von Alfred Askanius
Friedrich II., genannt „Eisenzahn“, war der zweite Hohenzoller, der sich Kurfürst von Brandenburg nennen durfte. „Außenpolitisch“ stritt er sich mit den pommerschen Herzögen, ihn zog es wie alle Berliner an die Ostsee. „Innenpolitisch“ war ihm die Macht der Städte ein Dorn im Auge. Den Berlin-Cöllnern – er nahm ihnen die doppelstädtischen Privilegien – wollte er eine Zwingburg auf der Spreeinsel vor die Nase setzen. Die wehrten sich und ließen 1448 kurzerhand das Baugelände durch die Spree überfluten. Das ging als „Berliner Unwille“ in die Geschichte ein. Ich gestehe es, so etwas hätte ich vor einigen Jahren auch erwartet. Aber wir sind brave Untertanen geworden. „Eisenzahn“ schlug den Aufstand nieder, Berlin und Cölln kamen an die Kandare. Unser Wappentier erhielt einen Nasenring und wurde zum fürstlichen Tanzbären. 1451 war das kurfürstliche Machtsymbol fertig und wurde mit einer „starken Besatzung“ belegt. 400 Jahre sollten bis zum nächsten Bürgeraufstand vergehen, und auch der ging schief.
Aus der Zwingburg wurde im Laufe der Zeit das Berliner Schloss. Immer riegelte es die Stadt nach Westen ab und fügte sich mitnichten – wie hohenzollern-nostalgische Architekturhistoriker und ihnen nachplappernde Bundespolitiker behaupten – in das historische Stadtbild ein. Es zwang der Stadt immer seinen architektonischen Willen auf. Das Problem war nur das aller Metropolen: Die Stadt wuchs und wuchs. Durch diesen Druck und die verbesserte Artillerietechnik erwiesen sich binnen weniger Jahre die barocken Festungswälle, an deren Rand der Bau lag, als störendes Korsett, so dass sie ab 1734 geschleift wurden. Zugleich plusterte sich – entscheidend durch die genialen Entwürfe Andreas Schlüters geprägt – nach 1690 das Schloss zum größten, nicht unbedingt schönsten, Barockbau nördlich der Alpen auf. Der Stadtriegel blieb.
Dem ambivalenten Verhältnis zwischen diesem Herrschaftsgebäude und der Doppelstadt will derzeit eine sehenswerte Ausstellung des Berliner Stadtmuseums im Ephraim-Palais nachgehen. Die eben dargestellte Vorgeschichte wird leider fast vollständig ausgeblendet. Im Katalog findet sich – formuliert von Museumsdirektor Paul Spies und Ausstellungskurator Peter Schwirkmann – die allgemeine Formulierung „von dem Gegensatz zwischen bürgerlicher Selbstbestimmung und landesherrlicher Dominanz“, gefolgt von der lapidaren Mitteilung, „dass in Berlin der Landesherr seit 1442 das Sagen hatte“. Das war’s, und das ist für das stadtgeschichtliche Museum der deutschen Hauptstadt zu wenig. Sicher ist die Entscheidung des Konzentrierens auf den Zeitraum von 1650 bis 1800 konzeptionell verständlich. Aus diesen 150 Jahren stammen auch die meisten Exponate. Man bekommt beim Gang durch die Säle ein ehrfürchtiges Erstaunen, welche Schätze – von Architekturspolien bis hin zu den Kunckelschen Rubingläsern – in den Depots des Berliner Stadtmuseums schlummern.
Das rabiate Kappen der „Vorgeschichte“ ist allerdings nicht zu verstehen. Andererseits bedurfte es dieses Gewaltaktes, um die entscheidende „Erzählung“ der Ausstellung, „die Residenz rückt in die Mitte“, entsprechend positiv platzieren zu können. Das Schloss rückte eben nicht „in die Mitte“. Die Stadt expandierte nicht zuletzt dank kurfürstlicher Immobilienspekulationen: 1670 schenkte der „Große Kurfürst“ Friedrich Wilhelm der Gattin Sophie Dorothea das Areal zwischen den „Linden“ und dem Spreebogen. Hier entstand die „Dorotheenstadt“. Der Gewinn der Kurfürstin soll erheblich gewesen sein, sie galt schon ihren Zeitgenossen als habgierig. Friedrich Wilhelm I. (als späterer erster König in Preußen Friedrich I.) trieb die Sache durch die Anlage der Friedrichstadt ab 1691 südlich der „Linden“ entscheidend voran. Man brauchte Wohnraum unter anderem für die zahlreichen ins Land gerufenen hugenottischen Glaubensflüchtlinge, die für Land und Stadt einen entscheidenden Modernisierungsschub bewirkten. Auf rabiate Weise vorangetrieben wurde der Ausbau der südlichen Friedrichstadt jenseits der Mauerstraße – für Nicht-Berlin-Kenner: Da ist heute der „Checkpoint Charly“ – durch Friedrich Wilhelm I. (den „Soldatenkönig“) ab 1732. Die Ausstellung bietet einen vorzüglichen Einblick in den seinerzeitigen Bauboom dank zweier Gemälde des Holländers Dismar Degen aus den Jahren 1734 und 1735. Gerade Letzteres – „Häuserbau in der Berliner Friedrichstadt“ (Stiftung Preußische Schlösser und Gärten) – erinnert förmlich an den (Ost-)Berliner industriellen Wohnungsbau der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die technischen Möglichkeiten waren im barocken Berlin bescheidener. Mitnichten richtete sich das alles axial-symmetrisch auf das Schloss aus. Dessen Anbindung zumindest an den „westlichen Stadtraum“, die Friedrich- und Dorotheenstadt, gelang erst Karl Friedrich Schinkel – in Ansätzen.
