von Erhard Crome
Annäherungen an Willi Münzenberg sind vor allem deshalb schwierig, weil er so viele verschiedene Dinge in seinem politischen Leben getan hat, stets mehrere gleichzeitig, die für mehrere Leben ausgereicht hätten. Und von seinem Erscheinen in Deutschland nach der Haftentlassung in der Schweiz am 10. November 1918 bis zu seiner Ermordung im Juni 1940 waren es nicht einmal 22 Jahre. Eine Zeitspanne, kürzer als die seit dem Ende der DDR und der deutschen Vereinigung vergangene – Vorgänge, die vielen heute Lebenden noch gegenwärtig sind, als sei es gestern gewesen.
In seiner Einleitung zu „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ hat Hermann Weber darauf verwiesen, dass es nicht nur die bekannten Fraktionskämpfe zwischen „Rechten“, „Linken“ und „Ultralinken“ in der KPD gab, sondern auch unterschiedliche Typen von hauptamtlichen Funktionären. Von denen waren etliche auf verbalradikale Revolutionsideologie fixiert, die sich vor allem an den Bedürfnissen radikalisierter Erwerbsloser orientierten. Andere auf praktische Tagespolitik, die auch nach den Interessen der Arbeiter in den Betrieben, von Angestellten und Intellektuellen schauten. So gab es einen Flügel, den Weber radikal-demokratisch und humanistisch nennt, der sich vor allem aus der Ablehnung von Krieg, Unterdrückung und Ausbeutung speiste, und über Zwischenstufen am anderen Ende des Spektrums einen, der zu bürokratisch-diktatorischen Mitteln und Revoluzzertum neigte.
Münzenberg war keiner dieser Gruppen oder Flügel zuzuordnen. Bereits seit dem Ausschluss der Führungsgruppe um Paul Levi (Februar/April 1921) hatte er sich an den Fraktionskämpfen der KPD nicht beteiligt. Den Auftrag zur Schaffung der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) hatte er am Rande des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (Komintern) im Sommer 1921 von Lenin persönlich erhalten. Das nahm ihn aus der Schusslinie sowohl der Fraktions- und Richtungskämpfe innerhalb der KPD als auch derer in der Komintern. Er stand den ständigen Moskauer Einmischungen in die Entwicklung und Politik der linken Parteien und Organisationen anderer Länder sehr distanziert gegenüber, sah in der bolschewistischen Revolution jedoch, wie seine Lebensgefährtin Babette Gross berichtete, den Motor, ohne den ein Sieg der sozialistischen Revolution in anderen Ländern undenkbar war.
Als nach dem gescheiterten Hamburger Aufstand im Herbst 1923 die KPD und ihre Organisationen verboten wurden, fehlte die IAH auf der Liste. Gross nennt zwei Gründe: Die Tätigkeit der Organisation war in Deutschland noch relativ unbedeutend, vor allem aber hatte Münzenberg inzwischen begonnen, seinen Apparat umzustellen auf die Hilfe für die hungernden Arbeiter in Deutschland, die infolge der galoppierenden Inflation millionenfach arbeitslos geworden waren und mittellos dastanden. Im Dezember 1923 fand in Berlin sogar ein internationaler IAH-Kongress statt, auf dem auch prominente Sozialdemokraten die Hilfe für die deutschen Arbeiter begrüßten. Dem von Münzenberg organisierten Komitee für die deutsche Hungerhilfe hatten sich zahlreiche bekannte Intellektuelle angeschlossen, die keine Parteimitglieder waren.
Für Münzenberg war wichtig, mit der IAH und dann den Zeitungen, den Verlagen und den anderen Firmen, die er in den Folgejahren schrittweise aufbaute, die Möglichkeit zu haben, publizistisch zu wirken, ohne dass dies direkt als Parteipropaganda erschien. Ein alter Mitstreiter attestierte ihm den Willen, „den Proleten hinzureißen, damit er die Idee des Sozialismus realisiere“. Für die KPD-Führung war der Münzenberg-Konzern stets auch eine Rückzugsstellung, falls die Partei wieder verboten werden sollte. So ließ man ihn machen. Dass das 1933 auch nicht half, steht auf einem anderen Blatt: Die Reichsregierung bemühte sich 1923 immerhin noch um den Anschein eines rechtsstaatlichen Verfahrens beim Verbot der KPD; bei der Nazidiktatur 1933 war das dann sehr anders.
