18. Jahrgang | Nummer 20 | 28. September 2015

Spuren der Spanienkämpfer

von Burga Kalinowski

79 Jahre ist es her, dass Freiwillige aus 54 Ländern aufbrachen, um in den Internationalen Brigaden die spanische Republik gegen Franco zu verteidigen. Die Mehrheit des spanischen Volkes hatte sich im Februar 1935 in demokratischen Wahlen für die Volksfront entschieden – gegen das Machtkartell aus Monarchie, Klerus, Militär. Ein Jahr später schlägt die Clique zurück mit einem Militärputsch, angeführt von Franco, der das Land für Jahrzehnte in eine faschistische Diktatur zwingen wird.
„Über ganz Spanien wolkenloser Himmel“, mit diesem Codewort beginnt am 17. Juni 1936 der Putsch gegen die Republik. Der Kampf wird fast drei Jahre dauern und unter den schlecht bewaffneten Republikanern viele Opfer fordern.
Willi Remmel aus Köln ist einer von über 40.000 voluntarios de la libertad – freiwillige Kämpfer für die Freiheit. Von Jahr zu Jahr sind sie weniger geworden – die Zeit frisst ihre Zeugen. Lebensläufe werden Archivgut. Namen verblassen. Schnell und nahezu spurlos fallen Mensch und Ereignisse in den bodenlosen Graben des Vergessens.
Bis einer kommt und nachfragt. Oder viele etwas tun gegen das Vergessen wie der Verein Kämpfer und Freunde der spanischen Republik 1936-1939. Oder ein Buch erscheint wie jetzt der Band „Sie werden nicht durchkommen“. Wer in den 567 Seiten des am 16. September in Berlin vorgestellten Biografischen Lexikons über „Deutsche an der Seite der Spanischen Republik und der sozialen Revolution“ blättert, wirft einen Blick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts, in ihre Kämpfe, Verläufe und Konsequenzen. Eine Geschichte, die getragen, gestaltet, blutig erkämpft und auch verloren wurde von rund 45 000 mutigen Frauen und Männern aus aller Welt, darunter etwa 4500 Deutsche.
Über sie informiert dieses Lexikon, das von Dr. Werner Abel (Jahrgang 1943) und von Enrico Hilbert (Jahrgang 1976) im Verlag Edition AV herausgegeben wurde. Endlich – muss man sagen und gleichzeitig fragen: Warum erst jetzt? Kein Vorwurf an die Macher. Eher ein Nachdenken über Versäumnisse in der DDR (und danach), die aus ihrem antifaschistischen Grundethos heraus, von ihrem wissenschaftlichen Personal und den materiellen und finanziellen Möglichkeiten her faktisch verpflichtet gewesen wäre, diese Arbeit zu leisten – über die selbstverständliche Ehrung der Spanienkämpfer hinaus. Es weiß heute jeder einigermaßen politisch Interessierte, dass ideologische Differenzen, politisches Kalkül, persönliche Eitelkeiten und Ignoranz es verhindert haben – so geht es in allen Zeiten zu. Es gab dennoch Publikationen wie das „Spanische Tagebuch“ des sowjetischen Publizisten Michail Kolzow oder die zwei Bände „Brigada Internacional“, Erinnerungen von etwa 200 deutschen Spanienkämpfern oder eindrucksvolle Filme wie „Fünf Patronenhülsen“, die als Ergänzung zum Geschichtsunterricht von Schulklassen besucht wurden. Und es sollten auch nicht die wunderbaren Platten von Ernst Busch mit Liedern des Spanischen Bürgerkrieges vergessen werden. Sie gehören zur Gesamtheit der Erinnerungskultur – dagegen „Das Ohr des Malchus“ von Gustav Regler eben leider nicht. Nur ein Beispiel. Wohl wahr und schlimm genug: Eine Liste mit politischen Ausgrenzungen stand im Gegensatz zum ehrlichen antifaschistischem Erinnern.
Was im Westen der Antikommunismus war, war dem Osten in den 1950er Jahren die Field-Affäre. Es sah nicht gut aus für jene, die nicht aus Moskau gekommen waren. Es ist die Zeit der stalinistischen Schauprozesse in Osteuropa. Westemigranten und Spanienkämpfer stehen unter Verdacht. Der sowjetische Geheimbefehl Nr. 02 zur „Überprüfung der deutschen Kader“ ist zugleich auch die direkte Anweisung der Partei zum Misstrauen gegen die eigenen Genossen, auch gegen die Interbrigadisten.
