18. Jahrgang | Nummer 14 | 6. Juli 2015

Lebe wohl, Genosse Bredel!

von Annette Riemer

Nicht nur Willi Bredel, eine ganze Generation linker Schriftsteller verschwindet aus dem öffentlichen Bewusstsein. Eine Spurensuche aus aktuellem Anlass.

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Das Ende der Willi-Bredel-Straße in Halle (Saale) kam mit dem Hochwasser im Sommer 2013. Nachdem das Nachwuchszentrum des Halleschen FC am Sandanger, direkt an der Elisabeth-Saale gelegen, komplett überflutet und schwer beschädigt worden war, wurde ein ehemaliges Wohnviertel im Stadtteil Silberhöhe zum Standort eines neues Fußballzentrums auserkoren. Dem geplanten Millionenprojekt muss nun die Willi-Bredel-Straße weichen: Sie wird entwidmet.
Nun könnte diese infrastrukturelle Änderung glatt als unbedeutende Fußnote zu dem Gesamtbauvorhaben abgetan werden, wenn dadurch nach der Umbenennung einiger Schulen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin-Mitte, der Stadtbibliothek Rostock sowie einer Berliner Straße nicht bereits zum siebten Mal seit 1990 Bredels Name aus dem öffentlichen Raum verschwinden würde. Dass mit der Willi-Bredel-Straße in Halle auch ein Teil der angrenzenden Erich-Weinert-Straße entwidmet werden soll, wirft zudem die Frage auf, ob nicht nur Bredel, sondern mit ihm eine gesamte Generation linker Schriftsteller allmählich dem Vergessen anheimfällt.
Ganz sicher haben viele von Bredels Weggefährten inzwischen sehr an Bekanntheit eingebüßt, haben ihren einst hohen Stand bei der Leserschaft und in der Literaturgeschichte gründlich verloren: Wegen der in ihren Werken anklingenden sozialkritischen Töne in der ziellos restaurativen Weimarer Republik ausgegrenzt und abgeurteilt und im „Dritten Reich“ verdrängt und verfolgt, boten sich Schriftsteller wie Johannes R. Becher, Hans Marchwitza, Jan Petersen und Friedrich Wolf, auch aufgrund ihres antifaschistischen Engagements während des Zweiten Weltkrieges, an, in der DDR bewusst fehlinterpretiert als Wegbereiter einer realsozialistischen Gesellschaftsordnung aufgebaut zu werden. Das Werk in Massenauflagen geradezu endemisch vertrieben, die Person hochgeehrt, doch politisch kaltgestellt und unauflösbar verfangen in einem moralischen Gestrüpp aus Privilegien und Zugeständnissen, blieben die ersten Autoren der DDR dem jungen Staat im Herzen fremd, ohne sich von ihm offen lösen zu können. Der Lebensweg von Kurt Barthel, Alfred Kurella, Bodo Uhse und anderen mehr ist letztlich auch eine Geschichte vom Scheitern an dem eigenen Anspruch als Mensch und Schriftsteller: „Zu einer innerlich wahrhaftigen Literatur, wie wir sie erstreben, gehört Kritik, vor allem auch Selbstkritik“, hatte Bredel doch im Sommer 1949 gefordert.
Nach 1990 sanken die Namen dieser tragischen, weil politisch immer heimatlosen Schriftsteller in die Wühltische der ostdeutschen Antiquariate, und nur wenige von ihnen wie etwa Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Anna Seghers und Arnold Zweig haben sich in der Gunst der Leser und Literaturforscher einigermaßen halten können, wenngleich Werk und Lebensweg fortan der Makel des Verführtwordenseins durch den Arbeiter- und Bauernstaat anhaftet.
Wie vielen anderen ist Willi Bredel dieses Schicksal offenbar nicht beschieden worden. Der aus einfachen Verhältnissen stammend Dreher erfuhr 1961, zu seinem 60. Geburtstag, die höchste Ehrung in Form des Vaterländischen Verdienstordens in Gold und einer vielbeachteten Gedenkschrift, in der sich all seine namhaften und weniger bekannten Freunde von Leonhard Frank bis zum Nobelpreisträger Romain Rolland zu Wort meldeten. Zehn Jahre darauf zierte sein Konterfei eine Briefmarke, doch das erlebte der bereits 1964 verstorbene Schriftsteller nicht mehr.
