von Peter Petras
Allenthalben in Europa wird versucht, die Anschläge von Paris zu erklären. Die kroatische Zeitung Slobodna Dalmacija schrieb, es seien „nicht alle Moslems Terroristen, aber alle Terroristen dieser neuen Welle der Gewalt Moslems“. Deshalb handele es sich hier um einen religiös-zivilisatorischen Krieg radikaler Moslems gegen Christen und andersgläubige Moslems, der nicht nur in europäischen Metropolen stattfinde, sondern auch in Syrien, dem Irak, Afghanistan, Pakistan, der Türkei, Ägypten, dem Libanon, Nigeria, Kenia, Mali, Bosnien und so weiter. „Die Terroristen aus Paris, London und Madrid sind oft in genau diesen Städten geboren, ausgebildet und beschäftigt.“
Der tschechische Präsident Miloš Zeman geht davon aus, dass Islamisten in Europa die Scharia über die staatliche Verfassung stellen, und weckte in Bezug auf die muslimischen Flüchtlinge, die in sein Land kommen, Assoziationen mit der deutschen Besetzung nach 1938.
Die konservative ungarische Zeitung Magyar Idők verwies auf die „Völkerwanderung“, die Gegenbewegung zu der jahrhundertelangen Ausbeutung der ehemaligen Kolonien durch Europa sei. Die Bewohner der ehemaligen Kolonien wollten ihre eigenen Güter und Ressourcen zurück erhalten, ihr rechtmäßiges Erbe. Dabei sei ihnen gesagt worden, „dass Europa tot ist. In biologischer wie in ideologischer Hinsicht sind doch die Europäer weder fähig, sich fortzupflanzen noch imstande, an irgendetwas zu glauben.“ Die aus den Kolonien auf Europa zumarschierten, fühlten sich als Auserwählte: „Sie werden ein neues Reich schaffen: Eurabien. Mit muslimischen Bewohnern, riesigen Moscheen und ungeheuer viel Geld.“
Tatsächlich sind derzeit etwa 5.000 Dschihadisten, wissen die entsprechenden Dienste, beim sogenannten Islamischen Staat in Syrien und Irak „im Einsatz“, die aus Europa stammen. Ende 2014 wurden erst etwa 2.600 gezählt, darunter aus Frankreich 700, aus Großbritannien 500, Deutschland 400, Belgien 300, den Niederlanden 150 und Schweden 100. Gemäß einer Analyse, die 2014 über die deutschen Islamisten gemacht wurde, die seit Mitte 2013 nach Syrien gegangen waren, hatte nur jeder vierte einen Schulabschluss, sechs Prozent hatten eine Ausbildung abgeschlossen, zwei Prozent ein Studium. Das scheint doch für die soziologische These zu sprechen.
Der französische Politologe Olivier Roy, der sich seit Jahrzehnten mit den Veränderungen in den islamischen Ländern und den islamischen Gemeinschaften in Europa beschäftigt, betonte ebenfalls, dass es sich um eine Revolte sozial Benachteiligter handelt. Sie fragten ihre Eltern, warum sie in Europa seien. Und die Eltern können das nicht erklären. „Wir kamen für ein besseres Leben.“ Aber die Kinder stellten fest, dass sie kein gutes Leben hätten. Das sei mit den Algeriern, die nach 1962, nach der Unabhängigkeit ihres Landes, nach Frankreich kamen, ebenso gewesen, wie auch mit vielen Kindern zweiter oder dritter Generation, deren Eltern als „Gastarbeiter“ in die BRD kamen. Dabei sei jedoch der Islam, den sie erwählten, nicht der überlieferte, kulturelle Islam, sondern eine vereinfachte Religion, die sie sich selbst erdacht oder von anderen Vereinfachern, wie vom IS, übernommen hätten.
Die britische konservative Tageszeitung The Evening Standard kommt zu einem analogen Schluss. Die zu den IS-Milizen gingen, seien in einem Durcheinander aus konfessionellen, regionalen, ethnischen und religiösen Rivalitäten groß geworden. Zudem steckten die Kämpfer „in einer tiefen Männlichkeitskrise“. Es sei naheliegend, darauf hinzuweisen, „dass es sich bei allen Mördern von Paris um junge muslimische Männer handelte. Dass sie muslimisch waren, inspiriert die hetzerischen Schlagzeilen. Dass sie junge Männer waren, ist aber nicht weniger bedeutsam. Die Angriffe haben vieles gemeinsam mit Massakern an US-High-Schools.“ Auch diese würden von einsamen männlichen Außenseitern verübt, die ihre Gefühle der Zurückweisung in einem verzweifelten Bemühen auslebten, traurige Berühmtheit zu erlangen.
Gleichwohl bleibt ein Unterschied. Die Schul-Attentäter wollen nur diese traurige Berühmtheit in ihrer überkommenen Welt. Die IS-Attentäter wollen absolute Macht über andere brutal ausleben und stellen ihre Mordtaten mit Wonne ins Internet. Mordtaten, die sie in einer anderen Welt, nämlich im Islamischen „Staat“ oder für diesen begehen.
An dieser Stelle sollte man an den Cheruskeranführer Arminius erinnern. Er war aufgewachsen in einer pro-römischen Familie, war bei den Römern ausgebildet und kulturell geformt. Gleichwohl brachte er im Jahre neun den römischen Legionen unter Varus im Teutoburger Wald die bekannte Niederlage bei. Die Römer waren immer davon ausgegangen, dass ihre Kultur wegen ihrer Überlegenheit attraktiv sei. Das hatte sich dann als Trugschluss erwiesen. Erst nach dem Untergang des Römischen Reiches, als die germanischen Königreiche christlich wurden, nahmen sie wirklich die römische Kultur an.
Vielleicht haben wir es bei den heutigen Islamisten mit einem ähnlichen Effekt zu tun. Der Westen wähnt sich attraktiv und überlegen. Dieser Anspruch wird mit IS-Anschlägen wie jetzt in Paris mit vernichtender Radikalität zurückgewiesen wird. Das ist ein „Arminius-Effekt“, und erst danach ein Problem, dem mit Sozialarbeit sowie besseren Bildungs- und Lebenschancen abzuhelfen wäre.
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