von Thomas Behlert
Schön und sehr interessant ist es, wenn Verlage zwischen all den Romanen auch mal ein Buch herausgeben, mit dem das Werk längst verstorbener Journalisten gewürdigt wird. Hier kann man sich dann durch eine längst vergangene Zeit lesen, erfährt etwas über die Schreibweise des Autors und wie wichtige Ereignisse der damaligen Zeit angegangen wurden. So liegt nun ein 640 Seiten dickes Taschenbuch von Joseph Roth vor.
Roth wurde am 2.9.1894 in Brody/Ostgalizien geboren und verstarb am 27. Mai 1939 im Exil in Paris. Bis ins letzte Detail wird man Joseph Roths Leben wohl nie aufklären, denn er verschleierte gerne und machte sich zum Gegenstand von Mystifikationen. Er nannte immer wieder andere Geburtsorte und dichtete seinem Vater, der des Wahnsinns verfiel, andere Berufe an. Mal war dieser ein polnischer Graf, dann ein Munitionsfabrikant, aber in Wirklichkeit ging der Vater als Getreidehändler durchs Leben. Die Familie ignorierte weitestgehend den Vater, denn im orthodoxen Judentum, zu der die Familie Roth gehörte, wurde Wahnsinn als Fluch Gottes angesehen. Während seiner bürgerlichen Kindheit, die laut Roth angeblich arm und schwer war, besuchte er ein Gymnasium und ging später zum Studium nach Lemberg und Wien. In der österreichischen Hauptstadt studierte er Germanistik.
Für den Kriegsdienst wurde Joseph Roth als untauglich eingestuft. Da aber all seine Freunde und Bekannten in den 1. Weltkrieg zogen, bekam der Schriftsteller ein schlechtes Gewissen und meldete sich freiwillig zu den Feldjägern.
Nach dem Krieg schrieb Roth dann weiter für verschiedene Zeitungen, so für den Berliner Börsen Courier, viele Reiseberichte für die Frankfurter Zeitung, unter Pseudonym für den damals noch fortschrittlichen Vorwärts und schließlich für das vorzügliche Prager Tagblatt. Mittlerweile lebte der Journalist und Romancier schon im Pariser Exil. Das Tagblatt war zu dieser Zeit für seine liberale und demokratische Gesinnung weit über die Grenzen der Tschechoslowakei berühmt und präsentierte ein vorzügliches Feuilleton, für das in den zwanziger Jahren Autoren schrieben, die in der deutschen Literatur Rang und Namen hatten. Artikel über die Entwicklung in Deutschland kamen in die Zeitung und einige Romane Roths in Fortsetzungen.
Nun hat man im Diogenes Verlag den Mut aufgebracht, eine Sammlung mit Roths wichtigsten Tagblatt-Artikeln zu veröffentlichen. Mit Hingabe und sehr viel Fachkenntnis stellte der Literaturwissenschaftler Helmut Nürnberger, der sich vorwiegend mit der deutschen und österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigt, wichtige Glossen, Feuilletons und Reportagen im Buch „Heimweh nach Prag“ zusammen. So kann man im Text „Im russischen Parkett“ etwas über das Publikum in russischen Theatern lesen, das in den Pausen staunt, dass auch der Gesprächspartner die Revolution überlebt habe. Roth schreibt viel über die von ihm besuchten Hotels, sogar einen Artikel über Nackttänze, über das Sechstage-Rennen, auch mal über Christian Morgenstern und erst recht über Lemberg. Herrlich und vergnüglich sind, neben vielen anderen, die Geschichten: „Wir versaufen unsern Ebert sein Zylinder“, „Ein junger Confèrencier“ und die „Sentimentale Reportage“.
Wer sich gerne in eine vergangene Zeit versetzen möchte, die überhaupt nicht golden war, sich an einem sehr guten Schreibstil ergötzen will und nichts mit den heutigen Bestsellern anfangen kann – oder einfach nur Anregungen für die eigene Arbeit benötigt, ist mit Joseph Roths „Heimweh nach Prag“ gut beraten.
Joseph Roth: Heimweh nach Prag. Feuilletons – Glossen – Reportagen für das „Prager Tagblatt“, Diogenes, Zürich 2015, 640 Seiten, 19,90 Euro.
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