19. Jahrgang | Nummer 22 | 24. Oktober 2016

Konversion: Warum funktioniert sie nicht?

von Herbert Wulf

Konversion war nach dem Ende des Kalten Krieges ein zentrales Anliegen – nicht nur auf Seiten der Friedensbewegung. Auch bei der „mainstream“ oder sogenannten Realpolitik war das Thema angekommen; denn überschüssige Rüstungskapazitäten sollten im großen Stile abgebaut und möglichst auf zivile Verwendungen umorientiert werden. Während die Friedensbewegung weiterhin an dem Ziel der Konversion festhält und die Ressourcenverschwendung für militärische Zwecke anprangert, sind die Aussichten für eine Verwirklichung dieses Ziels kurz- und mittelfristig sehr gering. Was sind die Gründe für die mageren Realisierungschancen und was spricht möglicherweise doch für Konversion?
Der erste und wichtigste Grund für die derzeit unwahrscheinliche Konversion sind die hohen und weiter steigenden Militärausgaben. Darüber wird zwar allenthalben geklagt und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon meinte plakativ „die Welt ist überrüstet, aber der Frieden ist unterfinanziert“. Dennoch werden weltweit in den jährlichen Haushaltberatungen die Prioritäten weiterhin eindeutig zugunsten des Militärs gesetzt.
In den letzten zwei Jahrzehnten stiegen die Weltmilitärausgaben laut SIPRI rasant an, in den einzelnen Regionen zwar unterschiedlich, doch gerade die Großmächte und Mächte mit Weltmachtanspruch (USA, Russland, China, Indien, Saudi Arabien) haben kräftig zugelegt, was sich vor allem in der Beschaffung moderner Waffen niedergeschlagen hat. China hat seine Militärausgaben in diesem Zeitraum fast verzehnfacht (von 26 Milliarden Dollar 1995 auf 214 Milliarden Dollar 2015), Indien fast verdreifacht, Russland (von 31 Milliarden Dollar auf 91 Milliarden Dollar) ebenso, Saudi Arabien vervierfacht und die USA alleine wenden heute ein Drittel der globalen Militärausgaben auf. Gaben Sie 1995 noch 433 Milliarden Dollar aus, so waren es 2015 inflationsbereinigt bereits 595 Milliarden Dollar.
Wenn die Aufträge an die heimische Rüstungsindustrie sprudeln, ist die Frage nach der Konversion rein rhetorisch; denn warum sollte die Rüstungsindustrie auf zivile Fertigung umstellen, wenn die Auftragsbücher prall gefüllt und die Geschäfte dazu noch recht profitabel sind? Die Manager der Rüstungsindustrie würden von ihren Aktionären geschasst, wenn sie diese Chance nicht nutzen würden. Also kaum Chancen für Konversion!
Der zweite Grund ist der nach wie vor florierende Waffenhandel, der natürlich auch eng mit den steigenden Militärausgaben zusammen hängt und durch ambitionierte Aufrüstungsprogramme in vielen Ländern verursacht wird.
Der Waffenhandel hält sich auf einem relativ hohen Niveau und auch deutsche Rüstungsfirmen exportieren so viel, trotz bestehender restriktiver Gesetze, dass sie seit langem mit großem Abstand nach den USA und Russland an dritter Stelle der Waffenexporteure stehen. Selbst in die Kriegsgebiete des Nahen und Mittleren Ostens wird geliefert – so beispielsweise an Saudi Arabien. Das Land unterstützt nicht nur Terroristen und führt nicht nur einen Krieg im Jemen; es ist auch interessierte Partei und Akteur im Syrienkrieg. Die Verantwortung für deutsche Waffenexporte nach Saudi Arabien liegt bei der Bundesregierung, denn sie hat diese kritisch zu beurteilenden Waffenexporte genehmigt. Von der Rüstungsindustrie erwarte ich keine Zurückhaltung. Sie versucht, ihre Geschäfte zu machen wo es geht, kann sie doch die Verantwortung hierfür zu Recht an die Politik abgeben. Es ist Aufgabe der Politik nicht nur über die Brutalität der Kriege zu lamentieren, sondern ebenso den Kriegstreibern und Diktatoren dieser Welt die Mittel zur Kriegsführung zu entziehen.
Schließlich ein Grund für mögliche Konversionsansätze. Seit Jahrzehnten wird in der EU gefordert, Sicherheits- und Verteidigungspolitik abzustimmen und zu harmonisieren – konkret auch Rüstungsbeschaffung gemeinsam durchzuführen. Bislang ist dies weitgehend gescheitert, weil bei Rüstungsbeschaffungen die jeweils nationalen Interessen vertreten und durchgesetzt werden. Wenn es um die Förderung von Technologie und den Erhalt von Arbeitsplätzen geht, werden zwar weiterhin die gesamteuropäischen Ziele hochgehalten, de facto wird aber nach vorgeblich nationalen Interessen gehandelt und die eigene Rüstungsindustrie bevorzugt bedient. Dies war und ist in fast allen europäischen Ländern der Fall und bi- oder multilaterale Projekte werden nur dann initiiert, wenn sie national nicht zu finanzieren waren. Von Harmonisierung in der EU ist also wenig zu spüren.
Die Konsequenz dieser Politik ist der Aufbau von überschüssigen Produktionskapazitäten in Europa, von deren Duplizierung, die – um ausgelastet zu werden – wieder in den Export drängen. Nun ist mit dem „Brexit“, glaubt man den Befürwortern einer Europäisierung der Sicherheitspolitik, eine neue Chance entstanden. Denn, so wird argumentiert, oftmals waren es die Briten, die einer Harmonisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Wege standen. Warten wir ab, ob nun tatsächlich eine neue Ära beginnt oder ob es in der Vergangenheit bequem war, mit dem Finger auf die schuldigen Briten zu zeigen, um über die eigene Unfähigkeit zur Kooperation hinweg zu täuschen. Wenn die Kritik an der Zurückhaltung der Briten hinsichtlich einer EU Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch berechtigt sein mag, so trifft dies auf die Rüstungsindustrie aber nicht zu. Denn seit der Zeit der Privatisierung der britischen Rüstungsindustrie unter Margaret Thatcher hat sich in Europa nirgendwo die Rüstungsindustrie so dem Markt gestellt wie in Großbritannien.
Ja, eine Europäisierung der Sicherheitspolitik bietet eine Chance für Konversion, es könnte viel Geld gespart werden, aber nur dann, wenn – anders als in der Vergangenheit – die jeweiligen nationalen Interessen hintenan gestellt werden. Ob dies in Frankreich, Deutschland, Italien und anderen EU-Ländern mit rüstungsindustriellen Kapazitäten der Fall sein wird? – Ich habe meine Zweifel. Den Beweis für das Gegenteil kann die europäische Politik sehr rasch bringen, wenn sie es denn ernst meint.