von Horst Möller
Was hat es schon zu besagen, dass Kateřina Královás 2012 in Prag veröffentlichte Arbeit nach der aktualisierten griechischen Übersetzung von 2013 und nicht nach dem tschechischen Original ins Deutsche übertragen worden ist? Bezeichnender ist das Resümee, zu dem die Autorin nach Sichtung der (selbstredend von ihr auch bibliografierten) relevanten Literatur gelangt: „Bis jetzt hat sich die Geschichtswissenschaft nicht in Form einer detaillierten Gesamtdarstellung mit […] der deutsch-griechischen Wiederannäherung an die gemeinsame Vergangenheit befasst.“ In der Tat haben sich Klios Jünger lange Zeit auffallend zurückgehalten, was die Einbeziehung Griechenlands in die Forschungen zum 2. Weltkrieg betrifft. Von einem „erinnerungspolitisch vernachlässigten Schauplatz“ spricht Kateřina Králová in einem Interview. Denn jenseits sehr eingegrenzter akademischer Horizonte fand, was Griechenland betrifft, weder im offiziellen zwischenstaatlichen Verkehr noch in der breiten Öffentlichkeit ein seriöses Erinnern statt, vielmehr wurde vor allem verdrängt und beschwiegen. Hiergegen hat sich das aufrechte Häuflein derer, die zumeist aus privatem Antrieb heraus die auf dem Balkan hinterlassene Blutspur nachgezeichnet haben, nur ausnahmsweise Gehör verschaffen können.
Griechenland ist – nicht zuletzt wegen mangelnden internationalen Beistands – außerstande gewesen, sich einen neutralen Status zu bewahren und die italienische sowie die nachfolgende deutsche und bulgarische Invasion zu verhindern. Gegen Plünderung der wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen sowie gegen Drangsalierung hatte sich der Volkswiderstand formiert, auf den die Besatzer mit grauenhaftem Terror reagierten, teilweise unter perfider Zuhilfenahme von Kollaborateuren. Nachdem das Land im Oktober 1944 die Freiheit wiedererlangt hatte, lag es zerstört am Boden. Das Ausmaß der Kriegsschäden, präzis im vorliegenden Buch dokumentiert, ist erschreckend. Zu ergründen war, so der Ausgangspunkt der Autorin, auf welche Weise die beiden Länder aus der verhängnisvollen Gegner- wieder zu einer wie auch immer gearteten Partnerschaft gefunden haben. Ihr Fazit ist ernüchternd: Eine Ahndung von Kriegsverbrechen ist fast gänzlich ausgefallen. Trotz (erst neuerlich wiederholtem) Schuldeingeständnis verweigerte die Bundesregierung eine angemessene Begleichung von Kriegsschulden und – was hinzuzufügen ist – tut das auch weiterhin, allerdings nun in zunehmendem Maße nicht mehr unwidersprochen, wie das die folgende Einschätzung unterstreicht: „Die politischen Akteure beider Länder waren unter dem Druck einschlägiger lokaler und internationaler, meist zivilgesellschaftlicher Organisationen zuletzt immer häufiger dazu gezwungen, den engen Rahmen diplomatischer Verhandlungen hinter sich zu lassen und zumindest auf symbolischer Ebene eine neue Versöhnungspolitik zu betreiben.“
Symbolträchtig schon für die ersten Schritte einer Politik der „Aussöhnung“ ist das auf dem Buchumschlag wiedergegebene Foto: Adenauer in Mantel und mit Hut reitet am 1. März 1954 bei seinem Besuch der Insel Santorin zwar nicht auf hohem Ross, aber immerhin auf einem griechischen Maulesel, von einem mit schlottrigen Hosen bekleideten Einheimischen den steilen Anstieg die Caldera hinauf am Halfter geführt. Um das Land halbwegs wieder auf die Beine zu stellen, kam man griechischerseits nicht umhin, die Handelsbeziehungen mit Deutschland wieder in Gang zu bringen, und das schon damals aus einer Position des Bittstellers heraus – entgegen jeder die jüngste Vergangenheit berücksichtigenden Plausibilität: „Als Gegenleistung zur Befreiung von der Tabaksteuer war Griechenland bereit, sich aus den Verhandlungen über Reparationen zurückzuziehen und das Bemühen Deutschlands zu unterstützen, in verschiedene internationale Organisationen aufgenommen zu werden […] Auf Regierungsebene wurden Fragen der Bestrafung deutscher Kriegsverbrecher und der Entschädigungszahlungen an die Besatzungsopfer beiderseits hintangestellt, während Deutschland zum wichtigsten Handelspartner Griechenlands avancierte. Im Rahmen der erneuten Annäherung und Wiederherstellung bilateraler politischer Beziehungen zwischen beiden Ländern konnte sich die Bundesrepublik Deutschland so vorteilhaft positionieren, dass griechische Politiker keine andere Chance hatten, als sich nach ihr zu richten.“
