von Johnny Norden
Fidel Castro ist der letzte Vertreter jener mythischen Generation von Führern wie Ho Chi Minh, Patrice Lumumba und Nelson Mandela, die in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg an der Spitze eines revolutionär-demokratischen Aufschwungs der Volksbewegungen in Asien, Afrika und Lateinamerika standen. Sie einte der Kampf für eine Welt ohne Ungleichheit und Rassismus, gegen imperiale Ausbeutung und Unterdrückung.
In Lateinamerika ist die Verehrung Fidels ungebrochen. In der dortigen Macho-Welt zählt, dass Castro zeitlebens ein Kerl con cojones war. Er hatte immer wieder unglaublichen Mut bewiesen. Er hat einen Tyrannen mit der Waffe in der Hand niedergerungen und die Supermacht im Norden wiederholt gedemütigt. Und: Er verfügte wie kaum ein Anderer über die suggestive Fähigkeit, Menschen mitzureißen. Ob er Zwei oder Zwanzigtausend vor sich hatte: Castro verstand es, ihre Aufmerksamkeit zu erringen und sie zu elektrisieren. Er führte immer einen Dialog mit seinem Publikum. Und Castro versteckte seine konkreten Pläne oft in Fragen, kleinen Nebensätzen. Er regte das Auditorium an, seinen Gedanken und Emotionen zu folgen.
Castros Ausstrahlungskraft gründete sich vor allem auf seiner persönlichen Integrität. Selbst seine Kritiker wussten, dass er zu den Ausnahmepolitikern gehörte, die niemals ihre Macht zur persönlichen Bereicherung genutzt haben. García Márquez nannte seinen Lebensstil den eines Mönches in Uniform. Castro kokettierte gerne mit dem Don Quijote-Vergleich: Ein edler hochstrebender Geist, der trotz rauer Umwelt an seinen Illusionen festhält und mit schwachen Waffen mutig gegen übermächtige Gegner kämpft.
Castro wurde am 13. August 1926 als drittes uneheliches Kind des fünfzigjährigen Großgrundbesitzers Angel Castro und seiner halb so alten Haushälterin Lina Ruz geboren. Castros Vater besaß eine eigene Zuckerrohrplantage, Vieh, Wald und eine kleine Nickelmine. Sohn Fidel erinnert sich an seinen Vater als einen Patriarchen, wie aus dem Bilderbuch: streitsüchtig und keinen Widerspruch duldend, verschlossen, hart arbeitend, von riesiger Gestalt, grob und aufbrausend. Tatsächlich scheint Fidel Castro viel vom Wesen seines Vaters geerbt zu haben. Die früh entwickelte Willensstärke, die Durchsetzungsfähigkeit und Unbeugsamkeit.
1945 beendete Castro mit einem glänzenden Abschlusszeugnis das Jesuiten-Gymnasium in Havanna und nahm ein Jurastudium auf. Die Jahre an der Universität von Havanna entwickelten sich für den jungen Mann zu einer ersten Härteprüfung. Castro versuchte, sich als Unabhängiger zu betätigen, er machte sich einen Namen als Wortführer und Agitator bei Demonstrationen gegen die korrupte Regierung und sammelte Gleichgesinnte um sich. Bald war Castro in ganz Kuba bekannt. Er galt als einer der hoffnungsvollsten Nachwuchspolitiker und wurde sogar als zukünftiger Staatspräsident gehandelt.
1952 putschte sich General Batista an die Macht und beseitigt in Kuba die spärlichen Ansätze bürgerlicher Demokratie. Er hofierte das US-Kapital mit verschwenderischer Großzügigkeit. Castro erklärte Batista sogleich in aller Öffentlichkeit den Krieg: „Wenn Batista mit Gewalt die Macht an sich reißt, muss sie ihm mit Gewalt wieder genommen werden!“. Die meisten hielten das für heiße Luft. Batista sagte zu seinem Polizeichef: „Lass den Clown nur machen. Der Schönling ist doch ganz unterhaltsam.“
Castro begann sofort mit dem Aufbau einer illegalen Organisation. Sein Ziel war die unmittelbare Vorbereitung eines bewaffneten Volksaufstandes zum Sturz des Diktators. Die kubanischen Kommunisten schätzten zwar den Mut Castros, hielten seine Pläne aber für abenteuerlich und wenig Erfolg versprechend.
In tiefer Illegalität und mit wenigen handverlesenen Genossen bereitete Castro seine Aktion vor. Der Plan: Moncada – die zweitgrößte Kaserne des Landes in Santiago de Cuba im Handstreich einnehmen, die Waffen an das Volk verteilen und einen Aufstand auslösen. Der Sturm auf Moncada am 26. Juli 1953 endete mit einem Desaster. 80 der 113 Angreifer fanden den Tod. Castro überlebte mit viel Glück. Er und seine übrig gebliebenen Genossen wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Legendär wurde sein selbstbewusstes Schlusswort im Gerichtssaal: „Condenadme, la historia me absolvera.“ („Verurteilt mich, die Geschichte wird mich freisprechen.)
