Michael Curtiz: Zwischen Ingrid Bergmann und Humphrey Bogart passierte auf der Leinwand etwas, das den Zuschauern bis heute an die Seele greift. Im Vergleich dazu hat das Zusammentreffen von Marion Cotillard und Pitt bei Zemeckis die Ausstrahlung eines Röhrchens Veronal neben einem frisch bestückten Eisschrank. Um ein Bild aus der Zeit zu bemühen.
Ohne den Vergleich mit „Casablanca“ kann Zemeckis im Übrigen durchaus bescheinigt werden, einen Ausstattungsfilm – üppig und bis ins Detail stimmig: die Kulissen und Kostüme – mit einer leidlich spannenden Geschichte um eine Geheimoperation, Resistance und Verrat, um Spionage und Gegenspionage mit mehrfach überlagerten Täuschungen und falschen Fährten sowie um eine Liebe geliefert zu haben, die das im Film mit Blick auf Undercoveragenten gesprochene Diktum „Ehen, die im Einsatz geschlossen werden, halten nie.“ schlussendlich bestätigt. Kein happy ending also, und somit noch eine letzte Parallele zu „Casablanca“.
Fazit über alles: Kino sieht man häufig langweiligeres.
„Allied – Vertraute Fremde“, Regie: Robert Zemeckis. Derzeit in den Kinos.
Schlagwörter: Casablanca, Chris Kraus, Clemens Fischer, David Mackenzie, Holocaust, Jeff Bridges, Lars Eidinger, Robert Zemeckis, Western