Das Schloss blieb Fremdkörper und war bei den Berlinern nicht sonderlich beliebt. Selbst die Preußenkönige schätzten es nicht besonders. Erst Wilhelm II. schien der Renommierbau wieder am Herzen zu liegen, er kam seinem Imponierbedürfnis entgegen. Die Ausstellung drückt sich um diese Fragen herum.
Ihren großen Reiz gewinnt sie durch die Darstellung Berliner Stadtentwicklung unter Ignorierung des Schlosses. Auf die fürstlichen „Planstädte“ wiesen wir bereits hin. Als Besucher werden Sie vieles, auch dem Berlin-Kenner weniger Bekanntes, entdecken. Die Exposition stellt die Leistungen Andreas Schlüters heraus. Der Umgang mit dessen Erbe ist bis auf den heutigen Tag ein Berliner Trauerspiel. „Sein“ rekonstruierter Schlosshof wird sich mit der postmodernen Langeweile des italienischen Wiederaufbau-Architekten Franco Stella auseinandersetzen müssen. Schlüters Großes Treppenhaus hingegen fiel dem Kostenrahmen zum Opfer. Auch eine Rekonstruktion des Rittersaals wird man im Betonschloss missen – im Ephraim-Palais gewinnt man dank einer Installation unter Verwendung eines Gemäldes Eduard Gaertners (1801–1877) einen schönen Eindruck von dieser sicher bedeutendsten Raumschöpfung Andreas Schlüters.
Aber auch damit ist der tiefere Sinn dieser aufwändigen Exposition noch nicht klar. Paul Spies philosophierte auf der Pressekonferenz zur Eröffnung über den „Rückblick als Möglichkeit des Ausblickes auf die Zukunft der Stadt“ – und darüber, dass man doch wieder (er meinte das Schloss) „ins Herz der Stadt“ wolle: „Wir möchten wieder Leben in der Stadt.“ Mit dem Schloss? werden die staunenden Leser jetzt fragen. Natürlich nicht, das bleibt der museale Sarkophag für die Ethnologischen Sammlungen der Staatlichen Museen. Seine wertvolleren Exponate wird das Berliner Stadtmuseum dort nicht präsentieren können. Im „Berliner Gebäudeteil“ fehlt die Klimatisierung.
Was das Ganze nun soll, wird deutlicher, wenn man über die hier präsentierte These von der „vergessenen Mitte“ nachdenkt. So behaupten Spies und Schwirkmann schlankweg, dass die „historischen Baustrukturen der Dorotheen- und Friedrichstadt […] seit der Wiedervereinigung 1990 auf dem noch existierenden Straßenraster erneuert wurden“. Angesichts solch tolldreister Behauptung kann einem nur die Spucke wegbleiben. Durch die Errichtung des Humboldt-Forums werde allerdings „auch die Abwesenheit der einmal gegenüberliegenden Bürgerstadt deutlich“. „Nachtijall, ick hör dir trapsen“, sagt man in Berlin. Hier wird eine rückwärtsgewandte Stadtentwicklungsideologie bedient, die sich den Tarnmantel der Bürgerfreundlichkeit umgehängt hat. Vor 1913 war eben alles besser und schöner. In diese Rubrik gehören auch die Pläne des Senats, aus den „Linden“ per Ukas eine Fußgängerzone zu machen, die dem „Promenieren und Verweilen“ diene.
Die Ausstellung zeigt dankenswerterweise in einer bezaubernden Installation die „Lindenrolle“: zwei insgesamt fast acht Meter lange Papierstreifen, die den Zustand der Straße um 1819/1820 zeigen. Seinerzeit lud sie zum Promenieren ein, das „Schloss im Rücken“, wie Heinrich Heine spottend bemerkte. Man sollte den Berliner Senat zwingen, sich die Rolle anzusehen – und anschließend vom Zeughaus zum Brandenburger Tor und auf der anderen Straßenseite wieder zurück zu laufen. Im Spazierschritt, ohne Dienstwagen. Zumindest von dieser Torheit wird er dann möglicherweise Abstand nehmen. Mit Ausnahme sicherlich der Stadtentwicklungsverwaltung, die immer noch Visionen von einer organischen Einbindung des Schlosses in den Stadtraum mittels auf alt getrimmter Straßenpflasterung und Rekonstruktion zumindest der Raummaße der „Bürgerstadt“ nachhängt.
Schloss und Stadt gingen nie zusammen, auch der Neubau bleibt ein von den jetzigen Landesherren der Stadt übergeholfenes Solitär.
Schloss. Stadt. Berlin. Die Residenz rückt in die Mitte (1650–1800), Museum Ephraim-Palais, Poststraße 16, 10178 Berlin; bis 23. April 2017 (montags geschlossen), Katalog im Holy Verlag, 223 Seiten, 29,90 Euro.
Schlagwörter: Alfred Askanius, Ausstellung, Berliner Schloss, Geschichte, Paul Spies