von Ulrich Busch
So lautet der Titel eines Büchleins, das die beiden Wirtschaftsjournalisten Stephan Kaufmann und Ingo Stützle zwecks Aufklärung bildungsbedürftiger Leser verfasst und publiziert haben. Den Autoren geht es dabei um die Zurückweisung von verbreiteten Vorurteile und medienwirksamen Falschdarstellungen ökonomischer Sachverhalte. Dies insbesondere hinsichtlich der Staatsverschuldung und deren vermeintlicher Folgen sowie der Rolle der Finanzmärkte im Wirtschaftsgeschehen. Die Darstellungsmethode ist einfach und treffsicher: Es wird ein Grundsatz kurz vorgestellt, danach zugespitzt gefragt, was „dran ist“ an der Aussage. Zumeist nichts oder nicht viel, was die Autoren dann mehr oder weniger ausführlich begründen. So wird zum Beispiel die von der Kanzlerin gern mit Blick auf den Staat zitierte schwäbische Lebensweisheit, dass man nicht mehr ausgeben darf, als man einnimmt, als das entlarvt, was sie ist, nämlich eine schlichte Hausfrauenweisheit. Ein Staatshaushalt funktioniert aber „nach anderen Regeln“ als ein Privathaushalt. Im Unterschied zu diesem kann jener durchaus mehr ausgeben, als er einnimmt, und zwar auf Dauer. Der Schlüssel zur Erklärung dieser Tatsache liegt im Verständnis des Kreditmechanismus und in der Wirkung von Investitionen. Dadurch kann ein Staat mittels vermehrter Ausgaben seine Einnahmen erhöhen. Das kann die schwäbische Hausfrau nicht, weshalb die oben genannte Analogie unzutreffend ist.
Ein anderes, bei vielen Politikern sehr beliebtes Argument gegen die Schuldenaufnahme des Staates, gipfelt in der Auffassung, dass diese künftige Generationen belasten würde: „Die Enkel müssen unsere Schulden zurückzahlen“. Dies unterstellt, dass die Staatsschulden irgendwann komplett „zurückgezahlt“ würden, wofür es aber keinen Grund gibt (und auch gar keine Möglichkeit). Kaufmann und Stützle zeigen, dass es in diesem Zusammenhang lediglich eine Umverteilung innerhalb einer Generation gibt, jedoch keine zwischen den Generationen, wie immer wieder behauptet wird. Generationengerechtigkeit und steigende Staatsverschuldung sind also keine Gegensätze. Zumal nicht nur Schulden, sondern mit diesen immer auch Forderungen (Vermögen) vererbt werden. Das Bild von der Belastung künftiger Generationen durch steigende Staatsschulden ist also definitiv „falsch“. Den Autoren ist zu danken, dass sie diese Wahrheit unumwunden aussprechen.
Ähnlich verhält es sich mit Sätzen wie: „Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt“, woraus dann prompt die Aufforderung zum „Sparen“ folgt. Die Autoren halten dem entgegen, dass in Deutschland ja nicht nur die Schulden gestiegen sind, sondern ebenso die Vermögen. Beides aber gehört volkswirtschaftlich zusammen, auch wenn Schulden und Vermögen jeweils verschiedenen Subjekten, Klassen, Gruppen und Sektoren zuzurechnen sind. Ausnahmsweise operieren Kaufmann und Stützle hier mal mit konkreten Zahlen. Dabei lassen sie jedoch außer Acht, dass in Deutschland 1990 eine Gebietsstandsveränderung zu verzeichnen war und es sich deshalb verbietet, die Daten für die alte Bundesrepublik einfach bis heute fortzuschreiben. Entweder man addiert vor 1990 die Daten für die DDR dazu oder man rechnet die Daten für die neuen Bundesländer nach 1990 heraus. Alles andere aber führt zu Ungenauigkeiten und falschen Schlüssen, zum Beispiel hinsichtlich der Schuldendynamik.
Die Auseinandersetzung mit dem Irrsinn des Sparens, worin die Deutschen (neben den Schweizern) ja Meister sind, fällt vergleichsweise zurückhaltend aus. Die Autoren vermerken zwar, dass eine „radikale Sparsamkeit“, wie sie von einigen Politikern gefordert und von nicht wenigen Menschen begrüßt wird, eine Volkswirtschaft „ruinieren kann“, verlieren sich dann aber in Erörterungen über Sparprogramme und Sparmaßnahmen, Sparpolitik und Reichtumsakkumulation. Dabei kommt es dann, in dem Bestreben alles so einfach wie möglich darzustellen, mitunter zu Vereinfachungen, die letztlich zu viel offen lassen und daher nicht mehr zu überzeugen vermögen. Was hilft es zum Beispiel, wenn die Autoren „die Identität von Schulden und Vermögen“ anführen, dann aber Zahlen bringen, die diese nur unvollständig belegen? Auch gelingt es ihnen, da sie Fachtermini wie Kreditgeld oder fiktives Kapital vermeiden wollen, letztlich nicht, zu erklären, wie es zu der Summengleichheit von Krediten und Geldvermögen kommt und welchen Charakter Aktien und Anleihen als Finanzaktiva haben. Sätze wie: „Der weltweite finanzielle Reichtum besteht vor allem aus Schulden…“ sind eher missverständlich als erhellend. Hier wäre ein kleiner Exkurs über Finanzaktiva und Finanzmärkte angebracht gewesen. Vereinfachungen haben eben ihre Grenzen!
Einleitend, bevor sie zur Hauptfrage kommen, also der Gefahr, dass die ganze Welt bald „pleite“ geht, zitieren die Autoren eine Umfrage des Magazins Stern, wonach die deutsche Staatsverschuldung mit 62 Prozent gegenwärtig die „Sorgenliste“ der Bürgerinnen und Bürger anführt. Dies ist angesichts der im Buch dargestellten relativen Stabilität der deutschen Staatsfinanzen bemerkenswert und wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wie manche Medien mit der mangelnden ökonomischen Bildung der Menschen umgehen. Statt sie über die wahren Sachverhalte und Zusammenhänge aufzuklären, wird mit falsch interpretierten Daten Meinungsbildung betrieben und dadurch einer Sparpolitik der Boden bereitet, die den meisten Menschen kaum etwas nützt, vielen aber schadet. Vor dem Hintergrund eines falschen Schuldenverständnisses liegt es nahe, über „falsche“ Lösungsansätze, wie zum Beispiel das auch bei manchen Linken beliebte „Schuldenstreichen“, zu diskutieren. Kaufmann und Stützle setzen sich damit kritisch auseinander, indem sie darauf verweisen, dass Schulden „an anderer Stelle Vermögen“ sind, verkürzen die Argumentationskette aber derart, dass schließlich Banken, Fonds und Versicherer als Gläubiger und Vermögende dastehen. Diese sind aber nur Finanzintermediäre. Die eigentlichen Gläubiger sind die Eigentümer des Geldkapitals, die Anleger und Sparer. Damit erweist sich die „Schuldenfrage“ zuletzt als eine „Machtfrage“ und nicht etwa als ein finanztechnisch, etwa durch einen Schuldenschnitt, zu lösendes Problem. Spätestens seit der Griechenlandkrise dürfte das allen klar geworden sein. Das vorliegende Büchlein kann dabei helfen, das Verständnis der volkswirtschaftlichen Zusammenhänge zu verbessern.
Stephan Kaufmann / Ingo Stützle: Ist die ganze Welt bald pleite? Populäre Irrtümer über Schulden, Verlag Bertz + Fischer GbR, Berlin 2015, 92 Seiten, 7,90 Euro.
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