von Erhard Crome
Nachdem ich den Fakten-Teil des „Schwarzbuches“ zum Thema „Kritisches Handbuch zur Aufrüstung und Einsatzorientierung der Bundeswehr“, das von Linken als Gegenstück zum „Weißbuch“ der Bundeswehr erarbeitet worden war, zum ersten Mal gelesen hatte, war mein Kommentar: Das ist das Peter-Prinzip. Die Reaktion des Gegenübers war Unverständnis. Er wusste nicht, wovon ich rede.
Nun ist es immer wieder erhellend, wenn die Klassiker der ironischen Soziologie in Erinnerung gerufen werden. Sie haben auch heute über das Verwaltungswesen mehr mitzuteilen, als das, was sich heute Verwaltungswissenschaft oder hochtrabend Betriebswirtschaftslehre nennt. Der britische Soziologe C. Northcote Parkinson hatte bereits in den 1950er Jahren seine „Parkinsonschen Gesetze“ formuliert, wonach sich Arbeit in dem Maße ausdehnt, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht, Verwaltungen sich gegenseitig Arbeit durch Berichte über Kennzahlen und Controlling machen, während die Arbeit in den eigentlichen Kernbereichen stagniert, und jeder Angestellte bestrebt ist, zusätzlich Untergebene zu haben, weil das seine Wichtigkeit erhöht. So wächst das Personal von Behörden und Verwaltungen beständig.
Der in Kanada geborene Laurence J. Peter, ursprünglich Lehrer und Sozialbeamter, knüpfte an Parkinson an und untersuchte das Aufsteigen in Hierarchien. Sein Ausgangspunkt besagt, dass der Mensch von Natur aus hierarchisch veranlagt ist. Er will und muss Hierarchien haben, ob sie nun patriarchalisch, feudal, kapitalistisch oder sozialistisch sind. Und hier gilt nun das, was „Peter-Prinzip“ genannt wird: In einer Hierarchie neigt jeder dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen. Peters erstes Untersuchungsobjekt waren Lehrer, und er stellte fest: Ein guter Lehrer wird zum Schuldirektor befördert, ist aber nicht unbedingt ein guter Direktor; ein guter Direktor wird zum Schulrat gemacht, ist aber nicht notwendig ein guter Schulrat. Weil es auf der höheren Stufe jeweils andere Anforderungsprofile gibt. Das System ist aber so beschaffen, dass es seine Mitglieder ermutigt, bis zur jeweiligen Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen. „Wenn man seine Aufgabe mühelos und effizient meistert, wird man zu hören bekommen, man sei von seiner derzeitigen Position unterfordert und empfehle sich für höhere Aufgaben. Das Problem liegt darin, dass man erst, wenn man in eine Position gelangt ist, der man nicht mehr gewachsen ist, mit Beförderungsansinnen verschont wird und dann dort bleibt, schlechte Arbeit leistet, die Kollegen nervt und die Effizienz der Organisation untergräbt.“
Der ursprüngliche Band „Das Peter-Prinzip“, der überwiegend Fälle und Befunde aus dem Schulalltag analysiert, erschien 1969 in New York. Ein weiterer unter dem Titel: „Schlimmer geht’s immer“ 1985. Hier werden vor allem Fälle aus dem Militärwesen behandelt. Zu den Eigenheiten der DDR-Geschichte gehört, dass beide Bände im Jahre 1989 in einem in Lizenzausgabe erschienen. Die Botschaft war klar: Wir leben in einem Land, in dem nicht nur die Verwaltungen wuchsen, sondern auch die meisten Positionen durch Leute besetzt waren, die ihre Stufe der Unfähigkeit erreicht hatten. Dann kam die Wende. Und nach 26 Jahren deutscher Einheit wissen wir: Wir sind wieder so weit, dass die meisten Positionen in deutschen Verwaltungen mit Unfähigen besetzt sind.
Bleiben wir hier bei dem militärischen Teil. Für die Zustände in den USA in den 1980er Jahren sprechen viele Beispiele, die Peter zusammengetragen hat. So stellt er fest: „Verteidigungskosten werden grundsätzlich zu niedrig angesetzt, damit sie ihren parlamentarischen Segen erhalten, denn man weiß, dass Mehrkosten fast automatisch gebilligt werden, wenn der Haushalt erst einmal verabschiedet worden ist. Herstellerfirmen, die für das Verteidigungsministerium arbeiten, machen stets extrem niedrige Angebote, weil sie davon ausgehen, dass die Regierung, wenn sie den Auftrag erteilt hat, die Vertragsfirmen nur ungern auf ihren Kostenvoranschlag festnagelt und die Verzögerung durch die Suche nach neuen Lieferanten in Kauf nimmt.“ Marine und Luftwaffe der USA verwendeten einen Normvertrag, gemäß dem zwischen Bestell- und Lieferdatum eines Ersatzteils Preiserhöhungen zulässig sind. „So wurde beispielsweise eine Rohrverbindung, die man für 117,26 Dollar bestellte, von Pratt & Whitney schließlich für 1308,08 Dollar geliefert, was eine Kostensteigerung von 1016 Prozent bedeutet.“ Häufig sind Lieferfirma und Herstellerfirma nicht identisch, so dass Pauschalaufschläge erfolgen, die vermeidbar wären, würde direkt beim Hersteller bestellt. Diese Aufschläge sind „für einen Großteil der 1,8 Milliarden Dollar verantwortlich, die 1981 für Ersatzteile ausgegeben wurden. Ein Bolzen, der im Einzelhandel für 67 Cent verkauft wird, kostet das Militär 17,59 Dollar, und ein Stecker für 2,83 Dollar kostet 57,52 Dollar.“ Die Luftwaffe kaufte Aluminiumleitern von drei Meter Länge, mit deren Hilfe die Piloten in das A-10-Flugzeug klettern sollten. Das Stück für 1676 Dollar; im Metallwarengeschäft kostete eine solche Leiter weniger als 100 Dollar.
