von Frank-Rainer Schurich
„Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger…“, heißt es lakonisch im 1. Buch Mose. Die DDR-Rockgruppe „Pankow“ nahm diesen Gedanken auf und setzte Inge Pawelczik ein schönes Denkmal, die sich mit einer flüchtigen männlichen Bekanntschaft im Hinterhaus erkannt hatte. Geht das Erkennen nicht so friedlich mit dem Willen der beiden Beteiligten vor sich, gehört es ins Kriminalfach. Dann gibt es noch am Ende der Untersuchung ein Urteil, auf das das Gericht erkennt. Das Wiedererkennen ist aber oft mit einigen Schwierigkeiten verbunden.
Denn man kann nur das in seinen grauen Zellen lokalisieren, was man schon einmal gesehen, gehört, gefühlt oder gerochen hat. Die Crux bei der Sache ist, dass man nur das wahrnimmt, was man wahrnehmen will. Apperzeption sagt die Psychologie zu diesem Vorgang. Dafür gibt es in der Wissenschaft viele lange Definitionen; Wolfgang Hildesheimer hat dieses Phänomen anschaulich in seinem wunderbaren Buch „Mozart“ beschrieben. Er berichtete, dass die äußere Wirkung Mozarts stark von seiner sozialen Stellung abhängig war: „Muzio Clementi, der ihm 1781, also zu Beginn seiner Glanzzeit, in Wien begegnete, hielt ihn denn auch ‚seines eleganten Aeussern wegen für einen kaiserlichen Kammerherrn‘; […] ‚Klein, rasch, beweglich, blöden Auges, eine unansehnliche Figur‘, so sah ihn Ludwig Tieck, der ihn allerdings in einem halbdunklen Theaterraum traf, und zwar in Berlin im Jahr 1789, als die Glanzzeit lang vorbei war.“
Es ist für die Aufklärung eines Kriminalfalles zuweilen ein großes Glück, wenn man eine Person sieht – und sogleich wiedererkennt. Ein Unbekannter hatte 2015 bei einem Überfall in Olsbrücken (Rheinland-Pfalz) einen fünfstelligen Betrag erbeutet. Auf die Spur kamen ihm die Kriminalisten durch Bilder aus der Überwachungskamera. Zu sehen war ein maskierter Mann, der im Schalterraum von einem Angestellten mit einer vorgehaltenen Pistole Bargeld fordert. Bei der Auswertung der Bilder sei einem Beamten die Statur des Mannes bekannt vorgekommen. Schnell war der Fall aufgeklärt. Der Bankräuber war ein Polizist, ein Kollege.
Wie eine Person wahrgenommen wird, hängt also immer von den konkreten Umständen ab. Durch verschiedene Faktoren kann es zu gravierenden Fehlinterpretationen kommen. So machte eine westsibirische Streckenwärterin 1982 in der Nähe von Kemerowo auf einem vorbeirauschenden Zug etwas Merkwürdiges aus und meldete dies sogleich ihrem Dispatcher: „Der Zugbegleiter benimmt sich sehr komisch. Er hat sich mit einem dicken brauen Pelz umhüllt, aufs Trittbrett gelegt und brüllt vor lauter Kälte!“ In Wahrheit hatte sie sich selbst einen fetten Bären aufgebunden. Mit einem großen Satz auf das Trittbrett des noch langsam fahrenden Zuges rettete sich ein Meister Petz, von einer wilden Hundemeute erst geweckt und dann verfolgt, doch der Zug wurde immer, immer schneller…
Die Wiedererkennung ist auch eine kriminalpolizeiliche Maßnahme, die aber nur zum Erfolg führt, wenn sie taktisch richtig durchgeführt wird, zum Beispiel in einer Wahlkonfrontation. Wird nur eine Person vorgestellt, kann man sich das Ganze sparen. Allerdings lieben die deutschen Richter die Einzelkonfrontation. Sie lenken alle Aufmerksamkeit geschickt auf den Anklagten, der natürlich auf der Anklagebank sitzt. Die obligatorische Frage der Richter, ob der Zeuge im Gerichtssaal den Rechtsbrecher wiedererkennt, ist daher nur rhetorisch und mehr ein Gag, um die Vernehmung vor Gericht heiter zu beginnen.
Nicht ganz so einfallslos ging es 1981 im Münchener Amtsgericht zu. Erkundigte sich der Richter: „Erkennen Sie in dem Angeklagten den Mann wieder, der Ihnen das Auto gestohlen hat?“ Nur zögernd antwortete der Kläger: „Nach der Rede des Herrn Verteidigers bin ich nicht einmal mehr sicher, ob ich jemals ein Auto besessen habe.“
Erfreulicher sind dagegen spontane Wiedererkennungen. Im September 1994 hämmerten in Brandenburg drei Deutsche auf zwei türkische Jugendliche mit Baseballschlägern ein. Ein 19-jähriger Türke wurde dabei schwer verletzt. Bei der Aufnahme im Krankenhaus traute er seinen Augen nicht! Die flüchtigen jungen Männer mit ihren schicken Basecaps wurden auch gerade blutend hereingebracht. Auf der Bundesstraße 1 waren sie kurz nach dem Verbrechen selbst Opfer geworden – und zwar eines Verkehrsunfalls.
Auch Tiere können hervorragende Wiedererkennungshelfer sein, wobei hier nicht an Fährtenhunde gedacht ist. So haben 14 gestohlene Kühe in der italienischen Provinz Latium ihren Besitzer spontan wiedererkannt und eine Bande von Viehdieben überführt. Die Gauner hatten im Juni 1991 den Stall des 60-jährigen Bauern Mario Silvestri ausgeräumt und waren mit den Kühen in einem Viehtransporter verschwunden. Die Polizei machte jedoch den Unterschlupf der Diebe ausfindig und brachte den Bauern dorthin. Unter den Augen der Polizei liefen die Tiere muhend auf ihren Besitzer zu. Die Diebe wurden zu jeweils neun Monaten Haft verurteilt.
Aus dem Berliner Tierpark wurden am 28. März 1990 mehrere wertvolle Papageien, ein Aras-Zuchtpärchen in Kobaltblau, ein Pärchen in Scharlachrot sowie drei Jungtiere, gestohlen. Durch Hinweise von Anwohnern wurden die Tiere auf einem Dachboden in Kreuzberg vermutet. Die Kriminalisten nahmen richtigerweise den Pfleger Hartmut Michell mit. Binnen Sekunden erkannten ihn die Papageien wieder. Mit hektischen Flügelschlägen umgarnten sie ihren menschlichen Freund. Wer will an dieser Wiedererkennung zweifeln?
Doch es gab in der Kriminalgeschichte auch tierische Misserfolge. Der gestohlene Goldzahn des Esels Vadico beschäftigte vor vielen Jahren die brasilianische Polizei. In einer Polizeiwache in Sao Paulo wurde Vadico den mutmaßlichen Dieben gegenübergestellt. Nach Angaben des Besitzers, eines Anwalts, hatten befreundete Goldsucher dem Esel den Zahn eingesetzt. Nun beschuldigte der Besitzer Angestellte der tierärztlichen Behörde der Stadt, den Zahn gestohlen zu haben, als sie das Tier untersuchten. Die Gegenüberstellung war laut Polizei erfolglos, da Vadico kein sichtbares Zeichen gab, dass er die Täter erkannte.
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