19. Jahrgang | Nummer 12 | 6. Juni 2016

Außenpolitik unter Trump

von Erhard Crome

Redakteure von Der Spiegel sind klüger als andere. Das war gestern. Heute hat dieses „Sturmgeschütz“, nicht mehr „der Demokratie“, wie der einstige Herausgeber Rudolf Augstein meinte, sondern der Mainstream-Propaganda, einen Mann wie Jan Fleischhauer. Der meint, Donald Trump, der prospektive Präsidentschaftskandidat der Republikaner in den USA, vertrete außenpolitische Positionen, wie sonst nur ein Linker. Nun weiß jeder, der sich mit dem einschlägigen Schrifttum befasst hat, Fleischhauer hat ein Kindheitstrauma. Es besteht darin, dass er in einem ‘68er Elternhaus aufwachsen musste, mit Brokdorf-Demos, Birkenstock und Coca-Cola-Verbot. Deshalb riecht ihm alles, das ihm nicht so passt, „links“.
Obwohl er von 2001 bis 2005 Spiegel-Korrespondent in New York war, weiß er augenscheinlich nichts über US-amerikanische Außenpolitik. Deshalb in aller Kürze: Die Grundlinie der Außenpolitik der USA von George Washington bis zum ersten Weltkrieg wurde „Isolationismus“ genannt. Das hieß: Konzentration auf eigene Interessen und das Bemühen, sich nicht in fremde Konflikte hineinziehen zu lassen. Der Demokrat Woodrow Wilson führte das Land dann in den ersten Weltkrieg; die Gründung des Völkerbundes ging maßgeblich auf seinen Einfluss zurück. Der US-Senat lehnte die Ratifizierung des Vertrages jedoch ab. Die isolationistische Linie hatte sich nochmals durchgesetzt. Nachdem Franklin D. Roosevelt die USA in den zweiten Weltkrieg geführt hatte und unter seinem maßgeblichen Einfluss die UNO gegründet wurde, begann die lange Phase der „internationalistischen“ Politik der USA, gekennzeichnet durch Globalstrategie und militärische Interventionen. Der Isolationismus schien Vergangenheit.
Henry Kissinger, einer der Vordenker US-amerikanischer Machtpolitik, hatte jedoch bereits 1992, unmittelbar nach Ende des Kalten Krieges betont, dass es eine unilaterale Welt nicht geben könne. Die USA sind nach dem Kalten Krieg erstmals in einer Situation, eine Außenpolitik machen zu müssen, „wie sie die europäischen Nationen schon jahrhundertelang führen mussten“, nämlich eine interessengeleitete „Realpolitik“ unter der Voraussetzung einer „Balance of Power“ – also nicht eine neue Imperialpolitik. Voller Ironie machte er geltend, die USA hätten bis zum ersten Weltkrieg überhaupt keine tatsächliche Außenpolitik gehabt, und seither eine moralisierende. Bereits der Eintritt in den ersten Weltkrieg wurde nicht mit Sicherheitsargumenten begründet, sondern mit einer „moralischen Unzulänglichkeit der deutschen Führung“. Auch die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus sei unter einer derartigen moralischen Attitüde erfolgt. Zu den Eigenheiten bisheriger US-amerikanischer Politik gehört, internationale Konflikte, die sicherheitspolitisch begründet waren oder aus Machtdivergenzen beziehungsweise Interessenkollisionen herrührten, stets ideologisch aufgeladen zu haben und als „Gut-Böse“-Konstellationen zu verarbeiten.
So wurden alle amerikanischen Kriege des 20. Jahrhunderts als „gerechte“ geführt, der „guten“ USA gegen die jeweilige „Welt des Bösen“. Es ist dies der Kontext, in dem abwechselnd Saddam Hussein, Milosevic, Bin Laden, Gaddafi und Assad zum Wiedergänger von Adolf Hitler stilisiert wurden. Die Politik und Kriegsführung sowie die darum gerankte Rhetorik von Bill Clinton, Bush II und Obama standen in genau dieser Kontinuität. Die von Kissinger gemeinte Umorientierung der US-amerikanischen Außenpolitik hatte bisher nicht stattgefunden, statt dessen wurde in unterschiedlichen Variationen, mit mehr Bodentruppen unter Bush II und weniger Bodentruppen, aber mehr Kampfdrohnen unter Obama die Linie einer offensiv ausgerichteten imperialen Politik fortgesetzt, die vor allem auf Krieg und Hochrüstung setzte. Seit letzterem auch ganz offen vor der Haustür Russlands, gepaart mit der grandiosen Fehleinschätzung Obamas, Russland sei nur noch „Regionalmacht“. Dieser Imperialismus der USA mit aufwendigen Interventionen, teurer NATO und immer neuen Feinden hat aber weder Demokratie und Menschenrechte in den intervenierten Ländern, sondern nur Tod, Not und Chaos gebracht, noch für die USA zusätzliche Profitmöglichkeiten. Nur Kosten im In- und Ausland.
