von Wolfgang Hochwald
Wer Van Morrisons Stimme einmal gehört hat, wird ihn immer erkennen. In welcher Form er singt und was er mit seiner Stimme macht, lässt sich schwer in Worte fassen. Am ehesten kann man seine typische Weise zu singen vielleicht als eine Art Knurren („growl“ nennen das die Englischsprachigen) beschreiben, das tief aus den Wurzeln der modernen Musik kommt. Der Rockkritiker Greil Marcus verstieg sich jedenfalls zu der Aussage, Morrison habe die reichste und ausdrucksfähigste Stimme der Popmusik seit Elvis.
Ebenso schwierig ist es, Morrisons Werk stilistisch zu beschreiben. Über die fünf Jahrzehnte seines Schaffens hat er Lieder aus den verschiedenartigsten Genres aufgenommen. Neben Blues und R&B umfasst sein Repertoire ebenso Pop Musik, Jazz, Rock, Folk, Country, Gospel, Irish Folk, keltische Musik, Skiffle, Rock and Roll, Big Band Musik, New Age und Instrumental-Stücke. Die Musikkritik hat für ihn ein eigenes Genre geschaffen: „Celtic Soul“ oder wie der amerikanische Drehbuchautor Jay Cocks schreibt: „Obwohl er jede musikalische Grenze überschreitet …, kann man ihn zuverlässig am selben außergewöhnlichen Ort finden: auf seiner eigenen Wellenlänge („on his own wavelength“).
Erstaunlich, wie viele Single-Hits Van The Man – einer seiner Spitznamen – vorweisen kann. Angefangen mit dem Titel „Gloria“, den er noch mit der Gruppe „Them“ aufgenommen hat (eigentlich eine B-Side, die zum Hit wurde), über „Jackie Wilson Said (I’m in Heaven When You Smile)“, „Domino“, „Full Force Gale“, „Moondance“ bis hin zu „Cleaning Windows“ und anderen. Dass Van Morrisons Wirkung ungebrochen ist, erlebte ich im Juni dieses Jahres in Tavistock, einem Ort tief im englischen Dartmoor: In der Einkaufsstraße singen zwei Mädchen – etwa zwölf und vierzehn Jahre alt, eine spielt Ukulele – auf wunderbar erfrischende Weise Van Morrisons „Brown Eyed Girl“ von 1967. Tatsächlich hat sich dieser Morrison-Song am meisten verkauft und ist am häufigsten im Radio gespielt worden. Und ist nun offensichtlich bei der nächsten Generation angekommen.
Auch die Morrisons Liebeslieder haben es in sich. Wer Hilfe bei einer Liebeserklärung braucht oder endlich doch noch das Richtige zu seinem Partner sagen möchte, sollte „Have I told you lately that I love you“ auflegen. Oder aber aus dem Titel „Someone Like You“ zitieren: „I have been searching a long time to find someone like you“ (Ich habe lange gesucht, um jemanden wie dich zu finden).
Auf seiner neuesten CD „Duetts“ (dem 35. Studio-Album seiner Karriere) hat Van Morrison Songs aus mehreren Jahrzehnten mit Musikerkollegen neu aufgenommen. Die Kritik fand die Platte unnötig und bevorzugte die Originale. Dennoch: Van Morrison, der oft als unbequemer Grantler beschrieben wird, hat über die Jahre immer wieder jüngere und unbekannte Musiker gefördert und gern mit erfahrenen Kollegen zusammengearbeitet. Mein persönliches Highlight: Wenn Van Morrison auf der 1991 aufgenommen Platte „Mr. Lucky“ von John Lee Hooker im Titel „I Cover the Waterfront“ nach zwei Minuten und sieben Sekunden in den Song einsteigt.
Van Morrison geht seit Jahren kaum noch auf ausgedehnte Tourneen, spielt aber über das Jahr hinweg Konzerte an den verschiedensten Orten. Weiterhin sind seine Aufritte von der Spontanität zwischen ihm und seiner Band bestimmt, die er mit Gesten oder lautstarken Worten steuert. Immer wieder fordert er einzelne Musiker zu improvisierten Solos auf. Wer einen Eindruck von Van Morrisons ungebrochener Live-Präsenz über mehrere Dekaden hinweg bekommen möchte, dem seien die Platten, „It’s Too Late to Stop Now“ (1974), „Live at the Grand Opera House Belfast“ (1984), „A Night in San Francisco“ (1994) und die Wiederaufführung seines Meisterwerks „Astral Weeks Live at the Hollywood Bowl“ (2009) 40 Jahre nach dessen Erscheinen empfohlen.
In Van Morrisons Texten spielt immer wieder seine Kindheit in Belfast eine wichtige Rolle. Auf seiner Homepage wird er wie folgt zitiert: „Belfast ist meine Heimat. Es ist der Ort, wo ich zum ersten Mal die Musik gehört habe, die mich beeinflusst und inspiriert hat, wo ich das erste Mal aufgetreten bin und auf den ich mich viele Male beim Liederschreiben in den vergangenen 50 Jahren bezogen habe.“ Die Stadt Belfast hat nun einen „Van Morrison Trail“ eingerichtet, in dessen Verlauf man wesentliche Stationen seiner Kindheit und Jugend besuchen und passende Songs an Ort und Stelle auf sein Smartphone herunterladen kann. Wie wichtig dem Künstler der Bezug zu seiner Heimat ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er aus Anlass der Schließung seiner ehemaligen Belfaster Schule drei Konzerte in der Schulaula spielte, eines davon exklusiv für frühere Lehrer und Schüler.
Zu seinem 70. Geburtstag– heute am Erscheinungstag dieser Blättchen-Ausgabe – gibt Morrison zwei Straßenkonzerte in Belfast in der „Cyprus Avenue“. Der gleichnamige Song vom „Astral Weeks“-Album wird bei diesem Konzert sicherlich nicht fehlen.
In diesem Sinne: Happy Birthday „Belfast Cowboy“.
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