von Jürgen Brauerhoch
Wer sich wie Millionen Urlauber jedes Jahr auf der A9 durch das Roussillon der spanischen Grenze nähert, erblickt schon bald hinter Narbonne eine Gebirgskette, die anders als die Alpen in weichen Linien am Horizont steht, ja im Vorland eine fast bukolische Harmonie ausstrahlt.
Kommt man nach Salz-Seen und -Schlössern an diesen Gebirgszug, so bestätigt sich der Eindruck einer sozusagen humanen Landschaft … die Pyrenäen! Die drei T-Flüsse, nämlich La Tet, El Tech und El Ter, die nördlich und südlich des Pyrenäenkamms fließen, vermitteln charakteristische Eindrücke von den „Pays catalans“, wie sie inzwischen sogar auf der französischen Seite bezeichnet werden.
Die Tet mündet kurz hinter Perpignan (katalanisch Perpinya) zwischen ausgedehnten Urbanisationen bei Canet-Plage ins Mittelmeer, der Tech wesentlich romantischer in einem verwunschenen Naturschutzgebiet zwischen den leider ebenfalls ausufernden Badeorten St. Cyprien und Argelès-Plage, das hoffentlich nicht so schnell Opfer der Immobilienmakler werden wird. Beide französischen Geschwister (Tet und Tech) fließen fast parallel west-östlich durch romantische Hochtäler und fruchtbare Tallandschaften und haben ihre Quellen im Einzugsbereich rund um den Mont Canigou (2.785 Meter), den geradezu mystischen und auch höchsten Berg der östlichen Pyrenäen. Die Katalanen verehren ihn, indem sie die umliegenden Orte mit ihren stolzen Fahnen mit den vier roten Streifen auf gelbem Grund schmücken.
Nicht weit von den Quellen der französischen Flussgenossen beginnt der Dritte im Bunde, der Rio Ter, seine Reise durch das katalanische Randgebirge und mündet schließlich in der breiten Reis-Ebene zwischen L‘Estartit und Pals im Mittelmeer, genau gegenüber den berühmten Islas Medes, die unter Naturschutz und bei Tauchsportlern hoch im Kurs stehen. Unterwegs streift er beinahe Pubol, das etwas schattige Castello aus dem 14. Jahrhundert, in das sich Frau Gala zurückzog und Ehemann Dalí durfte sie nur besuchen, wenn Gala es ausdrücklich erlaubte. Nach Galas Tod hatte der Exot keine Freude mehr am Leben und wurde schließlich in Figueres am Ort seines verrückten Museums begraben.
Länger als El Tech ist die Dame La Tet unterwegs; sie begleitet auf ganzer Strecke bis hinauf zum Dreiländerdreieck Andorra – Spanien – Frankreich die Nationalstraße von Perpignan bis Bourg-Madame und Puigcerdà, der quirligen spanischen Grenzstation, und fließt die längste Strecke durch Wald- und Weinland im Land der Katharer, wie überall verkündet wird. Hier gibt es die Parcs naturels des Pyrénées catalans, aber auch noch etliche Zeugnisse aus der Zeit, als hier die sogenannten „absoluten Christen“ wohnten, die später von den „rechtgläubigen“, also papsttreuen Christen ausgerottet wurden. Man wundert sich, dass in dieser heiteren Landschaft die Katharer den Teufel als Schöpfer der Welt annahmen und deshalb alles Irdische verachteten.
Erst im Unterlauf der Tet wird es chaotisch an ihren Ufern mit Industriebauten und Stadtrandschrott. Solche Hässlichkeit bleibt ihrem spanischen Bruder, dem Ter, erspart, ist er doch beinahe heiligen Ursprunges mit seinen Quellbächen in der Nähe von Nuria, dem katalonischen Wallfahrtsort, wo es allerdings statt von Gläubigen eher von Rucksack-Touristen und Ski-Fans wimmelt. Ein ganzes Freizeit-Areal ist hier aus einem Kloster entstanden in einer dramatischen Hochgebirgslandschaft, die allerdings bequem von einer an steilen Abhängen schwindelerregend hinaufkraxelnden Cremallera (Zahnradbahn) zu erreichen ist.
Der Rio Ter setzt dann seine quasi religiöse Reise fort, indem er sich zunächst westlich wendet über Sant Joan de les Abadeses zur mächtigen, etwa um 880 gegründeten Benediktiner Abtei Santa Maria Ripoll, heute von einer nervigen Provinzstadt gleichen Namens eingekastelt. Vereinigt mit dem Rio Freser, der direkt aus Nuria kommt, fließt El Ter nunmehr südlich und knickt kurz vor Vic, der Universitätsstadt, und Girona, in deren Provinz er bleibt, plötzlich nach Osten ab. Ein typisch eigensinniger Katalane! Aber das spannendste Schicksal der drei „Ts“ hat offensichtlich Le Tech: Von seiner Quelle im „Massif du Catalone“ in 2.400 Metern Höhe stürzt er sich auf einer Länge von nur 85 Kilometern erst durch tiefe Schluchten, dann entlang des Massif des Albères ins Mittelmeer hinunter und streift auf seiner Talfahrt ein Dutzend echter Sehenswürdigkeiten. Das beginnt direkt unterhalb der spanischen Grenze mit Prats-de-Mollo, einem durch und durch mittelalterlichen Städtchen, ursprünglich eine Befestigung (Fort Lagarde/am Fußende des Pic de Canigou). Die D 115, die den Tech bis zur Ausfahrt Boulou auf der Autobahn Narbonne-Barcelona begleitet, windet sich über Arles-sur-Tech und Amelie-les-Bains, einem langgestreckten Kurort mit vielen Betagten, die in Frankreich nicht anders aussehen als bei uns, schließlich nach Ceret mit seinem wunderbaren Wochenmarkt und einem für ein so kleines Nest bemerkenswerten Museum, das Picasso hier im französischen Exil während der Franco-Zeit mit Braque, Chagall, Derain und anderen Malern ins Leben gerufen hat. Dann verlässt der Tech das Vallespir und fließt ruhig und erwachsen geworden durch die Wein- und Olivenfelder des Roussillon, bis er sich vor der Côte Vermeille dem Meer anvertraut. Damit ist die rund 200 Kilometer lange Flussfahrt beendet… und unser Tête-à-tête mit Tech, Ter und Tet auch!
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