19. Jahrgang | Nummer 9 | 25. April 2016

Landpartie

von Renate Hoffmann

Er ist’s. Der Frühling. Gute Zeit, um aufs Land zu reisen. – Da lebte in einem Ort, etwa zehn Kilometer südlich von der Stadt Brandenburg entfernt, Herr Friedrich Eberhard von Rochow (1734 – 1805). Er postulierte: „Studiert vor allen übrigen Kenntnissen zuerst die Natur!“ Das ist die diesjährige Lenz-Sentenz. Auf, nach Reckahn! – Schloss und Landschaftspark; barocke Kirche, alte Dorfschule mit neuem Schulmuseum. Ein Ensemble, lohnenswert, es zu besuchen.
Das Barockschloss aus der Frühzeit des 18. Jahrhunderts empfängt seine Gäste in strahlender Helle. Waren es ehemals Besucher von überall her, Freunde und Interessierte an den fortschrittlichen Gedanken und Taten des Schlossherrn von Rochow, dem Agrarreformer, pädagogischen Aufklärer im Rousseauschen Sinne und Philanthrop; so gilt der heutige Besuch im Haus einem anderen.
Das weiträumige Vestibül führt zum Museumstrakt. Einstens der „Gartensaal“, von dem aus Wohn- und Arbeitsbereich der Familie Rochow zu begehen waren. Nunmehr Schauort stattgehabter ökonomischer und sozialpädagogischer Umwälzungen aus vergangenen Tagen, getragen von Toleranz und den Maximen der Aufklärung.
Über die doppelläufige Treppe hinauf zur Beletage in den „Theatersaal“. Ein großer lichter Raum, in dessen Fenster der Park hereinblickt. Hier nun wartet die Überraschung: William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon in Reckahn an der Plane mit seinem wundersamen, duftigen, schwebeleichten, deftig-humorvollen „Sommernachtstraum“. Verwandelt von Franz Fühmann in einen Märchentext voller Zauber, Schönheit und Wohlklang (Harfe oder Flöte müssten dazu musizieren). – Dieses köstliche Spiel aus Neckerei, Verwandlung, Verwirrung, in das man hinein gezogen wird, seinem Gelächter verfällt, die erstehenden Bilder bestaunt – Fühmanns Sprache spielt es.
„Vor vielen, vielen Jahren, als das Elfenvolk noch unter den Menschen seinen Schabernack trieb…“, beginnt die Geschichte, die jedermann kennt. „Verzwickt und verzwackt, verstrickt und vertrackt“ wird sie gesponnen. Wenn sich das Geschehen von Athen in den Athener Stadtwald verlagert und der „blonde Lockenkopf Lysander“ mit „der kleinen drallen Hermia“ und das Paar des „schwarzhaarigen Demeter“ und seiner „großgewachsenen schlanken Helena“ in die Düsternis flüchten, und Furcht sie befällt, fürchtet man sich mit: „Bedenkt, es ist Nacht, da ist’s schaurig im Wald, da heulen die Eulen und rufen die Käuzchen kuiwitt, kuiwitt und flattern die Fledermäuse mit ihren nackten Flügeln, und blaue Irrlichter gaukeln und schaukeln durch den schummrigen Tann! […] Doch fürchtet euch nicht, was immer geschehen mag! Denn wunderbare Dinge werden geschehen – aber vielleicht ist das alles auch nur ein bunter Traum!“ – Titania, die Elfenkönigin, ruht auf „einer moosigen Primelwiese am Fuße uralter Eichen.“ Und Oberon, der Elfenkönig, schwingt sich „wie ein Adler zum Himmel auf“ oder beobachtet mit Puck, dem „durchtriebenen Schalk“, die „selige, verzaubert-selige, verblendet-selige Elfenkönigin“, wie sie dem verwandelten Weber Klaus Zettel „die Eselsohren krault“.
Den erheiternden Disput zwischen den Handwerkern während der Probenarbeit zum Schauerstück von Pyramus und Thisbe möge jeder selber nachlesen. – Alles führt, wie bei Shakespeare, zum guten Ende. Nur solle man aufmerksam sein, vielleicht begänne ganz in der Nähe ein neuer Sommernachtstraum…
Auf lebendige, gewitzte, temperamentvolle, auch stille Weise erzählt, spielt, liest die Schauspielerin Elisabeth Richter-Kubbutat meisterlich das Mittsommernachtsmärchen. Susanne Erhardt begleitet feinfühlig Fühmanns Poetik mit Blockflötenmusik. Sie hat dazu Kompositionen von Vivaldi, Telemann, Sammartini und Van Eyck ausgewählt.
Noch ein wenig benommen, verzwickt und verzwackt, begebe ich mich in das Grünen und Blühen des großen Parkes. Er frönte dem Ideal der „Schönen Gartenkunst“. Wege und Wasser im Naturraum, übergehend in Wiesen und Ackerland. Nutzen und Geselligkeit, Freude dem Auge und Ruhe der Seele.
In Majestät und rosafarbener Pracht residiert am Weg eine Magnolie. Sie zählt zu den „Ältesten“ des Gehölzbestandes. Versandete oder zugeschüttete Wasserläufe sind noch erkennbar. An den Böschungen wehen Trauerweiden sanftes Grün; Scharbockskraut siedelt und steckt gelbe Blüten auf. Buschwindröschen, die schüchternen, bilden kleine weiße Teppiche. In der Vielzahl wächst ihnen Mut zu. Das  muntere Flüsschen Plane fließt vorbei. Amselgesang und Taubenruf und die ersten Veilchen.
Gab Friedrich Eberhard den Auftakt, so gebührt es William, (den die Zeitgenossen ob seiner Lyrik den „honigzüngigen Dichter“ nannten) den Schlussakkord zu setzen. Sonett Nr. 38: „Meine Muse. Du selbst gabst Inhalt allem, was ich sang, / Und hauchtest ihm den Lebensatem ein; / Und darum sag ich: Du bist es allein, / Dem für mein Dichten zukommt aller Dank…“