Die Autorin hat sich vermutlich nicht zum Ziel gesetzt, auf der Grundlage umfangreichen Quellenmaterials detailreich historische Abläufe zu analysieren, um zur Erkenntnis zu gelangen, dass unsere Welt allzu oft einem Vorhof der Hölle gleicht. Was sie aus einer Niederschrift über deutsch-griechische Verhandlungen in der Wiedergutmachungsfrage zitiert, erzeugt allerdings dann doch kaltes Grausen. Wiedergegeben ist die Bemerkung des griechischen Botschafters Konstantinos Tranos, „dass an und für sich die ‚schlechte Arbeit der Nazis‘ die Grundlage für Entschädigungsleistungen bilde, denn die Entschädigungssumme würde sich in dem Maße vermindern, in dem Juden mehr vernichtet (sic!) worden sind.“ (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin 81/204 vom 12. Februar 1960). Umso betroffener macht in diesem Zusammenhang, worauf die Athener Historikerin Anna-Maria Droumpouki erst kürzlich hingewiesen hat. Während 18 Jahren (von 1953 bis 1971) war der Jurist, Volkswirt und Bonner Ministerialbeamte Ernst Féaux de la Croix eine Schlüsselfigur in den Entschädigungsverfahren (das heißt, deren Torpedierung – H.M.). Ab Mai 1933 Mitglied der NSDAP sowie der SA, dem NS-Rechtswahrerbund und der Akademie für Deutsches Recht zugehörig, war er nach seiner Promotion an der Universität Frankfurt am Main von 1934 bis 1945 in der völkerrechtlichen Abteilung des Reichsjustizministeriums tätig und hier für den juristischen Status von Ausländern und den Umgang mit „Fremdvölkischen“ zuständig. 1938 war er Mitverfasser einer „Denkschrift über Rasse, Volk, Staat und Raum“, in der es unter anderem heißt: „Fremdrassige können nicht zum deutschen Volk gehören“. Was Wunder, dass solcherart Gleichgesinntheit, wie ich unterstelle, künftiges Einvernehmen beförderte. Der Webseite der deutschen Vertretungen in Griechenland ist zu entnehmen: „Die 25. Panzerbrigade der griechischen Streitkräfte hat am 30. Mai 2008 die ersten von insgesamt 170 Kampfpanzern vom Typ Leopard 2A6 HEL (für Hellas) in Dienst gestellt […] Gesandter Féaux de la Croix betonte in seiner Ansprache die guten deutsch-griechischen Beziehungen und die enge Zusammenarbeit mit dem bewährten NATO-Partner Griechenland.“ Es handelt sich diesmal um Guy Féaux de la Croix, den Sohn des oben Genannten. Übrigens: Hinterbliebene der aus Thessaloniki deportierten Juden erwarten von der Deutschen Bahn AG als Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn die Rückerstattung des für den Transport nach Auschwitz zu entrichtenden Fahrgeldes, doch eigentlich eine Bringeschuld – sie warten bis auf den heutigen Tag vergebens, seit langem.
In Griechenland begangene Kriegsverbrechen, die Nazi-Deutschland zu verantworten hat, verletzten das Völkerrecht. Daran besteht keinerlei Zweifel. Die griechischen Opfer von NS-Gräueln und ihre Hinterbliebenen, die ein ethisches, politisches und juristisches Anrecht auf Schadenersatz haben, sind mit ihren wiederholt erhobenen Forderungen nach Wiedergutmachung – trotz Teilerfolgen – in letzter Konsequenz bisher gescheitert. Dass es sich hier um eine offene Frage handelt, legt das in diesem Buch aufbereitete brisante Material zwingend nahe. Kateřina Králová ermöglicht einen genaueren Blick hinter die Kulissen politischer Entwicklungen, die, wie sie selber sagt, leider zumeist in einer verkürzten und instrumentalisierten Form medialisiert werden. Darüber hinaus hofft sie, dass es mit dem deutsch-griechischen Exempel vor Augen gelingen möge, für Opfer heutiger Konflikte bilaterale Regelungen schneller und effektiver herbeizuführen. Damit sich diese an die eigene Arbeit geknüpften Erwartungen auch realisieren können, hat es dann doch etwas zu besagen, dass Odysseas Antoniadis und Andrea Schellinger eine mit bemerkenswerter Kompetenz erarbeitete Übersetzung zeitnah vorgelegt haben. Mark Mazowers Schlüsselwerk „Inside Hitler’s Greece. The Experience of Occupation 1941-44“ (New Haven 1993) ist dagegen erst sehr spät, ebenfalls 2016, auf Deutsch erschienen.
Kateřina Králová: Das Vermächtnis der Besatzung. Deutsch-griechische Beziehungen seit 1940, Böhlau Verlag, Köln Weimar Wien 2016, 283 Seiten, 29,99 Euro.
Schlagwörter: Griechenland, Horst Möller, Kateřina Králová, Kriegsverbrechen, Nazi-Deutschland, Reparationen, Wiedergutmachung