von Ulrich Kaufmann
Im Januar 1953 erschien das erste Heft der Neuen Deutschen Literatur (NDL), einer Zeitschrift, die zunächst von den aus dem Exil zurückgekehrten Schriftstellern Willi Bredel und Franz Carl Weiskopf geleitet wurde. Weiskopf starb jedoch bereits im September 1955 infolge eines Herzinfarkts nach einer hitzigen Debatte im Vorstand des DDR-Schriftstellerverbandes, als dessen Organ die Zeitschrift auch fungierte. Die NDL erschien monatlich zum Preis von 2,50 Mark in einer Auflage zwischen acht- und zehntausend Exemplaren. Die insgesamt 555 Hefte dokumentieren alle Höhe- und Tiefpunkte des versunkenen Landes und seiner Literatur. Achim Roscher, der in verschiedenen Positionen vom ersten bis zum letzten Heft zur Redaktion gehörte, stellt in seinem jetzt erschienenen Buch Jahr für Jahr die neu gewonnenen Beiträger und inhaltlichen Schwerpunkte vor. Er vergisst keinen seiner ehemaligen Mitstreiter zu nennen, auch nicht die Sekretärinnen der Redaktion.
Namhafte Mitarbeiterinnen in den frühen Jahren waren, neben vielen anderen, Eva Strittmatter und Christa Wolf, die Mitte der fünfziger Jahre die Zeitschrift für kurze Zeit kommissarisch leitete. Geadelt wird Roschers Band durch Faksimiles zustimmender, Mut machender Briefe der Nobelpreisträger Hermann Hesse und Thomas Mann an Weiskopf. Auch Briefe von Arnold Zweig, Peter Huchel, Brigitte Reimann, Christoph Hein und Peter Hacks, der der Zeitschrift in besonderer Treue verbunden blieb, werden dokumentiert. Von Anna Seghers kann man gar eine Seite mit handschriftlichen Korrekturen ihrer zu Recht gerühmten Novelle „Das wirkliche Blau“ (1968) studieren.
Roscher zeigt unaufgeregt und sachlich an Beispielen, wie die SED nicht selten in die Redaktionsarbeit hineinregierte. Mitunter mussten Texte „führender Genossen“ (Ulbricht, Hager …) als Leittexte das jeweilige Heft eröffnen. Die Zeitschrift hatte – gegenüber den Verlagen – dennoch den Vorteil, dass nicht jeder zum Druck vorgesehene Text der Hauptverwaltung Verlage im Kulturministerium vorgelegt werden musste. Immerhin gelang es weitestgehend, das Hick-Hack um die Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976 aus der Zeitschrift herauszuhalten. Im Getöse anderer Medien war bereits genügend Porzellan zerschlagen worden. Allerdings hatte die NDL insgesamt weniger kulturpolitischen Spielraum als die auch international noch breiter wahrgenommene Zeitschrift Sinn und Form, die in der Akademie der Künste beheimatet war und ist. Dort konnte im Sommerloch 1975 immerhin Volker Brauns viele Tabus brechende „Unvollendete Geschichte“ zum Druck vorbereitet werden, freilich nicht ohne Folgen.
Trotz des Titels Neue Deutsche Literatur ist verständlich, dass darin vor allem DDR-Autoren debütierten oder (wie Erwin Strittmatter beispielsweise) regelmäßig neue Texte ganz oder in Ausschnitten zum Druck gaben. Mitunter wurden thematische Hefte erarbeitet (so etwa jenes zu „Literatur und bildender Kunst“, Heft 11/1977). Ebenso gelang es, schwerpunktartig Literatur der BRD, „Stimmen aus Österreich“ und der Schweiz, seltener auch rumäniendeutsche Texte vorzustellen. In vielen Heften wird deutlich, welche Kontakte es zwischen DDR-Autoren und Schriftstellern der sozialistischen Staaten gab.
Achim Roscher, der fast ein Leben lang ganz im Dienste einer (seiner) Zeitschrift stand, hat daneben eine beträchtliche Publikationsliste als Autor und Herausgeber aufzuweisen. Im Laufe der Jahre führte er, zunächst für die NDL, viele Interviews mit Dichtern, ebenso aber mit Fritz Cremer, Otto Niemeyer-Holstein, Peter Schreier, Wieland Förster und anderen Künstlern. Diese Gespräche hat er in zwei Büchern präsentiert.
Im vorliegenden Band dokumentiert Roscher in Text und Fotografie überdies, wie sich das Cover der Zeitschrift im Gang der Jahrzehnte änderte. Als der Aufbau Verlag nach fünf Jahrzehnten sein Interesse an der NDL verlor, übernahm der Hamburger Verlag Schwartzkopff die Zeitschrift. Das Experiment, aus der NDL ein reich bebildertes Magazin zu machen, das es an jedem Kiosk gibt, schlug jedoch fehl, es wurde von den Lesern nicht angenommen.
Roschers lesenswertes Buch ist auch ein Nachschlagewerk, dem man unbedingt ein Namensregister gewünscht hätte. Schon 2003, zum Jubiläum der Zeitschrift, sollte der Band vorliegen. Sponsoren machten es möglich, dass wir das Buch, das so viele Sachverhalte der Literaturgeschichte aus einem halben Jahrhundert erhellt, nun in den Händen halten können.
Achim Roscher: In den Heften und zwischen den Zeilen – „Neue Deutsche Literatur“ – Eine Zeitschrift im deutsch-deutschen Geschichtsfeld 1953-2003. Edition Schwarzdruck, Gransee 2015, 283 Seiten, 25 Euro.
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