Bredels äußerer Lebensweg erstaunt, da er rückblickend den Mensch dahinter derart zum idealtypischen Vertreter der ersten linken Schriftstellergeneration ausweist, dass es einer posthumen Idealisierung durch die ostdeutsche Kulturpolitik kaum noch bedurfte. Schon der Vater hatte als der SPD zugetaner Proletarier beruflich wie politisch mit seiner bürgerlichen Herkunft gebrochen. Bredel blieb ganz auf dieser Linie, als er sich 1916 mit dem Beginn seiner Lehrzeit zum Metallarbeiter der Sozialistischen Arbeiterjugend anschloss. Unter den Hamburger Hafenarbeitern fand er schließlich zur KPD, nahm im Oktober 1923 am Hamburger Aufstand unter Ernst Thälmann teil und kam anschließend für kurze Zeit in Haft. Als Dreher, Chauffeur und Seemann schlug er sich anschließend durch die Weimarer Republik, kam bei der Hamburger Volkszeitung als Redakteur unter und konnte hier schnell sein satirisches Talent unter Beweis stellen – was ihm 1930 zwei Jahre Festungshaft wegen Hochverrats einbrachte. Hinter Gittern ließ Bredel sein bisheriges Leben literarisch Revue passieren, wobei er allerdings seinen Werdegang nicht individuell herausstellte, sondern als Grunderfahrung einer großstädtischen Arbeiterschicht darstellte. Die Romane „Maschinenfabrik N. & K.“ (1930) und „Rosenhofstraße“ (1931) entstanden in schneller Folge, erreichten durch den preiswerten Vertrieb über den Internationalen Arbeiter-Verlag ebenso rasch eine große Leserschaft und begründeten Bredels Ruf als jenen sozialdemokratischen Jugendautor, den Friedrich Wolf in ihm später erkannte – ein kameradschaftliches Lob, das aus Wolfs Moskauer Emigrantendasein heraus zugleich als leicht maßregelnder Seitenhieb von links gemeint war.
Bredel selbst distanzierte sich später von seinen ersten, noch profillosen Arbeiten und sah in dem Roman „Die Prüfung“ sein eigentliches Debüt. Dieser war 1934 im Prager Exil verfasst worden und reflektiert Bredels Erfahrungen im KZ Fuhlsbüttel, wo er ab Februar 1933 für mehr als ein Jahr inhaftiert gewesen war, bevor ihm nach seiner Freilassung die Flucht in die Tschechoslowakei gelang. Mit diesem stark autobiografischen Roman erreichte Bredel nicht nur internationale Aufmerksamkeit, er schrieb sich auch in die Reihen der kommunistischen Exilschriftsteller, unter denen ihm bald eine zentrale Mittlerrolle zukam, gab er doch an der Seite von Brecht und Feuchtwanger ab 1936 die einflussreiche, in Moskau verlegte Zeitschrift Das Wort heraus und engagierte sich führend in der Internationalen Vereinigung revolutionärer Schriftsteller.
Durch die Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg als Kriegskommissar der XI. Internationalen Brigade unter Ludwig Renn – reflektiert in dem Bericht „Begegnung am Ebro“ (1939) – und seinen propagandistischen Einsatz während des Großen Vaterländischen Krieges unter anderem vor Stalingrad empfahl sich Bredel für den angestrebten geistig-politischen Aufbau der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR. Bredels imposante Parteikarriere, die ihn vom mecklenburgischen Landtag, in den er 1947 gewählt wurde, sieben Jahre später in das Zentralkomitee der DDR führte, sowie seine verschiedenen Posten im Literaturmanagement – er fungierte als Chefredakteur der Heute und Morgen, Herausgeber der Neuen Deutschen Literatur sowie der Bibliothek fortschrittlicher deutscher Schriftsteller und ab 1962 als Präsident der Akademie der Künste – bescherten Bredel allerdings kaum die gewünschten Möglichkeiten zur Mitgestaltung eines sozialistischen Staates. Vielmehr wurde der Schriftsteller politisch an die Leine genommen und in seiner geistigen Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Wie viele andere seiner Zeitgenossen klagte Bredel über die hohe Arbeitsbelastung, über den Druck, immer wieder öffentlich zu reden und Beiträge zu liefern. Seine Ehe war unter ähnlich angespannten Bedingungen schon im Moskauer Exil gescheitert.
