20. Jahrgang | Nummer 1 | 2. Januar 2017

Globalisierung neu denken

von Jens Langer

Ausgerechnet 1989 reichte Christoph Körner, Autor des vorzustellenden Buches, seine Dissertation bei der Universität Leipzig ein. „Not und Notwendigkeit der politischen Predigt. Erwägungen zu einem homiletischen Problem“ lautete das Thema. Diesem ist er treu geblieben und weitet es nun auf die Sozialökonomie aus; denn er will den Graben zwischen Frömmigkeit und Wirtschaft überwinden. Für ihn steht fest, dass Loyalität gegenüber der biblischen Überlieferung und Solidarität mit der Weltgesellschaft zusammengehören, und zwar nicht erst bei ihm, sondern originär von den Quellen her. Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung/Natur müssen Sachinhalte von Wort und Tat derjenigen bleiben, die sich zu dieser Tradition bekennen. Das ist vielen Menschen in den Kirchen nicht bewusst und jenseits derselben noch viel weniger.
Körner steuert gegen. Dieser theologische Aufklärer! Stützen kann er sich dabei auf die Erfahrungen der ethisch-ökologisch orientierten Gruppen aus der Endzeit der DDR und auf den fast vergessenen Konziliaren Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung aus ebenderselben Epoche: Jede Existenz ist politisch, die Rückkopplung an die biblische Tradition lässt erkennen, dass Politik dennoch nicht alles ist. Damals wurde ausgesprochen, dass der Mensch von der sogenannten „Krone der Schöpfung“ längst zur „Krone der Erschöpfung“ mutiert ist. Es geht um Rettung der Ressourcen und einen generationengerechten Zugang zu ihnen, gegen das Wachstumsdogma und die Vernichtung der „Mitwelt“. Das soll nicht als allgemeine Theorie proklamiert werden, sondern wird Inhalt einer Selbstverpflichtung „zu einem persönlichen Aufbruch“.
Das Thema Gerechtigkeit bringt Körner ein als Forderung nach einem neuen Gesellschaftsvertrag. Die alten Verabredungen sind gebrochen worden. Der Staat etwa ist schon lange nicht mehr unabhängiger Schiedsrichter, sondern Vertreter der partikularen Interessen von Autoherstellern, Landwirten und Chemieindustrie. Das hat der Autor schon 1999 und 2005 vorgetragen und vertieft es nun im Blick auf die Unabhängigkeit der parlamentarischen Volksvertretung, Verstärkung der Bürgerinitiativen, Geschlechtergerechtigkeit und Partizipation anstatt Neoliberalismus. Damit sind Ziele des langen Weges vom „Pathos des Großen“ zum „Ethos des Kleinen“ umrissen.
Zum Schwerpunkt „Frieden“ schöpft Körner aus dem reichen Fundus seiner lokalen Praxis und überregionalen Vernetzung. Tagebuchauszüge dokumentieren, wie er sich mit Verbündeten dafür einsetzte, feindselige Abgrenzungen zu überwinden, beispielhaft dargestellt an den Friedensgebeten für Kuwait im damaligen Golfkrieg. Er organisierte in der Hochschulstadt Mittweida Demonstrationen und Mahnwachen, deren Offenheit beileibe nicht generell begrüßt wurde. Denn daran beteiligten sich auch Vertreter von Grünen und PDS sowie Schüler – und alles nicht nach Konfession sortiert. Auch der eigene Kirchenvorstand stellt sich gegen den Friedensaktivisten, Pfarrer der Ortsgemeinde und der Evangelischen Studentengemeinde.
Körner lebt, handelt und argumentiert aus Ehrfurcht vor dem Leben, wie Albert Schweitzer es formuliert hatte. Dazu gehören heute „vorausschauende Gefahreneinschätzung“ und Einsatz für nachhaltige Entwicklung – also leben und arbeiten im Einklang mit der Natur und nicht mit dem Effekt ihrer Zerstörung durch rücksichtslose Verwertung.
Mehrfach wird die Rolle des Geldes als Schatz- und Gewaltmittel in der Gesellschaft reflektiert, aber vor allem seine Entmachtung und Indienstnahme für die Entfaltung von Leben. Dabei kommt auch das verdrängte Kapitel des kirchlichen Devisenflusses von West nach Ost bei starkem Interesse des DDR-Staates zur Sprache. Darüber hinaus entfaltet der Autor hier angedeutete Aspekte seiner Theorie und Praxis des Geldes noch einmal auf vierzig Seiten und setzt sich vehement ein, den „metaphysischen Charakter des Geldes“ zu entmythologisieren. Zustimmend zitiert er Binswanger: „Die moderne Wirtschaft ist eine Fortsetzung der Alchemie mit anderen Mitteln.“ Körner kann auf zahlreiche nachhaltige Experimente in verschiedenen Regionen verweisen, durch die solche Entmythologisierung erfolgt und eine Währung praktisch als ursprüngliches Tauschmittel wieder eingesetzt wird: „Regiogeld als Mittel für regionales Wirtschaften“. Entsprechend plädiert Körner, was den Umgang mit dem Boden angeht, für eine Ökogerechtigkeit, die Staunen als „eine ursprüngliche Erfahrung des Heiligen in dem, was nicht unser ist, sondern geliehen oder anvertraut“, interpretiert. Ebenso plädiert er für „die prophetische Forderung der Gerechtigkeit”, die allen Lebewesen ihren Anteil am Leben selbst lässt.
Für Körner verdient nicht nur Schaffen im Erwerbsinteresse den Titel „Arbeit“, sondern alles Tun für Haus und Familie sowie auch die physische und psychische Regenerationsarbeit. Für alle sollte es Einkommen geben! So wird das Ganze zu einem Kontrastprogramm, um die globalen Fehlentwicklungen zu überwinden. Körner stiftet communities einer „Mikrokontrastgesellschaft“ an, sich dem Kampf zwischen David und Goliath zu stellen. Bei Kenntnis der antiken Erzählung eine hoffnungsvolle Perspektive, insbesondere wenn auf der Makroebene die vom Autor genannten Bündnisse mit anderen sozialen Bewegungen wie ATTAC und Gewerkschaften berücksichtigt werden.
Vor dem Schlusskapitel fügt der Autor überraschend eigene Prosa und Lyrik zum Thema Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ein. So findet die Leserschaft neben aller analytischen Ratio auch befreiende Emotionen in den unterschiedlichen literarischen Formen. Das gehört gewissermaßen auch zur Schlussbilanz, in der Körner dokumentiert, wie christliche Sozialökonomie langsam immer weitere Kreise erfasst.

Christoph Körner: Christliche Sozialökonomie. Auf dem Weg zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, Verlag Religion & Kultur, Zell am Main 2017, 234 Seiten, 20,00 Euro.