von Jürgen Brauerhoch
Keine Großstadt in Europa wird von Reiseveranstaltern und den sogenannten Medien immer wieder so hochgelobt wie Barcelona, die Hauptstadt der autonomen Region Catalunya. Das sei, so liest man allenthalben, die kreativste, aufregendste, lebendigste und wie es so schön dumm heißt „angesagteste“ Stadt Spaniens.
Aber genau das passt den Katalanen nicht, denn sie wollen partout keine Spanier oder, wie die hier heißen „castellanos“ sein. Der in europäischer Historie ungeschulte Mitteleuropäer, der hier seine Ferien verbringt, fragt sich natürlich in aller Naivität, womit diese Animosität gegenüber Kastilien begründet ist, die für unerfahrene Gemüter unfassbare Blüten treibt.
Das geht so weit, dass in Katalonien offizielle Erklärungen und Verlautbarungen nur in Catala und Englisch abgefasst sind, nicht jedoch in Spanisch. Ein Landsmann von außerhalb Katalonien müsste sich so verachtet vorkommen wie ein Hamburger, der in München nur bayrische Dialektschriften findet oder –noch besser – ein Münchner, der in Hamburg nur Platt liest und hört!
Eher verständlich sind die Ortsschilder, die alle zweisprachig abgefasst sind, wenn auch aus Figueras nur Figueres und aus Gerona Girona wurde, was in der katalanischen Fassung sogar die Internetseiten der Deutschen Bahn erobert hat. Auch die Medien tun so, als gäbe es die „große Heimat Spanien“ nicht, Zeitungen und zwei Fernseh- sowie etliche Radiosender pflegen ausschließlich die katalanische Sprache. Der Resident vielleicht nicht mehr, aber der unaufgeklärte Spanien-Tourist fragt sich doch: Woher und warum dieser offensichtlich übersteigerte Lokal- oder Regionalpatriotismus?
Dazu muss man wissen, dass erstens „Catala“ während der Franco-Diktatur verboten war, also weder gesprochen noch geschrieben oder gar gedruckt werden durfte, und zweitens Katalonien mit rund sieben Millionen Einwohnern, also circa zwanzig Prozent der Bevölkerung Spaniens beinahe die Hälfte des gesamten Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Die Katalanen haben ein starkes, nicht zuletzt auf solche wirtschaftlichen Erfolge und alte Kultur fußendes Selbstbewusstsein und sorgten nach Franco als erstes dafür, dass mit der Demokratie alle regionalen (Vor-)Rechte, vor allem die eigene Sprache, wieder in Kraft gesetzt wurden. Außerdem erreichten sie durch eine etwas hinterfotzige Parteipolitik, dass sie inzwischen die meisten Steuereinnahmen aus ihrem Land nach eigenem Gusto verwenden dürfen, ohne Madrid zu fragen.
Konnte man eine Zeitlang (Franco starb 1975) diesen patriotischen Fanatismus noch nachempfinden, so ist er inzwischen für Fremde in seinen Auswüchsen kaum mehr begreifbar. Dabei ist die Sprache keineswegs der einzige Unterschied zum Mutterland. Katalonien verfügt über eine eigene Polizeieinheit (Mossos d’Esquadra) und über weitreichende Kompetenzen in der Bildungs-, Gesundheits- und Wirtschaftspolitik, allesamt im Autonomie-Statut festgelegt.
Große Unterschiede zum übrigen Spanien gibt es nicht zuletzt auch in der Küche. Wer in Katalonien Sangria, Tapas oder Paella als typische spanische Gerichte oder Getränke verlangt, wird sie zwar mit einem verächtlichen Schmunzeln bekommen, aber irgendwie ist er in der Situation eines Touristen, der in Hamburg Weißwürscht und in München Labskaus bestellt. Und was in Barcelona in Bars und Bistros an Tapas angeboten wird, ist in aller Regel himmelweit entfernt von der Fülle und Originalität dieser kleinen Happen („Deckel“), die man in San Sebastian wie im ganzen Baskenland oder auch in Madrid bekommt.
Katalanische Spezialitäten sind dagegen das „Suquet“, eine Fleisch-Fisch-Kasserole und auch die Cavas, fast an Champagner heranreichende kribbelige Köstlichkeiten, die als Standard-Aperitif vor jedem Essen gepflegt werden. Eine katalanische Spezialität, die crema catalana hat es, wenn auch in pervertierter Form mit Schnickschnack und Sahne, auf internationale Speisekarten geschafft.
Man hat die Katalanen mitunter die Preußen oder auch „die Schwaben Spaniens“ genannt… An beiden Vorstellungen stimmt einiges, nämlich die preußische Pünktlich- und Zuverlässigkeit und die hohe Einschätzung des Materiellen der Schwaben, bei denen es ja bekanntlich keinen „Sinn“, sondern nur einen „Wert“ gibt. „Des hot koin Wert“, sagen sie, wenn sie meinen, dass eine Sache keinen Sinn macht, und für echte Katalanen scheint alles sinnlos zu sein, was keinen Wert bringt. Sie sind also nicht gerade spendabel, dafür aber pünktlich und kommen als Handwerker nicht um elf, wenn sie um neun bestellt sind – übrigens der früheste Termin für Arbeiten aller Art, ob Handwerker, Autoverleiher oder Immobilienhändler.
Jürgen Oscar Paul Brauerhoch ist Texter und Schriftsteller, hat zahlreiche Bücher ver- und noch mehr unveröffentlicht, liest und bewundert Tucholsky, schreibt am liebsten Glossen oder Reiseberichte und lebt, gut verehelicht, in München und Katalonien.
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