von Henryk Goldberg
Manchmal werden wir gewarnt, wie es einmal sein könnte. Bücher und Filme erzählen uns wie es werden könnte, wenn die Maschinen, die Roboter die Macht übernehmen. Wenn wir die Geister, die wir schufen, nicht mehr beherrschen. Und Issac Asimov hat schon 1942 die Gesetze formuliert, nach denen die Roboter einmal leben sollen, damit sie uns nicht beherrschen, später einmal. Aber sie sind schon da, jetzt. Es sind nicht die Roboter, die sind noch nicht so weit.
Es sind die Gesetze. Und irgendjemand sollte, so wie Isaac Asimov es für die Roboter tat, die Gesetze für die Gesetze schreiben, damit sie nicht die Herrschaft übernehmen über den Menschen, der sie schuf. Aber diese Gesetzes-Gesetze hat noch niemand geschrieben und wenn, dann haben sie keine Gesetzeskraft erlangt. Und deshalb dürfen wir in Deutschland seit dem 1. Juni von Gesetzes wegen nicht Paternoster fahren, obwohl wir es ab Herbst wieder dürfen. Doch bis dahin, zwischen jetzt und voraussichtlich Herbst, hat das Gesetz die Macht übernommen. Und zwar in Gestalt von BetrSichV (Betriebssicherheitsverordnung) Anhang 1 Nr.4.4. § 22 Abs.2 Nr.5.
Wenn in diesem Land ein Mensch von einem anderen Menschen verprügelt wird und die Polizei kommt dazu, dann wird der Prügeler nach Aufnahme seiner Personalien erst einmal nach Hause geschickt. Wenn in diesem Land einer vorschlägt, was vernünftig wäre, dass man keine 200 Stundenkilometer auf der Autobahn fahren darf, dann wird er niedergebrüllt.
Wenn in diesem Land ein Arzt dem Arbeitsgeber eines, sagen wir, Piloten über ein psychisches Problem des Patienten informieren wollte, dann machte er sich strafbar. Wenn jemand, der einen Führerschein in der DDR erwarb, das will, dann darf er mit einem Lkw bis 7,5 Tonnen durch das Land donnern, ohne je eine Stunde geübt zu haben. Wenn aber in diesem Land einer Paternoster fahren will, dann muss er erstens beim Betreiber desselben angestellt und zweitens speziell für die Benutzung des Personenumlaufaufzuges ausgebildet sein. Hä? Doch, wirklich. Seit dem 1. Juni.
Allerdings nicht mehr lang. Denn nachdem einige Journalisten diesem traumhaft schönen Umstand entdeckten, solche Verordnungen pflegt niemand zu lesen, da bemerkte die Arbeitsministerin Andrea Nahles, was da in der Verantwortung ihres Hauses über Deutschland gekommen war. Sie hat davon aus der Presse erfahren. Und reagierte selbigen Tages, selbstverständlich wird man das ändern, der Paternoster ist auch ein Stück technischer Nostalgie. Nun ist dieses Gesetz aber einmal in der Welt – und niemand, niemand kann es aufhalten. Wenigstens nicht gleich. Es wird eine Novelle geben, eine Änderung, eine Ergänzung des Anhangs oder etwas in der Art. Aber bis das soweit ist, es wird wohl zwischen Herbst und Jahresende sein, da gilt knallhart das Gesetz. Und sollte ein mutiger Paternosterbesitzer dieses schöne Gerät doch vorab freigeben wollen zur Benutzung – er müsste damit rechnen, dass sich jemand findet, der ihn anzeigt und er könnte nicht darauf vertrauen, dass der zuständige Richter ihn laufen beziehungsweise Paternoster fahren lässt.
Deutsch sein, hat Richard Wagner geschrieben, heißt eine Sache um ihrer selbst willen zu tun. Alle wissen, dass diese Bestimmung korrigiert wird. Alle wissen, dass das Gesetz an dieser Stelle geändert wird. Aber bis es soweit ist, bis die Maschinerie hinreichend lang gerattert hat, bis dahin ist so eine Verordnung wie ein Roboter, dem Asimovs Gesetze nicht eingebaut wurden, wie ein Frankenstein, der seines Monsters nicht mehr Herr wird. Überdies erzählt uns die Geschichte auch, wie Gesetze entstehen, wenigstens manchmal: Fernab vom Menschen. Fernab von seinen Gefühlen, seinen Empfindungen. Gewiss, so ein umlaufender Personenaufzug ist objektiv gefährlicher als ein geschlossener Lift. Indessen, die wenigen Unfälle die es gibt, lassen sich mit einigen Sicherheitsmaßnahmen so gut wie ausschließen. Und es sind ohnehin nicht mehr so viele, etwa 240 sollen es noch sein, da seit 1974 keine neuen mehr in Betrieb genommen werden dürfen.
Der Vorgang zeigt die herzlose, staubtrockene, menschenfremde Atmosphäre der Manufakturen, in denen Beamte mit der Herstellung von Gesetzen befasst sind. Niemand hatte dort ein Empfinden für den nostalgischen Wert eines solchen Gerätes, niemand ein Empfinden für seine Ausstrahlung. Und für die Albernheit einer Verordnung, die eine Schulung für das Benutzen eines Fahrstuhles vorschreibt. Aber natürlich, alle sind nicht gegen die neue Verordnung, die bald eine alte sein wird. Die Anregung zu ihr kam von den Fachverbänden der Aufzugsbranche.
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