von Gerd-Rüdiger Hoffmann
Wer über Heinz Klevenow etwas sagen will, muss über Theater reden. „Wege übers Land“ nennt der renommierte Theaterkritiker Hartmut Krug sein Ende August 2015 aus Anlass des 75. Geburtstages des Schauspielers, Regisseurs und Intendanten Klevenow im Verlag Theater der Zeit erschienenes Buch.
Heinz Klevenow, am 28. August 1940 als Sohn der Schauspielerin Marga Legal (1908-2001) und des Schauspielers, Regisseurs und Intendanten Heinz Klevenow (1908-1975) in Prag geboren, kommt über Umwege zum Beruf des Schauspielers. Sein erstes Engagement führt ihn nach Weimar, wo großes Theater und Provinzialität auf sehr spezifische Weise aufeinandertreffen. Es folgen Stendal, Senftenberg und Halle, dann Leitungsfunktionen in Halle (am Puppentheater), Rudolstadt und Rostock. Schließlich wird Klevenow 1989 Intendant am Theater in Senftenberg, das zu dieser Zeit noch Theater der Bergarbeiter heißt. Und obwohl er bis zu dieser Zeit bereits einen Namen hat, heute ist der Name Klevenow vor allem mit der Rettung der NEUEN BÜHNE Senftenberg verbunden.
Seit der Gründung im Oktober 1946 ging es in Senftenberg, auf Niedersorbisch Zły Komorow, was aber zuerst durch die Nazis und dann durch Bergbau und Industrialisierung mehr und mehr verdrängt wird, immer wieder um das Weiterleben des Theaters. In der Provinz macht das viel Arbeit, denn hier ist gutes Theater nicht automatisch berühmtes Theater. Heinz Klevenow kennt die für Fremde seltsame Mentalität der Menschen im Revier und lässt sich darauf ein, für diese Theater zu machen. Der Spruch auf den Plakaten „Ich bin Bergmann, wer ist mehr!“ wurde von vielen gelebt, war ernst gemeint. Dann das Ende des Bergbaus. Doch ein Theater, das nicht mit Umbrüchen und Unberechenbarem zu tun bekommt und dieses meistert, ist vielleicht nicht so lebendig und vor allem nicht so langlebig wie das Theater Senftenberg.
Gegründet im Oktober 1946 „auf Befehl“ von Oberst Iwan D. Soldatow in einer Zeit des Hungerns, der Ungewissheit, aber auch der großen Hoffnung, dass die Menschen doch wieder zur Vernunft kommen mögen, waren es dann in der Geschichte des Hauses immer wieder neu zu schaffende Voraussetzungen für gutes Theater. Lediglich drei sollen genannt werden.
Erstens: Zuerst muss Theater gewollt sein. Theater braucht Publikum. Jedoch, hätte sich das Senftenberger Theater bloß nach Geschmack und Quote gerichtet, der 75. Geburtstag von Heinz Klevenow könnte nicht im Theater gefeiert werden. Andererseits kann und soll Publikum den kulturpolitischen Kassenwarten und ideologischen Kunstwächtern auch Angst machen, wenn sie mit „veränderten Erwartungen“, „wachsendem Legitimationsdruck“ und dem „demografischen Faktor“ drohend Finanzen kürzen wollen. Mit dieser komplizierten Dialektik umzugehen, das will erst einmal geschafft sein. Heinz Klevenow hat das geschafft.
Dabei ist in diesem Fall mit „Dialektik“ völlig unhegelianisch und unmarxistisch die Kunst gemeint, immer wieder auf die Füße zu fallen. Anders gesagt, man muss schlau sein, nicht bloß gebildet, um ein Theater über die „Wende“ zu bringen und dann immer wieder mal konzeptionelle Überlegungen der Kulturbürokratie zur „Neuordnung der Theaterlandschaft“ im Lande abprallen zu lassen. Dass Klevenow das hinbekommt, war frühzeitig klar, nämlich als er den Termin für die Neueröffnung nach dem Umbau des Theaters auf den 16. Oktober 1990 trickste, um nicht mit dem ausgemusterten „7. Oktober“ oder dem garantiert vorher zu veranstaltenden „Tag der deutschen Einheit“ zu kollidieren. Glück gehört natürlich auch dazu, wenn Theater gegründet oder in eine neue Gesellschaft gehoben werden. Gardeoberst Iwan D. Soldatow war ein solcher Glücksfall. Christoph Hein würdigte zum Theaterjubiläum 2006 die Eröffnung des Senftenberger Theaters durch ihn als „eine bewundernswerte Großtat, die uns verpflichtet“.
