von Edgar Benkwitz
Es ist kaum drei Monate her, da keimte Hoffnung in den dauerhaft gespannten Beziehungen zwischen Indien und Pakistan. Die Regierungschefs beider Länder hatten in Paris ein längeres vertrauliches Gespräch, in dessen Nachgang Einigung über einen „umfassenden Dialog“ erzielt wurde. Alle Probleme zwischen beiden Staaten sollten erörtert und nach Lösungen gesucht werden. Als Zeichen des guten Willens landete am Jahresende überraschend der Premierminister Indiens, Narendra Modi, in Lahore, um seinem Kollegen Nawaz Sharif zum Geburtstag zu gratulieren und an der Hochzeit von dessen Enkeltochter teilzuhaben. Die Bilder zeigen Modi und Sharif, den Hindu und den Muslim, freundschaftlich Hand in Hand. Die Erwartungen waren hoch, dass es endlich gelingen würde, das Verhältnis beider Staaten in zivilisierte, dem Völkerrecht genehme Bahnen zu lenken.
Doch es kam wieder einmal anders und die Skeptiker, denen der schnelle Gang der Dinge sowieso nicht geheuer war, sollten vorerst recht behalten. Der große indische Luftwaffenstützpunkt Pathankot, an der nordwestlichen Grenze zu Pakistan gelegen, wurde Anfang Januar von Terroristen überfallen. Die Schießerei dauerte mehrere Tage, sieben indische Soldaten verloren ihr Leben. Die sichergestellten Handys und der rekonstruierte Telefonverkehr der sechs erschossenen Terroristen wiesen eindeutig auf Auftraggeber in Pakistan hin. Konkret wurde die militante Organisation Jaish-e-Mohammad(JeM), deren führender Kopf Maulana Masood Azhar und sechs weitere Personen genannt. Pakistans Regierung musste eine umgehende Aufklärung versprechen, die Anti-Terror-Abteilung der Polizei schuf einige Wochen später die rechtliche Basis für polizeiliche und juristische Ermittlungen. Präventiv wurden Büros der JeM geschlossen und Masood Azhar unter polizeiliche Schutzhaft gestellt.
So weit, so gut – aber seit dem Anschlag ruht das Vorhaben beider Regierungen, die Beziehungen zwischen ihren Staaten voranzubringen; der anvisierte Dialog wurde verschoben. Entspannungsfeindliche Kräfte in Pakistan hatten wieder einmal ihr Ziel erreicht und wie so oft in den beiden letzten Jahrzehnten einen beginnenden Normalisierungsprozess empfindlich gestört, wenn auch diesmal nicht zum Erliegen gebracht. Der Zwischenfall liegt nunmehr in den Händen der Sicherheitsberater beider Regierungen. Pakistan möchte ihn in den Hintergrund rücken und schlägt neue Termine für Treffen auf hoher Ebene vor.
Doch Indien verlangt erst einmal Zusicherungen, damit die antiindische Propaganda islamistischer Organisationen sowie deren Terroraktionen unterbunden werden. Dass diese Forderung begründet ist, zeigt das Auftreten von Hafiz Saeed, Chef der Jamaat-ud-Dawa(JuD), der im pakistanischen Teil Kaschmirs vor einer begeisterten Menge den Anschlag auf Pathankot lobte und zu ähnlichen Taten aufrief. Hafiz Saeed ist in der Terrorszene kein Unbekannter. Indische Behörden beschuldigen ihn, bei dem verheerenden Attentat im November 2008 in Mumbai die Fäden gezogen zu haben. In Prozessen dazu in Indien und in den USA (unter den 168 Opfern befanden sich sechs US-Bürger) wurde er als einer der Auftraggeber belastet. Die USA setzten 2012 ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar auf ihn aus. Aber in Pakistan gilt er als unbescholten. Die Beweise gegen ihn würden nicht ausreichen, so jüngst der pakistanische Außenminister.
Es sind die pakistanischen Verhältnisse – die Verflechtung von Politik, Militär und Islam, die internationale Forderungen nach einem konsequenten Vorgehen gegen alle Formen des Terrorismus weitgehend abprallen lassen. Pakistan bezeichnet sich selbst als dessen Opfer und weist auf die jüngsten schweren Anschläge der Taliban auf Einrichtungen im Lande hin. Aber das ist letztendlich ein hausgemachtes Problem. Das Jahrzehnte geduldete und geförderte islamistisch-fundamentale Gedankengut ist in vielen Fällen so außer Kontrolle geraten, dass es eine reale Gefahr für das pakistanische Staatswesen geworden ist.
