von Franz Schandl, Wien
Schon zu Studienzeiten, wo wir uns Mitte der Achtziger peripher begegneten, war der Arbeiterbub aus Simmering, damals Mitglied des Verbands Sozialistischer Studenten (VSStÖ), konsequent und zielstrebig. Er wusste vielleicht noch nicht, was er wollte, aber dass er wollte, wusste er. Er wirkte dabei nicht unsympathisch und verbissen, sondern recht umgänglich. Mit der Karriere ist es vorangegangen, zuerst in der Partei, dann in der parteinahen Öffentlichen Wirtschaft. Zuletzt war er Chef der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB).
Seit der Quereinsteiger nun Kanzler und Parteivorsitzender ist, tut seine Partei geradewegs so, als sei sie nicht wiederzuerkennen. Christian Kern ist es binnen weniger Tage gelungen, die Stimmung merklich zu heben. Auf einmal schaut alles ganz anders aus, obwohl sich nichts verändert hat. Zweifellos hat die von Kern übernommene SPÖ mit dem Wechsel ein Bravourstück an medialem Regietheater abgeliefert. Mit dem neuen Mann sind die Genossen glücklich: Sie fürchten sich nicht vor ihm, sondern ohne ihn. Die Politik bleibt zwar grosso modo gleich, aber sie kommt nun ganz anders rüber.
Professioneller verkauft wird sie allemal. Was ist schon die Lage gegen die Laune? Und so steigen, weil die Stimmung sich bessert, die Umfragewerte wieder. Man glaubt es kaum, aber man kann es messen. Es ist dieses Gieren nach dem Schein, die Kraft der Simulation, die sich hier inszeniert. Und ankommt. Definitiv. Robert Misik freut sich gar, dass Kanzler Kern alleine mit zwei Auftritten den Vorsprung der FPÖ zur SPÖ von 16 auf acht Prozentpunkte halbiert hat. Aber was heißt das? Doch nur, dass die Leute schwer beeindruckt, also leicht beeindruckbar sind. Wir haben ein formatiertes Publikum, das gut abgerichtet, in Serie reinfällt. Was im konkreten Fall aber auch meint: Eine kleine Erschütterung und diese Leute sind wieder bei Strache und Hofer. Die Dialektik von Selbsttäuschung und Enttäuschung wird perpetuiert.
Könner und Macher sind heute in. Politik darf gar nicht mehr auftreten ohne großspurig zu verkünden: „Yes we can“ oder „Wir schaffen das“. Die Einfalt erblickt darin eine Offenbarung. Angaben der Politik mutieren in pure Angeberei, aber solange die serielle Illusion regiert, regiert auch jene. Leute aus den Parteiapparaten gelten als verpönt, als Apparatschiks und Bürokraten. Manager hingegen haben etwas geleistet und sind deswegen sakrosankt. Hört man das Wort „Wirtschaftskompetenz“ werden alle ganz devot. Dass die großen Krisen gerade in der Ökonomie ihren Ausgang nehmen, wird völlig verdrängt.
Der Kanzler ist so eine modische Mischung aus Public Relations und John Maynard Keynes. Wird das Eloquente verlangt, dann hat Kern den Vorteil eloquenter zu sein, ja zur Zeit ist er am politischen Parkett der Eloquenteste. „Christian Kern wurde vergangene Woche nach seiner ersten Rede wie der Messias empfangen“, schreibt der ins Schwärmen geratene Florian Klenk, Chefredakteur des linksliberalen Falters. Beten ist angesagt.
Selten hat ein Politiker so viel an Vorschusslorbeeren erhalten wie der neue Kanzler aus Wien. Wäre nicht so einer auch was für uns? Selbst internationale Medien fühlen sich von diesem Hype gewerbsmäßig angezogen. Gut angezogen ist der Vorstandsvorsitzende auch, die Anzüge, die er trägt, sind natürlich vom Feinsten. Geschmack hat er schon, von Kunst versteht er auch was, und einschlägige Bücher sind ihm bekannt. Und wirft er dann noch den Begriff „Hegemonie“ ins Mikro, sind auch die Gramscianer aller linken Zeltlager ganz hingerissen. Der ist kein Ignorant, kein Banause. Wirklich nicht.
Allerdings ist das Können in der Politik ein Vermögen, das immer weniger verfügbar und somit einsetzbar ist. Zumindest real. Ihre Autonomie nimmt ab und ihre Potenz erschlafft zusehends. Das traut man sich aber nicht zu sagen, müsste man doch dann über die strukturellen Zwänge und die objektive Herrschaft eines Systems sprechen. Die Wahrheit ist viel grausamer: Geld lenkt, Politik schwenkt. Ungefähr so läuft es ab. An der Finanzierung verunglücken sodann die schönsten Vorhaben, und jenseits davon traut man sich nichts vorzustellen. Das Können verlegt sich mittlerweile zusehends auf Fiktion und Imagination. Kern tut so, als gäbe es kein bürgerlich-kapitalistisches Gehäuse der Politik. Er tut so, als könnten freie Akteure freie Politik in einer freien Gesellschaft machen. So als seien Verwerfungen und Verwüstungen primär auf schlechtes Personal und deren Fehlkalkulationen, vor allem aber auf unzureichende Performance und Kommunikation zurück zu führen.
Kann Kern können? Und vor allem auch: was? Welcher Natur ist dieses Können? Welche Kunst wird uns hier nahe gebracht? Weniger wichtig ist, was abgeht, sondern was ankommt. Oder eigentlich gar nicht so sehr was, sonst stets wie. Das Was indes ist ein Irgendwas und geht so und so in den einschlägigen Phrasen von „Investitionsklima verbessern“ und „Wirtschaft ankurbeln“ auf und unter. Derlei gehört zum Standardrepertoire. Dort, wo die Inhalte zusehends monolithisch und monologisch werden, ist die Form entscheidend. Der Unterschied liegt nicht darin, was sie sagen, sondern wie sie es sagen. Und Kern ist ein Meister des Sagers. Und die Sager sitzen wie Sakko und Krawatte.
Schlagwörter: Christian Kern, Franz Schandl, Herrschaft, Österreich, Politik, Public Relations, SPÖ.