von Dieter Naumann
Am 1. Juli 1831 hatte die Fürstliche Bade-Direktion von Putbus in den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen Nr. 156 noch beruhigt: Durch die Besetzung der Küsten, das Kreuzen bewaffneter Schiffe und die Tatsache, dass Rügen keine Landeplätze für Schiffe darbiete und keinen auswärtigen Handel betreibe, sei die Insel nach aller Wahrscheinlichkeit weitaus weniger einer Cholera-Ansteckungsgefahr ausgesetzt als andere Gebiete. Ohne Besorgnis könne deshalb die örtliche Badeanstalt besucht werden.
Hintergrund war die in Pommern herrschende, 1826 in Indien ausgebrochene asiatische Cholera. Um die Verbreitung der Krankheit zu verhindern, wurden anfangs Maßnahmen empfohlen, die aus heutiger Sicht skurril erscheinen: So gab es die Auffassung, man könne sich durch Tabakrauchen gegen die Cholera schützen. Das in einigen Städten bestehende Verbot des öffentlichen Rauchens wurde deshalb teilweise aufgehoben oder zumindest wurde seine Umgehung stillschweigend geduldet. Es wurden eigens Räucherungsapparate erfunden und angepriesen, mit denen angeblich schützende Chlor-, Schwefel-, Kampfer- oder Essigdämpfe erzeugt werden konnten und so weiter.
Um ein Einschleppen der Krankheit an den Küsten zu verhindern, hielt man für die aus seuchengefährdeten Gebieten kommenden Schiffsbesatzungen Stationen zur ärztlichen Untersuchung und zur in der Regel 40 (italienisch: quaranta) Tage andauernden Beobachtung und Isolation für notwendig. Außerdem sollten die aus „inficirten“ Ländern und Städten kommenden Waren gereinigt werden. Auf der zum Reddevitzer Höft führenden rügenschen Landzunge zwischen Having und Hagenscher Wiek befand sich eine dieser preußischen Cholera-Quarantänestationen, genannt „Contumaz-Anstalt“ (Contumaz: Absperrung zur Abwehr ansteckender Krankheiten). Weitere kleinere Stationen wurden um Rügen am Gellen auf Hiddensee und auf der Insel Ruden eingerichtet.
Obwohl es Stimmen gab, die sich gegen derartige „Anstalten“ aussprachen, dokumentiert im „Cholera-Archiv“ von 1832, wurde Ende August 1831 mit dem Bau der Quarantäneanlagen am Reddevitzer Höft unter Leitung von Regierungs- und Wasser-Baurat Scabell begonnen. Scabell war zwischen 1818 und 1824 bereits am Bau des Swinemünder Hafens beteiligt.
Lehrer, Heimatkundler und Badedirektor Georg Paries hatte damit eigene Probleme. Er schrieb in seinem 1926 herausgegebenen „Thiessower Heimatbuch“: „Die zu diesem Bau aus allen Gegenden, besonders aus Stettin, hierherkommenden Handwerker und die bei dem Sprengen der Steine und Einrammen der Brückenpfähle arbeitenden Artilleristen und Pioniere, für unmäßigen Tageslohn arbeitend, hatten den übelsten Einfluß auf die Moralität der Mönchguterinnen, die den Nicht-Mönchgutern, besonders den Buntröcken sich ebensowenig abgeneigt bewiesen als früher in den Kriegszeiten.“
Ein Korrespondent des Stralsunder Unterhaltungsblatts Sundine berichtete am 3. November 1831 von einem Besuch der Baustelle und kritisierte zunächst, dass „in unserem so wohl geordneten Staate“ eine derartige Einrichtung bislang fehlte, „weshalb wir … unsere Schiffe bisher für schweres Geld bei fremden Nationen einmiethen mußten“.
Die entstehende Station bezeichnete der Korrespondent als „Riesenbau“; vor allem wenn man vor einer der Brücken stehe (drei von vier waren fertiggestellt) und auf den mit Dampfschiffen, Oderkähnen, Jachten, Baggern und unzähligen Böten „besäeten“ Hafen sehe, glaube man sich im Angesicht des Hafens einer großen Stadt zu befinden. In der Gegenrichtung konnte man die vorläufige Hauptwache „mit Micken (Stellagen – d. A.), Trommelbock und Posten vorʼs Gewehr“ erkennen, außerdem eine lange Reihe Marktbuden, Zelte und Strohbaracken, „acht mächtige zweistöckige Waarenlager, in welche man mit Pferd und Wagen ins obere Stockwerk fahren kann“, tiefe, schön eingefasste Brunnen, drei Krankenhäuser mit je acht Zimmern und – ziemlich entfernt – das große Direktorial-Gebäude, Apotheke, Bäder, Restauration, Provianthaus, Ärztewohnungen, das Kastell, das tempelartige permanente Wachhaus (ein zweites werde noch erbaut) und andere im Entstehen begriffene Gebäude. „Man war gerade auch beschäftigt, das Terrain zum Kirchhofe zu nivelliren.“
Die „Militairarbeiter“, hauptsächlich Pioniere, wurden von „ebenso ausgesucht tüchtigen als humanen Offizieren“ geführt, bei Maurern, Zimmerleuten und Tagelöhnern sorgte der „wachsame Polizei-Chef der Quarantaine, der Pr. Lieut. S.“ mit seiner „hier besonders so hochnöthig strengen Polizei“ für Ordnung. Unregelmäßigkeiten wurden mit Wacharrest, Entlassung oder Übergabe an das Kreisgericht in Bergen geahndet.