Trotz dieser misslichen Lage gelang es Bredel jedoch nicht, sich zu offener Kritik an Staat, Partei und Kulturpolitik durchzuringen oder gar das linke Experiment DDR vollständig aufzugeben. Besonders deutlich wurde dies im viel beachteten Strafprozess um den in Ungnade gefallenen Schriftstellerfreund Walter Janka 1957. Der Verurteilte berichtete später, wie die als Zeugen der Anklage vorgeladenen Schriftsteller – Seghers, Uhse und eben auch Bredel – stumm und mit fahlen Gesichtern den Prozess verfolgten, unfähig selbst zum symbolischen Protest, vermuteten sie sich doch ganz richtig unter Beobachtung der Stasi. Auch nach Jankas Freilassung fiel es Bredel sogar im privaten Umfeld leichter, dem verleugneten Freund unbemerkt 1.000 Mark Soforthilfe zuzustecken, als mit ihm über den Prozess auch nur zu sprechen oder gar seine öffentliche Rehabilitierung anzustreben. Der Fall Janka offenbart sehr anschaulich die in die Selbstverleugnung führenden Zwänge der linken Literaturpolitik jener Zeit, unter denen sich Bredel ebenso schweigend wegduckte wie schon während der stalinistischen Säuberungen, denen in Moskau etwa drei Viertel der dorthin emigrierten Schriftsteller zum Opfer gefallen waren.
Es scheint, als ob Bredel unter diesen bedrückenden äußeren Einflüssen und auch unter dem akuten Arbeitsdruck nicht nur seinen bekannten Humor, sondern auch sein kreatives Talent empfindlich einbüßte. Die 1941 begonnene Trilogie „Verwandte und Bekannte“ lief nach dem so vielgerühmten Beginn „Die Väter“ über „Die Söhne“ (1949) ähnlich schablonenhaft in „Die Enkel“ (1953) aus, wie Bredels literarische Anfänge ausgefallen waren. Dieses Proletarier-Panoptikum als sozialistisches Gegenstück zu Thomas Manns „Buddenbrooks“ zu bezeichnen, wie es Alexander Abusch schon 1952, die Resonanz des Abschlussbandes in der Leserschaft vorweggreifend, tat, musste schon damals geradezu grotesk erscheinen.
In seinen späteren Jahren reiste Bredel mehrfach als Aushängeschild sozialistischer Kultur durch die Zweite Welt und kehrte doch der gegenwärtigen Politik mit dem Erzählband „Unter Türmen und Masten“ (1960) thematisch den Rücken: Die „Geschichte einer Stadt in Geschichten“, so der Untertitel der Sammlung, ist eine anekdotenhafte Rückbesinnung auf Bredels Heimatstadt Hamburg.
Mit seinem unerwarteten Tod infolge eines Herzinfarkts im Oktober 1964 setzte das propagandistisch aufgeblähte Nachleben des zu „einem lebendigen Erzähler, einem Volksdichter, einem soliden Stück Hamburger Arbeiterbewegung“ – so Erich Weinert – verklärten Bredel ein, das sich in der Widmung zahlreicher öffentlicher Gebäude und Straßen, in einer massenhaft vertriebenen, 14-bändigen Werkausgabe und recht hohlen Phrasen der Ehrbekundung äußerte – wie etwa jener von Konstantin Fedin: „Die Begegnungen mit Willi Bredel waren für mich stets eine Freude“, formulierte der russische Schriftsteller in seinem standardisiert anmutenden Empfehlungsschreiben.
Das bis 1989 verlegte Werk Bredels ist inzwischen längst zur billigsten Ramschware verkommen, der Autor selbst hält in jüngeren, ebenso seltenen wie insgesamt wenig beachteten Analysen wahlweise als Chronist der Hamburger Arbeiterviertel, als mecklenburgischer Heimatautor und als Zeitzeuge der Moskauer Exiljahre her. Fernab dieser matten Versuche, Bredel in der politischen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts zu verorten, erweist sich sein historischer Störtebeker-Roman „Die Vitalienbrüder“ (1950) als ununterbrochen verlegter Dauerbrenner – ein abenteuerliches, politisch eher gemäßigt linkes Jugendbuch ausgerechnet. Und so scheint Friedrich Wolf zuletzt Recht zu behalten, wenn er schon um 1935 bemerkte, dass Bredels beste Werke „besonders auf die Jugend wirkten und ins sozialdemokratische Lager drangen.“ Vielleicht bietet diese Lesart auch eine späte Befreiung aus den Zwängen der ostdeutschen Kulturpolitik, zu der Bredel selbst nicht die Kraft hatte.