von Horst Möller
Eine Arbeit wie „Inside Hitler’s Greece. The Experience of Occupation 1941-1944“ des britischen Historikers Mark Mazower wirkt lange geübter Verdunkelung jüngster Vergangenheit entgegen, auch hierzulande, wo dieses Werk einundzwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung nun in der Übersetzung von Anne Emmert, Jörn Pinnow und Ursel Schäfer vorliegt. Die 1984 am Zentralinstitut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR verteidigte Dissertation Rainer Eckerts zur gleichen Thematik ist erst 1992 im Druck erschienen. Mit seinem Hinweis auf eine Empfehlung Carl Goerdelers aus dem Jahre 1938, die Grenzen Bulgariens auf Kosten Griechenlands nach Süden bis an die Gestade der Ägäis zu verschieben, hatte Eckert deutlich gemacht, dass Nazideutschland durchaus eigene Interessen auf dem Balkan verfolgte und nicht erst durch Mussolini nach dessen Griechenland-Debakel zur Invasion veranlasst werden musste, wie das gängige Meinung war. Dem Nichtwissen über den Zweiten Weltkrieg in Griechenland haben über die Historikerzunft hinaus auch autobiografisch gefärbte Erinnerungen in der Art Erwin Strittmatters nicht abhelfen können.
Mazower geht gleich in der Einleitung zu „Griechenland unter Hitler“ auf ein Filmdokument ein mit den Worten: „Der wohl schaurigste Filmabschnitt zeigt eine Kleinstadt in den Bergen. Obwohl es kaum Anzeichen für Zerstörungen gibt, sind die Straßen merkwürdig leer. Im Schatten der Zypressen gehen mehrere schwarzgekleidete Frauen langsam einen Weg entlang, eine nach der anderen. Aus den Notizen des Kameramanns geht hervor, dass die Bilder in Kalavryta im Norden der Peloponnes entstanden, fast genau ein Jahr nachdem Wehrmachtssoldaten alle Männer der Stadt erschossen hatten“ (am 13. Dezember 1943). Wie erklärt Mazower die grausamen, Kriegsrecht missachtenden Verbrechen, begangen zu einem Zeitpunkt, als das Scheitern der deutschen Militärstrategie längst erkennbar war? Er verweist auf den Einfluss der NS-Propaganda und konstatiert: „Kaum ein Historiker vertritt noch die einst verbreitete Ansicht, die Wehrmacht sei für das NS-Dogma unempfänglich gewesen“, der zufolge die Hellenen als „entnordete Arier“, das heißt, als „Untermenschen“, und die jüdischen Griechen ohnehin als „lebensunwert“ galten. Sich steigernder faschistischer Terror hatte den Volkswiderstand angestachelt. Auf die Rolle der Nationalen Befreiungsfront (EAM) geht Mazower ausführlich ein. Er würdigt ihre Leistungen bei der Selbstverwaltung derjenigen Landesteile, die dem Zugriff der Besatzungsmacht und ihrer Athener Marionettenregierung mehr und mehr entzogen worden waren. Er stellt des Weiteren heraus, dass die Volksbewegung sich einig war, die Wiedereinsetzung der Monarchie zu verhindern, dass sie jedoch keine klaren Vorstellungen über eine Transformation der Gesellschaft (Bodenreform, Vergesellschaftung der Produktionsmittel) besaß. Und er schildert die Tragödie, in die nach Abzug der deutschen Wehrmacht im Oktober 1944 der Bürgerkrieg und mit dem militärischen Eingreifen der Briten im Dezember 1944 die Niederlage der demokratischen Kräfte führten. Als „Grenzstaat im Kalten Krieg“, so Mazower, blieb die griechische Gesellschaft gespalten. Die agierenden rechtsgerichteten, von der Unterstützung durch die USA abhängigen Regierungen „waren nicht in der Lage, gegen einen deutschen Staat Ansprüche geltend zu machen. Daher war die Frage der Entschädigung zwischen Griechenland und der Bundesrepublik Deutschland eine überwiegend hypothetische. Das heißt jedoch nicht, dass sie erledigt war“ – beziehungsweise erledigt ist. Mit diesem Buch in die Welt der 1940er Jahre zurückzukehren, in der Nation gegen Nation stand und eine bereits verarmte Welt – die Welt der griechischen Landarbeiter, Bauern und Arbeiter – weiter zerstört wurde, lässt die heutige Problemlage tiefer erfassbar werden.
Mark Mazower: Griechenland unter Hitler. Das Leben während der deutschen Besatzung 1941-1944, S. Fischer, Frankfurt am Main 2016, 528 Seiten, 29,99 Euro.
Schlagwörter: Griechenland, Horst Möller, Kalavryta, kalter Krieg, Mark Mazower, NS-Propaganda