Um die Einschleppung der Cholera über See zu verhindern, wurden ab 1831 auch Wachschiffe eingesetzt, die einlaufende Schiffe zu den Quarantänestationen leiten sollten. Vor der Reddevitzer Station kreuzte laut einem 1977 im „Greifswald-Stralsunder Jahrbuch“ veröffentlichten Beitrag das Haffkanonenboot „Danzig“, das 1825 auf der Stralsunder Stadtwerft gebaut worden war und dem vier weitere Schiffe zugeordnet waren. Das holzbeplankte Kanonenboot hatte 17 Seeleute (unter anderem zur Bedienung der 24 Riemen und der Segel) und 40 Soldaten als Besatzung und war mit zwei 24-pfündigen Kanonen, einem 25-pfündigen Mörser sowie zwei 12-pfündigen Karronaden (leichte Kanonen kürzerer Reichweite) bestückt. Zeitweilig diente zur Bewachung auch nur ein mit zwei Seeleuten und zwei Soldaten besetztes Segelboot unter Leitung eines Gendarmerieoffiziers.
„Eben als ich dies couvertiren und absenden wollte“, erfuhr der Korrespondent von einem plötzlichen Todesfall. „Der Gestorbene war ein Zimmergeselle aus Stargard und 63 Jahre alt; er kränkelte seit einiger Zeit und litt am Sterbetage sehr an Zahnschmerz. Nachdem der kranke Zahn ausgezogen, rührt dem Patienten der Schlag und er verscheidet schnell in Anwesenheit des Arztes.“
Der einzige Tote, eben dieser Zimmermann Brehmer, wurde zunächst auf dem zur Station gehörenden Friedhof bestattet und später auf den Friedhof von Middelhagen umgebettet.
Insgesamt hatte die Station 108.000 Taler verschlungen, ohne ihren Zweck zu erfüllen oder einen anderen Nutzen gehabt zu haben. Nachdem sie noch von einem Ober- und vier Unteraufsehern bewacht worden war, erfolgte 1833 der vollständige Abriss:
In einer am 22. Mai 1833 im Amtsblatt der Preußischen Regierung zu Stralsund veröffentlichten Bekanntmachung wurde „in Gemäßheit höherer Verfügung“ der Verkauf von Gebäuden, Materialien und Utensilien am 26. Juni an den Meistbietenden angekündigt. Insgesamt wurden 32 Gebäude und Bauwerke, 13 Positionen Bewehrungen und Materialien sowie diverse Ausrüstungsgegenstände angeboten. Zu den Gebäuden gehörte auch „ein großer Abtritt, 10 Fuß lang, 12 Fuß tief, 7 Fuß hoch, mit 8 Sitzen“, unter den Utensilien waren „4 Spuckkästen, 1 Peitsche, 2 Biergläser, 1 weißer Nachttopf und 5 Schilderhäuser“.
Die für die Station errichtete 397 Fuß lange Lösch- und Ladebrücke wurde vom Fürsten von Putbus aufgekauft, abgerissen, bei Lauterbach 1834 zu der dortigen Verladebrücke verbaut und 1835 gegen ein Brückengeld dem Verkehr übergeben. Die Brücke, deren Länge in der Literatur mit 1100 bis 1500 Fuß angegeben wird (1 Fuß – etwa 30 Zentimeter), überstand die Sturmflut von 1872 nicht und wurde „infolge dessen durch eine Dammschüttung, sowie Neubau eines Brückenkopfes ersetzt“, vermerkte der 1886 herausgegebene Reiseführer von Müller. Teile des übrigen Materials im Wert von 288 Talern gab König Friedrich Wilhelm IV. 1835 zur Wiederherstellung der Kirche von Groß Zicker, die durch einen Blitzschlag beschädigt war.
„Die Insel Rügen. Ein Taschenbuch für Reisende“, resümierte 1844 lakonisch: „Reddevitz, Dorf auf Mönchgut … Auf der Mitte der hierbei befindlichen Erdzunge gl(eichen) N(amens) war 1831 eine Quarantaineanstalt gegen Cholera erbaut, die später nachher wieder weggebrochen wurde.“
Über die Herkunft der Cholera machten sich die Pommern und Rüganer eigene Gedanken. Laut einer mündlich überlieferten Volkssage, gesammelt von Jodocus Donatus Hubertus Temme (1798–1881) und 1840 in der Nicolaischen Buchhandlung Berlin herausgegeben, sollen die Franzosen die Cholera eingeschleppt haben, um das Land entvölkern und wieder gewinnen zu können: Durch das Berliner Tor in Stettin wäre eines Tages ein Mann mit einer großen Kiste gekommen, den die Wache wegen seines auffälligen Verhaltens aufhielt. In der Kiste befanden sich immer kleiner werdende weitere Kisten. In der letzten und kleinsten fand man ein ganz kleines Männchen – „das war der Franzose, der die Cholera in die Stadt bringen sollte“.
1883/84 entdeckt Robert Koch den Cholera-Erreger.
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