19. Jahrgang | Nummer 7 | 28. März 2016

Ich lebe auf einer Insel

von Arndt Peltner, Oakland, Kalifornien

Seit fast einem Jahr tobt der amerikanische Wahlkampf. Er ist laut, brutal, fies, dreckig und dennoch so unterhaltsam. So etwas hat selbst Amerika noch nicht gesehen. Jegliche Wahlkampfplanung steht Kopf. Das liegt sicherlich an Donald Trump, der republikanische Fernsehdebatten zu Live-Events gemacht hat. Politische Diskussionen erreichen derzeit höhere Einschaltquoten als Sportveranstaltungen. Die Networks lieben den Donald, bieten ihm bereitwillig eine Plattform. Trump bekommt die Sendezeit, die er will, ohne dafür auch nur einen Cent auszugeben. Belohnt werden die Nachrichtenkanäle mit deutlichen Worten, verbalen Tiefschlägen, Schockforderungen und am Ende steht: „We will make America great again“. Was soll man dazu noch sagen?
Die republikanischen Kandidaten bekriegen sich im Vorabendprogramm. In unbedeutenden Kleinststaaten, wie Iowa und New Hampshire, sind wichtige Entscheidungen getroffen worden, ernstzunehmende Kandidaten mit konservativen Visionen und Programmen schieden nach den dortigen Vorwahlen aus. Und das, obwohl nur ein paar tausend Wähler überhaupt ihre Stimme abgaben.
Wir hier in Kalifornien bekommen am Ende meist nur noch das Recht eingeräumt, den auserwählten Kandidaten abzunicken. Erst im Juni in einer der letzten Vorwahlen wird im bevölkerungsreichsten Bundesstaat gewählt. Doch dann steht meist schon eine Entscheidung auf einen Kandidaten fest. Ein Scott Walker, ein Rick Perry, ein Chris Christie, ein Jeb Bush und zahlreiche andere sind dann schon lange nicht mehr auf den Wahlzetteln zu finden. Eigentlich wären die Vorwahlen bis zum Urnengang im Juni gelaufen, doch auch das scheint diesmal anders zu sein.
Bei den Republikanern droht ein Fiasko, denn keiner der Kandidaten, auch ein Donald Trump nicht, werden die notwendigen Delegiertenstimmen bis zum Parteikonvent im Juli erhalten. 1.237 Stimmen müssen es sein. Trump wird wohl die Mehrheit der Stimmen bekommen, aber eben nicht die Marke überspringen, um so die Nominierung abzusichern. Was droht, ist ein Parteitag, auf dem sich offen gefetzt wird. Die Fernsehnation wird live dabei sein.
Diese Aussicht macht Kalifornien für die Kandidaten interessant, denn hier werden 172 Delegiertenstimmen vergeben. Das wäre kurz vor dem Parteitag noch ein deutliches Signal an das Establishment der Partei, keine Hinterzimmerdeals zu schließen und einen Drittkandidaten zu nominieren.

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Es ist wirklich ein Wahlkampf der Extreme. Auf der einen Seite der ausländerfeindliche Posaunenchor der Republikaner. Auf der anderen Seite ein erklärter Sozialist, der mit seinen politischen Ideen und Forderungen die gesamte demokratische Partei weiter nach links zieht. Bernie Sanders, der Senator aus Vermont, drückt dem US amerikanischen Wahlkampf seinen eigenen Stempel auf. Sanders zieht Millionen von jungen Wählern an, und das mit der Forderung nach einer politischen Revolution in den USA. Das sind ganz neue Töne in einem Land, in dem so mancher Kommentator Präsident Barack Obama mal als „Nazi“ und mal als „Sozialist“ beschimpft. Bernie Sanders macht Sinn in diesem Wahlkampf, als einer der wenigen Kandidaten. Anfangs noch belächelt sind er und seine Unterstützer zu einer wichtigen Kraft geworden. Die demokratische Frontrunnerin und wahrscheinliche Kandidatin der Partei, Hillary Clinton, ist in den vergangenen Wochen und Monaten politisch immer weiter nach links gerückt. Sie greift mittlerweile ganz offen und auch überzeugend Themen auf, die Bernie Sanders zuerst angesprochen hat. Das muss sie auch, denn in den Umfragen wird deutlich, dass ihr die Unterstützung der jungen Wähler fehlt. Im Kampf ums Weiße Haus braucht Clinton jede Stimme.
Die republikanischen Kandidaten wissen nicht so recht, wie sie Sanders einordnen sollen. Mal wird er in einem Atemzug mit Fidel Castro, dann mit Vladimir Putin und dann mit Kim Jong-Un genannt. Was zeigt, dass die Republikaner keine Ahnung haben und Bernie Sanders schlichtweg falsch einschätzen. Dessen Aussagen und politische Visionen erinnern eher an traditionelle sozialdemokratische Werte: Gerechter Lohn, Gleichberechtigung von Mann und Frau, gegen Rassismus, Entmachtung der Wall Street und Lobbyisten. Bernie Sanders will bis zum Schluss, bis zum Parteikonvent in Philadelphia kämpfen, das ist sein gutes Recht.
Doch schon jetzt hat er sein Ziel erreicht. Er hat es geschafft, dass soziale Missstände im Land offen angesprochen und diskutiert werden, darunter auch die hohe Verschuldung von Uni-Absolventen. „Bernie“ geht in die Geschichte ein, als jemand, der mit hochgereckter Faust nach einer politischen Revolution in den USA ruft, der eine nationale und internationale Solidarität einfordert. Und das unter dem lauten Jubel zehntausender zumeist junger Wählerinnen und Wähler. Das gibt Hoffnung in einem Land, dass viel mehr ist als nur die grotesken Forderungen eines Donald Trump.

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Hier in Kalifornien kann der Senator aus Vermont noch einmal so richtig punkten. In der San Francisco Bay Area trifft Sanders auf große Unterstützung. An vielen Autos sieht man Autoaufkleber „Feel the Bern“, in den Vorgärten die Schilder „Bernie 2016“. In den progressiven Medien-Outlets der Region, wie KPFA und KALW, hofft man auf den Erfolg von Sanders und darauf, dass die demokratische Partei auch unter einer Kandidatin Hillary Clinton einen deutlichen Linksrutsch durchführt.
In meiner Nachbarschaft, in Oakland-Montclair, scheint ein Cluster von Bernie Sanders Unterstützern zu leben. Straßenschilder, Aufkleber und selbst in den Cafés und bei Spaziergängen mit meinem Hund im Wald höre ich, wie über Bernie Sanders gesprochen wird. Am letzten Wahltag war ich nachmittags draußen und gleich mehrere Vorbeikommende fragten, ob ich schon wüsste, wie Bernie abgeschnitten habe.
Die Bay Area ist eine politische Insel, die sicherlich nicht den Rest Kaliforniens und der USA spiegelt. Aber mal ehrlich, gerade das macht diese Region auch so attraktiv, spannend, interessant. Wer will schon in Kansas wohnen, neben einem Nachbarn, der ein Ted Cruz Rasenschild im Vorgarten stehen hat?