Spätestens an dieser Stelle muss freilich auch gesagt werden, dass kein Mensch je auf den Gedanken kam, von Westdeutschland und seiner Historikerbranche eine politisch differenzierte und von ideologischen Beißreflexen freie Betrachtung des spanischen Bürgerkrieges zu erwarten. Da war schon die Legion Condor vor, Hitlers Vortrupp für den Luftkrieg rund drei Jahre später. Sie Bombardierung der Stadt Guernica war ihr mörderisches Gesellenstück in Spanien und die sogenannten Ritter der Lüfte im westlichen Nachkriegsdeutschland hochberentete und angesehene Kriegspensionäre. Ein Interbrigadist – ob er nun bei den Anarchisten, Kommunisten oder Libertären für die spanische Republik gekämpft hatte – konnte von Glück sagen, wenn er nicht ins Gefängnis ging wegen vaterlandsfeindlicher Umtriebe. Von Wiedergutmachung und Rentenanspruch ganz zu schweigen. Eine Würdigung dieses antifaschistischen Widerstandes findet bis heute nicht statt. Deutschlands Teilung ging auch durch die  Allgemeinbildung in Geschichte. Wenn überhaupt was zur Geschichte des spanischen Bürgerkrieges bekannt ist, dann die Legion Condor, vorwiegend immer noch mehr westwärts. Das ist in den Köpfen und das kann man nicht wegwischen. Aber man kann Geschichte erzählen. Wie das vorliegende Lexikon.
Mit dem Lexikon ist im ganzen ein Wahnsinnsvorhaben gelungen, das die beiden Autoren mit Hilfe kompetenter und engagierter Mitstreiter, so vom Verein Kämpfer und Freunde der spanischen Republik in jahrelanger Arbeit mit diesem ersten Band zu Ende gebracht haben. Extra genannt werden muss dabei der Verleger Andreas W. Hohmann. Ohne sein Verständnis für Thema und knappe Kasse gäbe es das Buch nicht. Doch für alle Beteiligten gilt: Hut ab vor dieser Leistung. An ihr ändern auch kleine Makel in der Vollständigkeit nichts und auch nicht unvollständige Quellenangaben, wie Kenner des historischen Stoffes und der Archiv-und Literaturlage kritisieren. So gibt es bei manchem Namen nur eine Zeile Information. Trotzdem bleibt es eine bemerkenswerte Publikation, die fast schon als Privatinitiative zu bezeichnen ist.
Das führt zur nächsten dringlichen und vor allem lösbaren Frage. In Unkenntnis jedweder denkbarer Querelen ist sie womöglich naiv. Aber: Wer bitte erklärt mal, warum es nicht zu den größeren und langfristigen Projekten der Rosa-Luxemburg-Stiftung gehörte und gehört, eine der bewegendsten facettenreichen linken Demokratieentwicklungen im Europa der damaligen Zeit zu erforschen. Natürlich ist die RLS nicht Rockefeller, wird aber doch wohl Mittel und Möglichkeiten haben. Soll nicht heißen, dass Abel, Hilbert und ihre Mitstreiter außen vor bleiben sollen – was ist mit Kooperation unter Linken zum Beispiel für den zweiten Band des Biografischen Lexikons der deutschen Interbrigadisten, deren Kampf für die spanische Republik und gegen Krieg und Faschismus in ihren Heimatländern als ein erster Versuch für ein linkes Europa gelten kann. Aktueller geht es nicht. Und förderwürdiger auch nicht.
Vor Jahren war ich auf einem internationalen Treffen der Spanienkämpfer. Auf einem Schild wurde gefragt: Wer kennt Willi Remmel? Seine Neffen suchten Spuren des Lebens von ihrem Onkel. Vielleicht war einer der Teilnehmer mit ihm in der Ausbildung, im Kampf, im Lazarett, im Lager? Das Foto zeigt einen jungen Mann in Uniformjacke mit Schulterriemen, dem Käppi mit Kokarde. Ein bisschen lächelt er. Sie waren alle so jung damals und so ernsthaft und leidenschaftlich. Wer war der, wo kam er her, was wollte er vom Leben? Wo war sein Platz?
Das Biografische Lexikon gibt Antworten. Manche nur kurz und zu wenig, andere ausführlich. Das ist die Ungerechtigkeit der Zeit, die vergeht und Wirklichkeiten vergisst. Gegen den Alzheimer der Geschichte hilft Wissen – es ist ein Anker der Erinnerung. Fragen danach und Antworten können Vergewisserung sein. „Wer kennt Willi Remmel?“ ist auch die Frage nach der Rolle des Einzelnen in der Geschichte und nach ihrem Sinn für Gegenwart und Zukunft.

Dr. Werner Abel/ Enrico Hilbert (Herausgeber): Deutsche an der Seite der Spanischen Republik und der sozialen Revolution. „Sie werden nicht durchkommen“, Band 1, Verlag Edition AV 2015, 567 Seiten, 35,00 Euro.