von Wolfgang Brauer
Seit Intendant Barrie Kosky verkündete, die alleinig deutschsprachige Darbietung von Opern, egal welche Herkunftssprache das Libretto auch habe, sei an der Komischen Oper Berlin absolut nicht mehr Bestandteil des unveränderbaren Teiles des ästhetischen Grundgesetzes des Hauses, zerfällt dessen Anhängerschaft in zwei Parteien: Die einen verteidigen das Grundprinzip der deutschsprachigen Wiedergabe auch der gefühlstriefendsten italienischen Schmachtfetzen; die anderen meinen, dass ein guter Notensetzer irgendwie vom Klang der Sprachlaute beeinflusst sei und darum nur das sprachliche Original eine dem kompositorischen Original adäquate Interpretation ermögliche. Wie auch immer – das ist ein Glaubenskrieg, auf den man sich besser nicht einlassen sollte. Wenn aus Kostengründen mit der deutschen Phonetik hadernde Jung-Sänger aus Billiggagen-Ländern auf die Bühne gestellt werden – auch das war an der berühmten Komischen Oper Felsensteins schon zu erleben – nutzt auch der deutsche Gesang nichts. Man versteht ihn einfach nicht.
Die jüngste Inszenierung von Gioachino Rossinis „Barbier von Sevilla“ am genannten Hause lief dann auch ganz konsequent im italienischen Original Cesare Sterbinis. Das Sängerensemble artikulierte sauber, der Text war zu verstehen. Die banale Story ist sowieso längst Gemeingut unter Opernfreunden. Ansonsten kann man sie nachlesen. Der stabführende Antonello Manacorda „atmete mit den Sängern“ – ein Rat des immer noch hinsichtlich seiner Aufführungshinweise zuverlässigen Ernst Krause. Der empfahl übrigens vor nunmehr vierzig Jahren das Italienische: „[…] es ist sehr schwer, fast noch schwerer als bei Mozart, den hurtigen Sprachgeist der Musik in deutscher Übersetzung einzufangen“.
Dirigent Manacorda wird übrigens vom gelangweilten Grafen Almaviva (Tansel Akzeybek) schon während der Ouvertüre per facebook-post aufgefordert, das Ganze doch gefälligst ein wenig schneller zu spielen, worauf dieser tatsächlich zum presto übergeht… Einverstanden, die letzten Takte der Partitur schreiben das sowieso vor – aber Almavivas Regieanweisung, zu diesem Zeitpunkt weiß noch niemand im Publikum, dass der jugendliche Rüpel „il Conte“ ist, ist der geniale Regieeinfall Kirill Serebrennikovs, der einem auf traditionelle Barbier-Belcanto-Verrenkungen gierenden Publikum gleich zu Beginn klarmacht, dass es gefälligst etwas genauer hinzusehen und hinzuhören hat. Der aus Rostow am Don stammende Serebrennikov gehört sicher zu den kreativsten Erneuerern des aktuellen russischen Theaters – es gehörte Mut dazu, den „Goldenen Hahn“ Rimsky-Korsakovs ausgerechnet am Bolschoi gegen den Strich zu bürsten. Jetzt nahm er sich Rossinis Dauerbrenner im Haus an der Behrenstraße vor. Wer auf den üblichen Skandal lauerte, wurde gründlich enttäuscht. Die wenigen Buh-Rufer im ersten Akt verließen in der Premierenvorstellung während der Pause das Haus. Wenn Tansel Akzeybek zu Beginn ein paar Schwierigkeiten hatte, die richtige Höhe des Auftrittsständchens seines Grafen zu treffen – im zweiten Akt lief er hingegen zur sängerischen Hochform auf – so gewann die begnadete Sopranistin Nicole Chevalier schon mit den ersten Takten ihrer Partie der Rosina die Herzen des Publikums.
Überhaupt bewies die „Komische“ diesmal selbst mit der Besetzung der Nebenpartien eine äußerst glückliche Hand: Selbst die oft stiefmütterlich behandelte Berta (Julia Giebel), die permanent um Zuneigung flehende Hausdienerin des Dottore Bartolo, hatte ihren großen Auftritt – und Frau Giebel zelebrierte ihn geradezu genüsslich vor einem verblüfften Publikum. Dem Fiesling Bartolo Philipp Meierhöfers glückte beinahe die vollkommene Empathie des Saales. Er musste schon, dem Burgunderkönig Gunther im Brautgemache gleich, mit dem Hosenbund an einen Haken gehängt werden, um das zu durchbrechen. Diese Regiescherze wirkten mitnichten aufgesetzt. Serebrennikov weiß um das Problem von Glaubwürdigkeit und Nichtglaubwürdigkeit dramaturgischer Einfälle. Das Ersetzen der konstruierten Briefchenwirtschaft in der Vorlage des Beaumarchais durch eine exzessiv betriebene Smartphone-Nutzung seiner jugendliche Helden hat etwas. Wenn Rosina zum Zeitpunkt der Selbstenttarnung dem Lindoro-Almaviva ihre Liebe bekunden will – und bevor sie auch nur einen Laut aus der Kehle kriegt, erst einmal hilflos mit den Fingern die vermeintliche Tastatur des ihr längst entrissenen Gerätes betätigt – dann gelingt dem Regisseur bei allem vermeintlichen Klamauk das Porträt einer Generation, die selbst ihre tiefsten Gefühle nur noch mit der Hilfe Microsofts und Apples offenbaren kann.
Das alles ist nicht nur trefflich in der gesanglichen Darstellung, das ist auch schauspielerisch hervorragend und überzeugend. Der Figaro Dominik Köningers, „sono il factoto della citta‘“, bietet das Erwartete. Da ist kein Krampf, bei niemandem, da ist Spielfreude zu sehen. Und die überträgt sich auf das Publikum. Das Orchester zieht mit. Ein Opernabend, dem Sie sich getrost vollkommen anvertrauen dürfen.
Die nächsten Vorstellungen am 28. 10., 5.11., 26.11., 4.12., 16.12. und 26.12.2016.
Schlagwörter: "Barbier von Sevilla", Antonello Manacorda, Gioachino Rossini, Kirill Sebrennikov, Komische Oper, Wolfgang Brauer