Nach dem Terroranschlag auf die Schule in Peschawar im Dezember 2014 verkündete die pakistanische Regierung einen Nationalen Aktionsplan gegen den Terrorismus im Land. Neben militärischen und polizeilichen Operationen sieht er auch eine Registrierung und Regulierung religiöser Seminare(Madrasa) vor, ihre Schließung bei Hassreden und Verbreitung von jihadistischem Material. Eine Unterscheidung in „gute“ und „schlechte“ Taliban sollte nicht mehr gemacht werden. In der Tat werden die „schlechten“, deren Aktivitäten gegen den pakistanischen Staat gerichtet sind, mit großer Härte bekämpft. Weitgehend toleriert werden allerdings nach wie vor jene, die ihre Aktivitäten gegen Indien richten.
Es ist kein Geheimnis, dass es direkte Verbindungen zwischen dem militärischem Geheimdient (ISI) und islamistischen Organisationen in der Vergangenheit gab und offensichtlich noch gibt. Erst kürzlich legte der frühere Armeechef und spätere Präsident Pakistans, Pervez Musharraf, offen, dass der ISI Kämpfer der Organisationen JeM und der LeT ausbildete. Das indische Kaschmir ist das Hauptziel dieser Kämpfer, wo die bestehende instabile Lage weiter angeheizt werden soll. Fast täglich gibt es Meldungen über Grenzverletzungen und Schießereien an der Staatsgrenze beziehungsweise Waffenstillstandslinie des Bundesstaates Jammu und Kaschmir zu Pakistan. Nach Angaben des indischen Innenministeriums gab es hier 2015 121 gewaltsame Infiltrationsversuche, bei denen 46 Bewaffnete von indischen Sicherheitskräften erschossen wurden.
Die Unterstützung des gegen Indien gerichteten Terrorismus durch die pakistanische Armee wird auch von Michael Hayden, ehemaliger CIA-Direktor und Chef der Nationalen Sicherheitsbehörde der USA, bezeugt. Er beklagt in seinem jüngsten Buch das Doppelspiel der pakistanischen Führung. Indem er feststellt, dass die pakistanischen Streitkräfte für einen Einsatz gegen Indien, aber nicht zur Terrorbekämpfung aufgebaut sind, berührt er eine grundsätzliche Frage. Ist das pakistanische Militär überhaupt an normalen Beziehungen zu Indien interessiert, würden solche Beziehungen nicht seiner Legitimität den Boden entziehen?
In der Terrorismusbekämpfung bemüht sich Indien verstärkt um internationale Unterstützung. Die Stellungnahmen der US-Administration und Präsident Obamas, die erstmalig von einer Beseitigung aller Terrornester in Pakistan sprachen, wurden begrüßt. Gleichzeitig wird verlangt, dass diese Forderung auch wirksam untersetzt wird, beispielsweise durch eine Kürzung der Militärhilfe. Doch das Gegenteil findet statt. Dieser Tage hat die US-Administration die Lieferung von acht F-16 Kampfflugzeugen im Wert von 700 Millionen Dollar beschlossen. Den starken indischen Protesten – unter anderem wurde der US-Botschafter in Neu Delhi einbestellt – wurde entgegnet, dass Pakistan diese Kampfjets zur Terrorbekämpfung brauche. Ein falsches Signal zur falschen Zeit, so die allgemeine indische Einschätzung, die die Stärkung der pakistanischen Streitkräfte kurz nach dem Terroranschlag in Pathankot im Auge hat. Indien bemüht sich jetzt, den Drahtzieher des Pathankot-Attentates, Masood Azhar, in die Anti-Terror-Liste des UN-Komitees 1267 aufnehmen zu lassen. Ein früherer Versuch dazu wurde bezeichnender Weise von China, dem „Allwetterfreund“ Pakistans, vereitelt.
Indien und Pakistan – eine Konfliktgeschichte ohne Ende? Fast scheint es so. Man kann nur hoffen, dass es verantwortlichen Kräften in Pakistan gelingt, Vernunft walten zu lassen und mit seinem großen Nachbarstaat einen modus vivendi des Zusammenlebens zu finden. Der gegenwärtige Zustand verleiht leider auch der starken hindunationalistischen Strömung in der indischen Gesellschaft einen kräftigen Schub. Hier mehren sich die Stimmen, es Pakistan mit gleicher Münze heimzuzahlen. Im Blick ist dabei die an der Grenze zu Iran und Afghanistan gelegene Unruheprovinz Belutschistan.
Schlagwörter: Edgar Benkwitz, Hindunationalismus, Indien, ISI, Islamismus, Kaschmir, Pakistan, Terrorismus