19. Jahrgang | Nummer 10 | 9. Mai 2016

Zu den Waffen, Nerds

von Christian Stache

Derzeit zieren 18.000 Plakate des neuen Bundeswehr-Rekrutierungsfeldzugs „Projekt Digitale Kräfte“ nahezu unübersehbar die Werbeflächen in deutschen Städten. Von Mitte März bis Mitte Mai versucht das Bundesverteidigungsministerium, nach Eigenangaben „Talente und digitale Fachkräfte für den Bereich Informationstechnologie (IT)“ anzuheuern. Dazu lässt es „Anzeigen in 25 Printtiteln“ und Reklame auf „45 Online-Seiten mit Tagesfest- und Rotationsplatzierungen“ schalten. Zahlreiche Promotion-Videos und -Lebensläufe aktiver Soldaten und Soldatinnen im zivilen und militärischen Dienst, vom einfachen IT-Lanzer bis zur karriereorientierten Juniorprofessorin für Mensch-Maschine-Interaktion, schmücken die Internetseite der Kampagne. Selbstverständlich bespielt der Presse- und Informationsstab des Verteidigungsministeriums auch das gesamte Ensemble der „sozialen“ Netzwerke und Medien. Die Gesamtkosten liegen laut Angaben der Bundeswehr bei „rund 3,6 Millionen Euro“ aus dem Jahresgesamtetat 2016 für „Nachwuchswerbung“ von 35,3 Millionen Euro.
Die drei Kampagnenslogans sind provokativ. Mit der Losung „Gegen virtuellen Terror hilft kein Dislike-Button“ wird die Notwendigkeit militärischen Handelns im Internet und anderen virtuellen Netzwerken nahegelegt. Ähnliches gilt für die Suggestivfrage „Wie können wir Kriegstreiber im Netz deinstallieren?“. Die politische Marschrichtung der Werbe- und der Rekrutierungsoffensive gibt die Parole „Deutschlands Freiheit wird auch im Cyberraum verteidigt“ vor.
Das „Projekt Digitale Kräfte“ gründet auf der 12,5 Millionen Euro teuren „Arbeitgeberkampagne“ der Bundeswehr „Mach, was wirklich zählt“ aus dem vergangenen Jahr. Diese sollte laut Bundesverteidigungsministerium nur bis Februar 2016 laufen. Sebastian Wanninger vom Presse- und Informationszentrum Personal der Bundeswehr bestätigte auf Anfrage der Tageszeitung junge Welt (jW), dass es sich um „die zweite Phase der ‚Mach, was wirklich zählt‘-Kampagne“ handele. Sie adressiere eine der Problemzonen der Militärs. „Auch für andere Teilbereiche der Bundeswehr“ seien Kampagnen geplant.
Wanninger bestätigte gegenüber der jW ebenfalls, dass das „Projekt Digitale Kräfte“ wie auch schon „Mach, was wirklich zählt“ in Zusammenarbeit mit der Düsseldorfer Werbeagentur Castenow umgesetzt werde. Zu Castenows Kunden zählen neben der Bundeswehr McDonald’s Deutschland, die Leih- und Zeitarbeitsfirma DIS AG und der Fernsehsender Super RTL.
Lühr Henken, Sprecher des Bundesausschuss Friedensratschlag, kritisierte gegenüber der jW die Nachwuchswerbung dafür, dass mit LKW-Führerscheinen, Abenteurertum, Technikbegeisterung und guten Verdienstmöglichkeiten geworben wird, anstatt die harten Realitäten der Auslands- und Kampfeinsätze zu zeigen. Ralf Buchterkirchen, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, pflichtete bei: „Die heile Welt der Videos ist nur Fassade.“ Bundeswehr-Vertreter Wanninger räumte ein, es sei im Rahmen einer Kampagne immer schwierig, alle Facetten des militärischen Berufs darzustellen. „Natürlich ist das Plakat erst einmal dazu da, Aufmerksamkeit zu erregen.“
Markus Gross vom Netzwerk Schule ohne Bundeswehr NRW sieht in der forcierten Anwerbung von IT-Arbeitskräften „im Kern eine Angriffsbefähigung der Bundeswehr im Cyberspace.“ Prononciert äußerte sich Sevim Dagdelen, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses: „Die Bundeswehr sucht ‚Laptop-Krieger‘. Die Soldaten von heute kämpften „mit Keyboard und Maus“. „Ohne IT bleiben Killerdrohnen am Boden.“
Tatsächlich beabsichtigte die Hardthöhe, „die offensiven Fähigkeiten der Bundeswehr […] als unterstützendes, komplementäres oder substituierendes Wirkmittel“ zu entwickeln und einzusetzen. „Das Potenzial und die Chancen des Cyber-Raums sind hier auch in der Ausrüstung und operativen Aufstellung zu nutzen, um die Wirksamkeit des Handelns der Bundeswehr zu steigern“, heißt es weiter in der im Jahr 2015 geleakten „Strategische Leitlinie Cyber-Verteidigung“ des Bundesverteidigungsministeriums. Auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE zum „Krieg im ‚Cyber-Raum‘“ antwortete das Ministerium in Drucksache 18/69689, dass den „Cyberfähigkeiten […] eine Rolle zum Schutz der eigenen Kräfte oder zur Erhöhung eigener Wirkung“ zukomme. Auch in einem Ende April 2016 an die Öffentlichkeit gelangten internen Konzeptpapier der Bundeswehr, wird der Cyberspace als „militärischer Operationsraum“ bezeichnet.
Falk Grabsch, ein Sprecher des Chaos Computer Clubs, sagte gegenüber dem Internetportal netzpolitik.org, dass „digitale Angriffe den Charakter von Streubomben“ besäßen und „ein hohes Risiko für weite Bereiche der Zivilbevölkerung darstellen“. Er fügte hinzu: „Wir brauchen keine neuen Wege, noch mehr Kriege zu führen.“ Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung fordert von der Bundesregierung in einem Appell entsprechend, auf eine offensive Cyberstrategie zu verzichten, keine Cyberwaffen zu entwickeln und anzuwenden und sich für ein internationales Abkommen zur weltweiten Verbannung von Cyberwaffen einzusetzen.
Patrik Köbele, Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), ordnete die Kampagne der Bundeswehr ein und wies gegenüber der jW darauf hin, dass die IT-Kämpfer, die über das „Projekt Digitale Kräfte“ rekrutiert werden, für dieselben Ziele eingesetzt würden wie alle anderen Soldaten. Bei den Reklame-Offensiven gehe es um nichts anderes, als ums „Werben fürs Töten und Sterben für die Interessen des Imperialismus“. Entsprechend rät Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag und Obfrau für ihre Fraktion im Innenausschuss: „Macht, was wirklich zählt und sagt Nein zu Militarismus und Krieg!“

IMI-Standpunkt 2016/016b. Übernahme mit freundlicher Genehmigung von IMI.