Ja, es soll deshalb gelten: Ein in Hungerzeiten gegründetes Theater schließt man nicht in Zeiten des Überflusses.
Zweitens: Weiterhin müssen Künstlerinnen und Künstler da sein, die Theaterspielen können, genau dieses Theater an diesem Ort wollen und dann auch noch von dieser Arbeit leben können. Klevenow als Faust und Mephisto, als Nathan, als Richter Adam in „Der zerbrochene Krug“ oder auch als Campingplatzwart in einem irren Sommerstück fürs Amphitheater und in vielen anderen Rollen – Heinz Klevenow ist gut. In heutiger Zeit, in der das Wort großer Schauspieler fast nur noch in Verbindung mit roten Teppichen, Blitzlichtgewittern und Sternchen im Boden weit entfernter Fußgängerzonen genannt wird, muss man es betonen: Heinz Klevenow war nicht nur Theaterintendant in Senftenberg, er ist ein großer Schauspieler.
Spätestens beim Odysseus in der Inszenierung von Karl Gündel war das wohl klar. Und dann Klevenow als Stéphane Hessel mit „Empört Euch!“ in der „Jedermann“- Inszenierung von Sewan Latchinian. Da waren Eigensinn und Empfindsamkeit, das war Klevenow. Theater lebt davon, dass man nicht auf der Couch sitzen bleibt und wegen Klevenow zum Beispiel ein Stück zum zweiten Mal sehen will. Weil Klevenow Künstler ist, weiß er auch, wie eine Ansammlung von Individualisten zu einer kollektiven Höchstleistung zu bringen ist. Klevenow kennt auch genau den Unterschied zwischen Spielstätte und Ensembletheater. Das ist wichtig. Zu vermuten ist, diesen Unterschied zu erklären, wird in nächster Zeit noch wichtiger werden.
Drittens: Schließlich müssen unter Künstlern stets auch solche sein, die über ihre künstlerische Arbeit hinaus es auf sich nehmen, gutes Theater zu organisieren – sich mit den Rahmenbedingungen herumzuschlagen, die eigenen Leute zu motivieren, mit den Kassenwarten und Bürokraten umzugehen und es sich mit Verbündeten und Feingeistern nicht zu verderben. Es geht immer wieder um Herausforderungen im Spannungsverhältnis zwischen „Theater als moralische Anstalt“ und „Marktkonformität“. Klevenow wollte ein Amphitheater – für viele zahlende Gäste.
Sehr energisch setzte er diese Idee durch, die man durchaus als Reaktion auf die Macht des Marktes bezeichnen kann. Mehr jedoch ist das Amphitheater ein Ort für Menschen, die auch im Sommer Theater wollen oder sonst niemals ins Theater gehen.
Und man sollte als Chef eines Theaters wissen, wann Schluss ist. Auch das bekam Heinz Klevenow 2004 hin und besorgte, für einen scheidenden Intendanten ungewöhnlich uneitel, dem neuen Intendanten Sewan Latchinian die besten Bedingungen.
Als Klevenow Intendant wurde, stand die Frage, ob sein Theater mit „wehenden Fahnen als Mehrspartentheater untergehen oder unter einer neuen Struktur weiterleben“ wollte. Weiterleben, das war die Ansage von Klevenow. Das klingt gut und soll so in den Geschichtsbüchern stehen. Doch in Erinnerung ist auch die Lautstärke, mit der Heinz Klevenow mitunter seine Position vertrat. „Feingeistig“ wäre nicht das richtige Wort dafür. Denn Weiterleben hieß ja auch, dass ein ganzes Orchester das Theater verlassen musste. Und so gab es damals in den hitzigen und oft überhaupt nicht sachlichen Diskussionen im Klub der Intelligenz des Kulturbundes nicht bloß Beifall für den Intendanten Klevenow.
Dennoch, Empfindsamkeit und Mitgefühl trotz der Härte, die notwendig ist, um ein Theater unter kapitalistischen Bedingungen in der Provinz am Leben zu halten, sind die Markenzeichen von Heinz Klevenow. Jetzt kommt noch Altersweisheit dazu. Im Theater und im Revier wird das gebraucht. Klevenow bleibt weiterhin Schauspieler an der NEUEN BÜHNE.
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