Mit Trump hat nun die Kissinger-Idee einer „realistischen Außenpolitik“ mit einem Vierteljahrhundert Verspätung Eingang in die außenpolitische Debatte gefunden. Und sie trägt stark isolationistische Züge. Die sind aber nicht „links“, wie Unbildung vermuten lässt, sondern waren immer konservativ. Die moralisierende Interventionspolitik wurde von Demokraten – Wilson, Roosevelt, Truman, Kennedy, Obama – geführt und immer weiter praktisch umgesetzt sowie den „Neo-Konservativen“, die Bush II beraten hatten, übernommen. Unter dieser Perspektive versucht der US-amerikanische Publizist Jacob Heilbrunn Trumps außenpolitisches Credo zu kritisieren als „ein strenger Realismus“. In der aktuellen Politikwissenschaft gilt auch der „Realismus“ als altmodisch und überholt, fragt er doch nach Machtinteressen und Machtpositionen im Streben nach Sicherheit. Damit ist er aber auch kompromissfähig. Eine „realistische Außenpolitik“ kann sich so auf Eisenhower, Nixon und Reagan berufen und steht in einer alten konservativen Tradition der USA. In diesem Sinne ist Trumps „America First“ etwas Neues, das an frühere Traditionen US-amerikanischer Außenpolitik wieder anknüpfen soll.
Am 27. April 2016 hielt Donald Trump im Mayflower-Hotel in Washington vor ausgesuchtem Publikum seine außenpolitische Grundsatzrede, in der er verkündete, was er als Präsident tun würde. Es gehe um Frieden und Wohlstand und deshalb um „eine neue außenpolitische Richtung“, in der „Ziellosigkeit durch Zweckgerichtetheit, Ideologie durch Strategie und Chaos durch Frieden“ ersetzt werden. Die USA hätten es nach dem Kalten Krieg nicht verstanden, „eine neue Vision für eine neue Zeit“ zu entwickeln. An die Stelle logischen Handelns traten „Torheit und Arroganz“, die die Außenpolitik „von einer Katastrophe zur nächsten“ führte. Im Nahen Osten führte das vom Irak zu Ägypten und zu Libyen und schließlich zu Obamas Linie in Syrien. Offen kritisiert er Obama und Hillary Clinton, die als seine Außenministerin dafür mitverantwortlich war; in der Sache ist es auch eine Kritik an der Außenpolitik der Bush-Familie und der „Neo-Konservativen“. Diese Politik stürzte die gesamte Region des Nahen Ostens ins Chaos und gab dem sogenannten Islamischen Staat überhaupt erst den Raum zur Entfaltung. Das „alles begann mit der gefährlichen Idee, wir könnten aus Ländern westliche Demokratien machen, die weder Erfahrungen damit hatten noch daran interessiert waren, westliche Demokratien zu werden“.
Der Grundbefund lautet: Die USA seien geschwächt, weil ihre Ressourcen überdehnt sind. Sie seien militärisch geschwächt, weil sie wirtschaftlich geschwächt sind. Eine wirtschaftliche Stärkung sei deshalb unausweichlich, um militärisch und außenpolitisch wieder stark zu werden. Eine kohärente Außenpolitik der USA müsse daher auf den amerikanischen Interessen und denen ihrer Verbündeten beruhen. Dazu müsse das Land „aus dem Geschäft des nation-buildung“ in anderen Ländern „aussteigen“ und auf „Stabilität in der Welt“ zielen. Im Nahen Osten müsse der Terrorismus zerschlagen werden und zugleich „die regionale Stabilität, nicht der radikale Wandel“ gefördert werden. Die Spannungen mit Russland müssen verringert und die Beziehungen verbessert werden, der „Zyklus der Feindschaft“ muss beendet werden. Die „antiquierte Mission und Struktur“ der NATO, „die noch aus dem Kalten Krieg stammen“, solle den veränderten Bedingungen angepasst werden. Auch in Bezug auf China betont Trump die Notwendigkeit guter Beziehungen, allerdings unter der Voraussetzung einer Reduzierung des Außenhandelsdefizits der USA gegenüber der Volksrepublik.
Die „westlichen Werte“ sollten in der Welt nicht durch militärische Interventionen, sondern durch die Attraktivität der Länder des Westens verbreitet werden, die auf wirtschaftlicher Leistung beruht. Hier sieht Trump den Nationalstaat als das Grundelement der Entwicklung. Das Volk der USA werde „den falschen Gesängen des Globalismus“ nicht länger folgen. Unter seiner – Trumps – Präsidentschaft werde es keine internationalen Abkommen geben, die die Fähigkeit der USA, „die eigenen Angelegenheit zu kontrollieren, beeinträchtigen“. Das meint vor allem TTIP.
Deutsche Politiker und Publizisten aus dem Mainstream haben Trumps außenpolitischen Positionen abgesprochen, dass sie „schlüssig oder gar überzeugend“ seien (Süddeutsche Zeitung), „Widerspruch reiht sich an Widerspruch“ (SpiegelOnline), der Alt-Kader des Pro-Amerikanismus Theo Sommer gar stöhnte auf: „Bloß nicht Trump!“ (ZeitOnline). Das sagt jedoch wenig über Trump aus. Vielmehr zeigt es, dass alle diese „Atlantiker“ in den vergangenen Jahrzehnten im Sinne des interventionistischen Globalismus der bisherigen USA-Außenpolitik abgerichtet wurden. Sie können offenbar nicht umdenken. Das aber bedeutet nichts Gutes für die künftige deutschen Außenpolitik.