19. Jahrgang | Nummer 7 | 28. März 2016

Antworten

Brigitte Fehrle, Chefredakteurin der Berliner Zeitung – Am Tag nach den Terroranschlägen von Brüssel kommentierten Sie: „Der IS bekämpft unsere Freiheitsliebe, unsere Toleranz, unsere Rechtsstaatlichkeit und unsere Friedfertigkeit mit brutaler Gewalt. Mit welchen ‚Waffen‘ werden wir zurückschlagen?“
Die Frage kann doch nur eine rhetorische gewesen sein – oder spricht irgendetwas dafür, dass wir, der Westen, nicht genau mit eben jenen Waffen zurückschlagen werden, mit denen die Tolerantesten und Friedfertigsten unter uns bereits erst die Nah- und Mittelostregion und anschließend Libyen ins Chaos geschossen und gebombt und damit den Boden für den IS erst so richtig bereitet haben?

Sir Kenneth Adam, Szenenbildner – Als Klaus Adam, Sohn einer großbürgerlichen jüdischen Familie 1921 in Berlin geboren, sahen Sie als 13-Jähriger den Reichstag brennen und emigrierten gerade noch rechtzeitig nach Großbritannien. In den Reihen des fliegenden Personals der Royal Air Force im Kampf gegen Hitlerdeutschland waren Sie einer von lediglich drei Kombattanten mit deutscher Staatsbürgerschaft.
In den 1950er Jahren stießen Sie zum Film. Bereits die ersten beiden Streifen, an denen Sie beteiligt waren, zählen bis heute zu den besten ihres Genres: „Der Königs Admiral“ (1951) und „Der rote Korsar“ (1952). Bald agierten Sie als Szenenbildner, heute neudeutsch Productdesigner. Dieser Profession blieben Sie bis 2001 treu, schufen für insgesamt sieben James Bond-Filme deren unverwechselbares Ambiente, darunter für den absoluten Klassiker der Reihe, „Goldfinger“, und erhielten für zwei andere, eher belanglose Streifen („Barry Lyndon“, 1976, und „King George – Ein Königreich für mehr Verstand“, 1995) je einen Ausstattungs-Oscar und wurde noch mehrfach nominiert, unter anderem für die hinreißende Jules-Verne-Verfilmung „In 80 Tagen um die Welt“ von 1957. Keinen Oscar allerdings gab es für Ihr mit Abstand bestes Filmset für die irrwitzig-böse Weltuntergangsgroteske „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ von Stanley Kubrick (1964), die, mitten im Kalten Krieg, den bis heute im Zweifelsfalle mehrheitlich eher konservativen und plattpatriotischen Juroren der Academy of Motion Picture Arts and Sciences wohl politisch viel zu unkorrekt war. Der von Ihnen dafür entworfene War Room (ein Kommandobunker unter dem Weißen Haus), in dem der US-Präsident seine militärische und sonstige Entourage um sich versammelt, um über das Schicksal der Welt zu entscheiden, wurde zum Menetekel der thermonuklearen Apokalypse, die damals drohte und mit der der Film endete. Im Übrigen geriet der War Room so realistisch, dass Präsident Ronald Reagan sich nach seinem Einzug ins Weiße Haus 1981 nach dem Standort des Kommandobunkers erkundigt haben soll.
Jetzt sind Sie, 95-jährig, in London verstorben. Wir neigen unsere Häupter vor einem großen Künstler.

Sigmar Gabriel, konsequent Schlingerkurs Haltender – Sie hatten einen Solidarpakt vorgeschlagen: bezahlbare Wohnungen und Kinderbetreuung für alle, um dem Vorwurf zu entgehen,staatliche Maßnahmen seien nur für Flüchtlinge und ließen die „eigenen“ Armen außen vor. Gut gebrüllt, Löwe! Sie erhielten dafür viel Kritik, immerhin brachten Sie mit der Idee scheinbar die „schwarze Null“ von Bundesfinanzminister Schäuble in Gefahr. Ihre Konsequenz – „Weder sind Steuererhöhungen nötig noch neue Schulden“, sprich Rückzug – hat uns aber nicht enttäuscht. Leider. Kritik verdienten Sie nicht für den Vorstoß, sondern für den Rückzug, schrieb Jacob Augstein, dem wir uns nur anschließen können.

Regine Sylvester, geschätzte Kollegin – In einem Beitrag zur Flüchtlings-Debatte und -Politik sowie zur abschwellenden Willkommenskultur im Lande erinnerten Sie kürzlich in der Berliner Zeitung an den Besuch der Bundeskanzlerin in einer Flüchtlingsunterkunft in Heidenau und daran dass „Volksverräterin“ noch das am wenigsten zotige Schimpfwort war, mit dem Angela Merkel dort von wütenden Einheimischen empfangen wurde. Sie konstatierten sehr zutreffend: „Wenn das Mitgefühl verschwindet, kommt die Schamlosigkeit zu großen Auftritten.“ Und Sie warnten: „Eine Gesellschaft ohne Einfühlungsvermögen erkaltet, weil sich kein Gemeinsinn ausbildet, keine Solidarität, kein Respekt gegenüber Schwächeren. Erst das Mitgefühl macht den Menschen zum sozialen Wesen.“
Wir sind da ganz bei Ihnen, befürchten aber, dass dieses Kind in dieser Gesellschaft schon länger und unwiderruflich im Brunnen liegt. Gemeinsinn, Solidarität, Respekt gegenüber Schwächeren – wo waren die, als nach Vollzug der deutschen Einheit durch das Agieren der Treuhand Millionen Neu-Bundesbürger arbeitslos wurden, wo waren die bei den Ausschreitungen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen zu Beginn der 1990er Jahre, wo waren die, als die Hartz-Gesetzgebung über die Betroffenen kam? Perdu – nicht zuletzt dank Durchökonomisierung des gesamten menschlichen Lebens unter dem Diktat permanenter Gewinnoptimierung im neoliberalen Spätkapitalismus. Ob daran noch etwas zu ändern ist? Wir haben unsere Zweifel. Was uns allerdings nicht daran hindert, immer wieder aufs Neue Luther die Ehre zu geben: „Und wüsste ich, dass morgen …“