Bei Großaufträgen war es nicht anders. Die Marine wollte 1366 neue F/A-18-Hornet-Flugzeuge bestellen, insgesamt für 41 Milliarden Dollar, das Stück für 30 Millionen Dollar. Das war das Dreifache des ursprünglichen Preises. In Testflügen verbrauchte das Flugzeug den Brennstoff so rasch, dass von einem Aktionsradius von höchstens 600 Kilometern auszugehen war. Die Flugzeugträger mussten folglich näher an die feindliche Küste heran. Andere Tests zeigten weitere Unzulänglichkeiten, so war das Luft-Boden-Radar seht ungenau. Eine Stornierung des Auftrages hätte die Kosten noch weiter in die Höhe getrieben. Der 2,7 Millionen Dollar teure M-1-Panzer hatte auf den ersten 6000 Kilometern eine 63prozentige Wahrscheinlichkeit eines Motorschadens; die Panzerketten hielten 2000 Kilometer. Je Einsatzstunde brauchte das Fahrzeug 1,34 Wartungsstunden. Das Hersteller-Unternehmen teilte dem Pentagon jedoch mit: „Chrysler hat ein technisch vollkommenes und neuartiges Kampfgerät entwickelt.“
Die Bundeswehr folgt jetzt der Praxis der USA. Die sogenannte Pannenserie der Jahre 2014 bis 2016 hat vor allem gezeigt, dass Steuermittel in gigantischem Ausmaß verschwendet werden. Verteidigungsministerin von der Leyen ließ durch Wirtschaftsberatungsunternehmen eine „Umfassende Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte“ erstellen. Geprüft wurden neun Vorhaben mit einem Volumen von zusammen 56 Milliarden Euro. Zwei der beeindruckendsten Beispiele sind jetzt in dem Schwarzbuch nachzulesen.
Der Schützenpanzer Puma soll das veraltete Modell Marder ablösen. Durch die geplante Integration des Panzerabwehrraketensystems MELLS wird der Puma zur Bekämpfung von Kampfpanzern, Bunkern sowie Zielen hinter Deckungen befähigt. Er soll das dynamische Gefecht gemeinsam mit dem Kampfpanzer Leopard 2 führen können. Es handelt sich um ein 2002 begonnenes, rein national geführtes, auf den Einsatz in entfernten Regionen ausgerichtetes Projekt. Besonderer Wert wurde auf die Fähigkeit zum Lufttransport im künftigen Transportflugzeug A400M gelegt. Der Stückpreis erhöhte sich von 6,5 Millionen Euro auf 9,9 Millionen Euro (2016). Damit ist Puma einer der teuersten Schützenpanzer der Welt. Ungeachtet der um 55 reduzierten Stückzahl steigen die Gesamtkosten gegenüber der ursprünglichen Planung um 1,185 Milliarden an. Das entspricht einem Plus von 36 Prozent. Weitere zu erwartende Kostensteigerungen sind laut Bericht „nicht näher quantifizierbar“. Allein die beabsichtigte Integration von MELLS könnte die Kosten um mehr als 50 Prozent erhöhen. Die endgültige Auslieferung der bei dem Panzerbauer KMW bestellten 350 Fahrzeuge verzögert sich um 54 Monate. Auch wenn daran der Hersteller Schuld ist, er muss nicht haften. Der Grund: Vertragsstrafen wurden im Beschaffungsvertrag nicht vereinbart, da sie „aufgrund der Monopolstellung des Auftragnehmers nicht durchsetzbar waren“, so das Verteidigungsministerium.
Der NATO-Hubschrauber NH 90 ist ein Mehrzweckhubschrauber für Heer und Marine („Sea Lion“). Er ist für den taktischen Personen- und Materialtransport vorgesehen. Das Projekt geht auf eine 1991 geschlossene Vereinbarung zwischen Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden zurück. 2010 erhielt die Bundeswehr die ersten Helikopter, die eingehend getestet wurden. Das Ergebnis: Die geringe Bodenfreiheit ermöglicht Soldaten nur auf befestigtem Boden den Ausstieg. Die Heckrampe ist für den Ausstieg ausgerüsteter Soldaten nicht geeignet, da deren Konstruktion zu schwach ist. Der Innenraum des NH 90 ist derart eng bemessen, dass eine Infanteriegruppe mit Gepäck für 24 Stunden nur dann in den Hubschrauber passen würde, wenn die Soldaten ihre Waffen und das Gepäck ohne Sicherungen auf den Boden legen. Diese Beengtheit wiederum macht die Anbringung eines Bordgeschützes praktisch unmöglich, weshalb der Helikopter im Ernstfall mit anderen Mitteln verteidigt werden müsste. Zudem können schwere Waffen aufgrund fehlender Gurte nicht transportiert werden. Im Dezember 1999 wurden für die Beschaffung von 134 Hubschraubern knapp 2,4 Milliarden Euro veranschlagt. Obgleich die bestellte Stückzahl massiv reduziert wurde, sind die Kosten bis 2014 auf 4,4 Milliarden Euro angewachsen.
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