Sein Unternehmen jedoch war privatwirtschaftlich, nach dem Handelsrecht organisiert. Hermann Weber und Andreas Herbst geben in dem bereits zitierten Biographischen Handbuch an, dass 1927 2.348 Menschen bei der KPD oder parteieigenen Druckereien, Verlagen und so weiter beschäftigt waren. Die direkten Parteiangestellten waren jedoch nur etwa 500. Das heißt, der größere Teil dieser Personen war eigentlich bei Münzenberg angestellt, der dabei keineswegs den Schwankungen der Parteilinie folgte. In dem Münzenberg gewidmeten biographischen Stichwort in diesem Handbuch wird Margarete Buber-Neumann, die Schwester von Babette Gross, zitiert: „Er schien weniger ein Revolutionär als ein Manager zu sein […]. Er umgab sich in seinen Unternehmungen, den Zeitungsredaktionen der ‚Welt am Abend’, ‚Berlin am Morgen’, der ‚Arbeiter-Illustrierten’, der Zeitschrift ‚Roter Aufbau’, dem Filmunternehmen ‚Meshrabpom’, dem ‚Neuen Deutschen Verlag’ und der ‚Universum-Bibliothek’ nicht nur mit den besten Köpfen der kommunistischen Intelligenz und mit KP-freundlichen Intellektuellen aller Schattierungen, er zog auch häufig Kommunisten zur Mitarbeit heran, die sich in der Partei irgendwelcher ‚Abweichungen’ schuldig gemacht hatten.“
Babette Gross, die Münzenberg gewiss am besten kannte, charakterisierte seine Arbeitsweise wie folgt: „Münzenberg, der die psychischen Eigenheiten der Menschen, mit denen er zu tun hatte, eher instinktiv als nach den Regeln der Psychologie erspürte, übte auch auf seine Mitarbeiter oft eine suggestive Wirkung aus. Alle Beurteiler sind sich darin einig, dass er, ohne den Chef übermäßig herauszukehren, von seinen Mitarbeitern das Äußerste an Initiative, Tempo und Arbeitsleistung verlangte. Er kümmerte sich wenig um technische Einzelheiten, mischte sich selten in den Ablauf der Arbeitsgänge ein, und er beherrschte die Kunst, Verantwortung zu delegieren: aber er erwartete Resultate. Faulheit und Trägheit waren ihm zuwider, und er verabscheute jegliche Neigung zum Geschwätz.“ Das schuf ein spezifisches Zusammengehörigkeitsgefühl, das Gross so beschrieb: „Von seinem magnetischen Zauber bekamen sie alle etwas zu spüren, vom Verlagsleiter bis zum jüngsten Zeitungsausträger, und das erklärt wohl, dass noch nach drei Jahrzehnten [Gross’ politische Biographie Münzenbergs erschien 1967 – Anm. E.C.] die wenigen, die nach den verheerenden Stürmen der Zeit übriggeblieben sind vom alten ‚Münzenbergladen’, das Gefühl des Zueinandergehörens nicht verloren haben, dass sie sich vorkommen wie die letzten Mitglieder einer in alle Winde zerstreuten Familie.“
Das galt übrigens auch über die Verdikte des Stalinismus hinweg. Im Jahre 1974 erschien im Dietz Verlag Berlin eine „Geschichte der Arbeiter-Illustrierten Zeitung“, als großformatiger Bildband mit vielen Bildern und Zeichnungen aus der AIZ sowie zahlreichen Reproduktionen ganzer Seiten der Illustrierten. Der Verfasser war Heinz Willmann, der ab 1928 im Münzenberg-Konzern gearbeitet hatte. Nach 1945 war er Generalsekretär des Kulturbundes, dann des Friedensrates, DDR-Botschafter in Prag, ab 1967 freischaffender Publizist. Der Band war ihm augenscheinlich ein Herzensbedürfnis. Als unter Erich Honecker von Walter Ulbricht verhängte Bannflüche nicht mehr galten, war so etwas möglich. In einer Fußnote auf Seite 20 wird eine Lesart der Münzenberg-Biographie gegeben. Pflichtschuldigst wird mitgeteilt, Münzenberg habe sich seit 1936 „von der KPD und vom Marxismus-Leninismus“ „entfernt“. Und weiter: „Wegen seines prinzipienlosen Kampfes gegen die KPD und die Kommunistische Internationale“ sei er aus dem ZK und der KPD und dann aus der Partei ausgeschlossen worden und habe sich „zu einem extremen Antikommunisten“ entwickelt. Kein Wort, dass es um den Hitler-Stalin-Pakt ging und Münzenberg Stalin zum Verräter erklärt hatte. Dann der Satz: „Er starb im Juni 1940 in Frankreich.“ Immerhin nicht die Legende vom angeblichen Selbstmord.
Das die Fußnote. Aber eine Geschichte der AIZ ohne Münzenberg ging nicht. So heißt es auf Seite 17, dass Münzenberg 1921 „maßgebenden Anteil am Entstehen“ der IAH hatte, und auf Seite 20 richtig im Text, dass er beziehungsweise sein Verlag Herausgeber der AIZ war. In diesem Sinne kann man das ganze Buch auch als eine Hommage an Münzenberg lesen. Die Darstellung folgt dem Zeitstrahl: Auf Seite 50 wird der „Kongress gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus“ erwähnt, der im Februar 1927 in Brüssel stattfand. Münzenberg erscheint als Angehöriger „der starken deutschen Delegation“. Dass er den Kongress wesentlich organisiert hatte, bleibt unerwähnt. Da der Kongress und seine Weiterungen jedoch später von der Komintern bekämpft wurden, sind die positive Erwähnung des Kongresses und Münzenbergs unter den damaligen politischen Verhältnissen an sich schon ein Politikum. Auf Seite 124 ist zu lesen, dass die AIZ damals fünf Prozent Remittenden (an den Verlag aus dem Handel zurückgelieferte, nicht verkaufte Exemplare einer Zeitung) hatte, während der Durchschnitt vergleichbarer Druckerzeugnisse 1931 bei 25 bis 30 Prozent lag. Soviel noch einmal zum wirtschaftlichen Erfolg des Münzenberg-Konzerns. Auf Seite 125 ist ein ganzseitiges Faksimile der Seite in der AIZ zu betrachten, die 1931 zum zehnten Jahrestag der Illustrierten gemacht wurde: mit Grußschreiben von Arbeitern beziehungsweise Lesern an die Redaktion sowie mit einem Bild von Willi Münzenberg als „der Gründer der A-I-Z“.
* – Fortsetzung der Beiträge mit gleichem Titel in Blättchen 20/2015 und 21/2015.
Schlagwörter: AIZ, Erhard Crome, Heinz Willmann, Willi Münzenberg