1955 amnestierte der Diktator Castro mit dem Hintergedanken, ihn bei einer vorgetäuschten Schießerei mit der Polizei zu ermorden. Castro erfuhr von der Falle und ging ins Exil nach Mexiko. Nach 15 Monaten war er wieder da. Mit einer Handvoll Genossen baut er in der Sierra Maestra eine Partisanengruppe auf. In den befreiten Gebieten begann Castro mit der Verwirklichung seines Programms. Er verteilte Großgrundbesitzerland an arme Bauern und Tagelöhner. Mit Unterstützung von Che Guevara errichtete er medizinische Stützpunkte, viele Bergbewohner erlebten zum ersten Mal in ihrem Leben eine ärztliche Behandlung. Die kleine Partisanengruppe verwandelte sich in eine Rebellenarmee, die zwei Jahre später die Regierungsarmee in offener Feldschlacht zerschmetterte und am 8. Januar 1959 mit Castro an der Spitze siegreich in Havanna einzog.
Castro und seine engsten Vertrauten erkannten, dass die ökonomischen Grundlagen der kubanischen Wirtschaft und die politischen Machtstrukturen schnell und radikal verändert werden mussten, damit das Pendel nicht zurückschlägt. Am 17. Mai 1959 unterschrieb Castro ein Bodenreformgesetz, das in Lateinamerika ohne Beispiel war: Der Landbesitz wurde auf maximal 400 Hektar beschränkt, und alle ausländischen Besitzungen wurden enteignet. Dem Latifundismus war das Rückgrat gebrochen. Die allmächtige „United Fruit Company“ verlor mit einem Schlag ihre wichtigsten Besitztümer auf der Insel. Damit hatte Castro den – Imperialismus in seinem Hinterhof auf noch nie gewesene Weise herausgefordert. Im Laufe des Jahres 1960 wurden fast alle großen Betriebe, die Banken und Versicherungsgesellschaften verstaatlicht. Alle Schaltstellen der Macht besetzte Castro mit Kadern der Rebellenarmee. Ein großes Sozialprogramm wurde angeschoben: Errichtung eines Systems kostenloser Gesundheitsbetreuung für alle, Bau von Schulen und Alphabetisierung für Erwachsene sowie drastische Senkung der Mieten.
Und die Kubaner haben den scheinbar übermächtigen USA widerstanden, sie haben nationale Unabhängigkeit erreicht und ihre nationale Würde verteidigt. Wie jede echte Revolution haben die Kubaner großzügig anderen um ihre Befreiung kämpfenden Völkern geholfen. Kubanische Ärzte sind in vielen Ländern der Welt tätig: nicht in Privatkliniken für Begüterte, sondern in Dörfern und Siedlungen, wo die Unterprivilegierten wohnen.
Welchen Anteil hatte Fidel Castro an diesem Weg?
Castro erkannte klarer als alle Anderen die konkreten Zielstellungen für den Befreiungskampf des kubanischen Volkes. Castro war vor allem ein begnadeter Politiker, sendungsbewusst, mit einem untrüglichen Instinkt für das praktisch Notwendige und das tatsächlich Machbare. Und er hatte den Mut, ungewöhnliche Wege zu gehen.
Es war wieder so eine Rede am 17. November 2005 an der Universität von Havanna. Eine lange, frei gehaltene Rede, mit Überraschungen gespickt. Im Alter von 79. Castro hatte wie nebenbei die Frage gestellt: Was wird aus Kuba, wenn ich nicht mehr bin. Er stellte erstmals die These auf, dass die kubanische Revolution besiegbar sei, wenn die Veteranen abträten. Dabei machte er deutlich, dass dies keine Frage militärischer Schwäche sei. „Dieses Land kann sich selbst zerstören. Diese Revolution kann sich zerstören, aber die Vereinigten Staaten können es heutzutage nicht mehr. Wir ja, wir können sie zerstören, und es würde unsere Schuld sein.“ Castro machte klar, dass die Zukunft des Sozialismus von dem Bewusstsein und den Ideen derer abhänge, die den Weg gehen wollen. Er sagte den Studenten: „Wir brauchen viele klare Ideen und viele an Euch gerichtete Fragen, an Euch, die Ihr die Verantwortlichen seid, wie der Sozialismus in Zukunft bewahrt werden kann.“
Castro übergab die Stafette ohne altväterliche Ratschläge, ohne Bitterkeit aber auch ohne Zweckoptimismus.
Seit 2006 ist Castro nicht mehr comandante en jefe – Oberbefehlshaber der Revolution. Er übergab seine Ämter an Raul Castro.
Es war der würdige Abschied eines Großen der revolutionären Weltbewegung.
Schlagwörter: Fidel Castro, Johnny Norden, Kuba, Moncada, USA