von Holger Politt, Warschau
Seit kurzem darf sich Jarosław Kaczyński als Titan der europäischen Politik fühlen. Zu einem solchen ernannte ihn ein regierungstreues Blatt, nachdem er gemeinsam mit Viktor Orbán die kulturelle Konterrevolution in der EU ausgerufen hatte. Zwar besserte Kaczyński den Begriff noch etwas aus, denn das Wort Konterrevolution sei im Westen Europas zu verpönt, so dass der Ausdruck „Revolution“ viel eher passe, doch das läuft auf das Gleiche hinaus. Denn den beiden Lausbuben geht es darum, das Rad der EU-Integration weit zurückzudrehen. Im Kern soll es eine Wirtschaftsgemeinschaft sein, in der alle anderen wichtigen Fragen gesellschaftlichen Zusammenlebens in der alleinigen Hoheit der souveränen Nationalstaaten bleiben. Polen müsse Polen bleiben und Ungarn eben Ungarn.
Wie das an der Weichsel gemacht werden soll, erlebt das Publikum seit nunmehr zwölf Monaten. In einer zweiten Welle des Kapitalismus, so Kaczyński ganz offen, solle nationalisiert werden, was immer unter den gegebenen Bedingungen nationalisiert werden könne. Ziel sei eine spürbare Stärkung des einheimischen Kapitals, denn nur so sei das ehrgeizige Programm einer nationalen Erneuerung wirtschaftlich zu stützen. Beklagt wird dabei, wieviel Schaden der sogenannten nationalen Identität auf dem bisherigen Weg der EU-Integration bereits zugefügt worden sei. Weil das nationale Reparieren auf dem Wirtschafts- und Finanzgebiet sich allerdings als nicht ganz so einfach herausstellt, weicht der frischernannte Titan europäischer Politik vorerst gerne auf leichteres Gelände aus. Was sollte im katholisch geprägten Polen leichter sein, als die letzten Schlupflöcher in der Abtreibungsfrage zu stopfen?
Als ein Kompromiss wird weithin angesehen, was bislang die Regel ist: Schwangerschaftsunterbrechungen sind in Polen – bis auf wenige eindeutig definierte Ausnahmen – nicht möglich. Laut offizieller Statistik wurden in Polen 2015 knapp über tausend legale Schwangerschaftsunterbrechungen vorgenommen. Nach Schätzungen der Föderation für Frauenangelegenheiten und Familienplanung, einer Nichtregierungsorganisation, beläuft sich die Zahl der jährlichen Schwangerschaftsabbrüche polnischer Frauen allerdings auf ungefähr 150.000. Wer es sich leisten kann, geht ins Ausland, meistens in die Slowakei oder nach Deutschland. Andere versuchen sich anders zu helfen.
Um hier Ordnung zu schaffen, soll nach dem Willen der Regierenden ein neues Gesetz her, mit dem diesem Ausweichen und Umgehen der geltenden Regelung der Kampf angesagt werde. Natürlich bedeutet das, den Frauen, die solche Wege gehen, eine spürbare Strafe anzudrohen. Unter dem Strich soll alles auf ein striktes, zu kontrollierendes Abtreibungsgebot hinauslaufen.
Jarosław Kaczyńskis Partei hatte die Umsetzung dieser Absicht frühzeitig angekündigt und gewissermaßen als ein sich von allein verstehendes Gegenstück zum gesetzlichen Kindergeld herausgestellt. Tatsächlich hatte die PiS-Regierung sehr schnell ein gesetzliches Kindergeld in Höhe von umgerechnet 125 Euro generell ab zweitem, bei einkommensschwachen Familien auch ab erstem Kind eingeführt. Nunmehr sollte die andere Seite der nationalkonservativen familienpolitischen Vorstellungen ins Leben treten.
Frauenrechtlerinnen und Aktivistinnen setzen sich seit vielen Jahren für eine Liberalisierung der bestehenden gesetzlichen Abtreibungsregeln ein. Zu nennen wären hier zum Beispiel Barbara Nowacka und Wanda Nowicka, die von 2011 bis 2015 im Parlament saßen und dieses Thema an verschiedenen Stellen zur Sprache brachten. Doch seit den Wahlerfolgen der Nationalkonservativen im vergangenen Jahr hat sich die Linie der Auseinandersetzung gewaltig verschoben. Jetzt geht es in erster Linie nicht um eine Liberalisierung der geltenden restriktiven Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen, jetzt geht es um die Verteidigung dessen, was gilt.
Als absehbar wurde, wie entschieden die PiS-Fraktion ein völliges Abtreibungsverbot voranzutreiben sucht, nahm eine breite Initiative die Sache selbst in die Hand. Der 3. Oktober, ein Montag, wurde kurzerhand zum Frauenstreiktag ausgerufen. Gefolgt wurde einem Beispiel aus Island, wo am 24. Oktober 1975 die mehrheitlich streikenden Frauen das Land einen Tag lang lahmgelegt hatten. Das gelang in Polen heuer zwar nicht, doch die Welle der entschiedenen Solidarität, die durch das Land zog, schockte das Regierungslager. In die Geschichtsbücher eingehen wird dieser Montag als der schwarze Montag, weil die aus Protest gegen die Regierungspläne schwarzgekleideten Frauen im strömenden Regen landauf, landab und hunderttausendfach in die Öffentlichkeit gingen und Freiheit der Wahl statt autoritäres Verbot forderten. Wegen des strömenden Regens titelte die Tageszeitung Gazeta Wyborcza anderntags: Die Revolution der Regenschirme.
Kaczyńskis Partei blieb nichts anderes übrig, als das Vorhaben vorerst zurückzustellen. Polens starker Mann aber fand seine Sprache schnell wieder: Die Proteste am schwarzen Montag seien ein Versuch, das nationale Wesen des Landes zu untergraben. Die Partei, so der Vorsitzender, werde alsbald einen neuen Gesetzentwurf vorlegen. Während der Titan europäischer Politik ankündigte, nun bis zum nächsten Herbst durchs Land zu tingeln, um den Menschen an 70 verschiedenen Orten die nationalen Ziele der Partei zu erläutern, haben die Frauen für den 24. Oktober zum nächsten schwarzen Protest gegen die Pläne der PiS-Regierung aufgerufen.
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