von Christoph P. Mohr
Bereits Sun Tzu stellte in seinem Werk „Die Kunst des Krieges“ fest, dass der klügste Krieger der sei, der niemals kämpfen müsse. Gut 2.500 Jahre später sind wir drauf und dran, diese Weisheit Realität werden zu lassen. Nicht, weil wir gelernt hätten, Konflikte und Kriege zu vermeiden, sondern weil heutige Entwicklungen im Bereich der Waffentechnik zu einer kontinuierlichen Dehumanisierung des Schlachtfelds führen. Immer mehr Waffensysteme, ob bereits im Einsatz oder noch in der Entwicklung, weisen einen hohen Grad an Eigenständigkeit auf. In den medialen Fokus gerückt sind vor allem die Vorläufer dieser Waffen, die unbemannten Flugsysteme (unmanned aerial vehicles, UAVs), zumeist besser bekannt als Drohnen. Sicherlich sind auch diese bereits unbemannt in ihrer Natur, unterscheiden sich aber elementar von den kommenden Autonomen Waffensystemen in ihrer Beziehung zum menschlichen Operator und der zugrundeliegenden Entwicklungslogik.
Drohnen und andere ferngesteuerte Systeme sind „Avatarsysteme“ für Soldaten, das heißt, sie bieten die Möglichkeit, auf dem Schlachtfeld per Fernsteuerung zu agieren, ohne physisch präsent sein zu müssen. Die Operatoren sitzen häufig tausende Kilometer vom eigentlichen Einsatzort entfernt und treffen ohne Eigenrisiko Entscheidungen über alle Aspekte des Einsatzes, inklusive Waffeneinsatz. Die Fernsteuerung der Systeme ist jedoch mit diversen Problemen verbunden: denn vor allem die Signalübertragungszeiten (Latenz) für die Aufklärung von Zielobjekten und die Befehlsgebung an die Drohnen selbst samt Verschlüsselung und benötigter Datenbandbreite schränken die Handlungsmöglichkeiten fundamental ein. Autonome Waffensysteme gingen hingegen einen Schritt weiter und wären in der Lage, Missionen eigenständig gemäß einer zuvor programmierten Einsatztaktik zu bearbeiten, auf Umwelteinflüsse und ungeplante Situationen unabhängig von einem Operator antizipativ zu reagieren und so den Menschen auf dem Schlachtfeld vollständig obsolet werden zu lassen. Sie verändern die Beziehung zwischen der Waffe als Wirkungsmittel und dem Menschen als Teilnehmer im Kriegsgeschehen radikal und sind gerade deshalb keine einfache technologische Weiterentwicklung von Distanzwaffen, wie das von Pfeil und Bogen bis hin zu Drohnen der Fall war, sondern der Beginn einer fundamentalen Revolution der Kriegsführung. Diese Waffen sind eben nicht mehr nur Avatar für den im Kriegsgeschehen agierenden Menschen, sondern Surrogat; sie vertreten und ersetzen ihn als Konfliktteilnehmer. Sie sind nicht weniger als die dritte Revolution des Kriegsbildes, nach der Erfindung des Schießpulvers und der Atombombe. Die Logik hinter ihrer Entwicklung klingt für die Betreiberstaaten vielversprechend: Einerseits bietet das Einsetzen dieser Systeme die Möglichkeit, eigene Verluste zu minimieren oder gar auszuschließen, Verteidigungs- und (Raketen-)Schutzsysteme, beispielsweise für Schiffe, effizienter und kostengünstiger zu betreiben sowie zuverlässiger werden zu lassen. Andererseits kann, so die Auffassung des amerikanischen Verteidigungsministeriums, durch die robotic revolution eigene militärische Überlegenheit auf Jahrzehnte hin konsolidiert werden.
Nationen mit ziviler Hightech-Industrie sind durch die starke dual use-Natur moderner Technik stark bevorteilt, wenn es um Grundlagenforschung für diese neuen Hightech-Waffen und ihre Entwicklung geht. Zivile Forschung, beispielsweise im Software/Künstliche Intelligenz-Bereich oder zur Verbesserung von Sensorik, kann besonders effektiv für den militärischen Bereich genutzt werden. Mehr als 40 Staaten forschen bereits an der Entwicklung von Autonomen Waffensystemen.
Bereits im Einsatz befindliche Waffensysteme, wie zum Beispiel das israelische Iron-Dome-Raketenabwehrsystem verfügen bereits über eine (noch eingeschränkte) Eigenständigkeit. Iron-Dome kann autonom Ziele identifizieren, anvisieren und bekämpfen, ist aber limitiert durch einen zugewiesenen Bekämpfungskorridor und die Freigabe durch einen Menschen. Auch eigenständige Mobilität ist infolge Ortsgebundheit des Systems unmöglich. Teilautonomie ist in solch defensiven Abwehrsystemen aber zwingend erforderlich, da die menschliche Reaktionszeit und die Mensch-Maschine-Interaktion für eine Wirkungsdegression durch zeitliche Verzögerung sorgen.
Die im Rahmen der targeted killing-Einsätze stark diskutierte MQ-9 Predator-Drohne der USA verfügt über die Möglichkeit, ähnlich wie moderne Flugzeuge, eigenständig zu navigieren und zu fliegen. Ziele aber werden durch den Operator markiert (anvisiert) und nur durch diesen bekämpft.
Einen hohen Grad von Automatisierung weist beispielsweise auch die Brimstone Luft- Boden-Rakete des Konzerns MBDA auf. Diese kann sich sowohl eigenständig bewegen, selbst navigieren, Ziele erfassen als auch diese final bekämpfen. Voraussetzung hierfür ist lediglich der Abschuss durch den Operator (Piloten) und die Eingrenzung des Zielgebiets (pre-selection). Diese Form von Raketen wird als fire and forge“ bezeichnet.
Deutlich wird hieraus: Bereits heute verfügen diverse Waffen über autonome Aspekte. Auch wenn diese noch weit davon entfernt sind, eine wirkliche Einsatzautonomie wie der fiktive T-800 Roboter aus Hollywoods „Terminator“-Serie zu haben, sorgen technologische Fortschritte für einen rasanten Ausbau der Fähigkeitspotenziale in allen Wirkungsbereichen. Neue, komplexere Algorithmen und sogenanntes. maschinelles Lernen ermöglichen es Maschinen, Entscheidungen eigenständig zu treffen, und haben neue, komplexere Einsatzszenarien und -strategien zur Folge. Sensorik, Software sowie Antriebssysteme in zukünftigen Waffensystemen werden schon bald deutlich potenter sein und so bereits vorhandene Fähigkeiten massiv ausweiten. Beispielsweise kann hier auf eine stark verbesserte Freund-Feind-Erkennung beziehungsweise Zielerkennung verwiesen werden. Während heutige Waffen nur grobe Unterscheidungen (Panzer – Bus; Hubschrauber – Haus) leisten können, die gerade in komplexen Gebieten (beispielsweise innerstädtisch) schnell an ihre Grenzen stoßen, werden Fortschritte in den erwähnten Bereichen eine weitaus größere Unterscheidungsfähigkeit zur Folge haben.
Auch die Kombination mit anderen Entwicklungen wie Stealth, bessere Maschine-Maschine-Vernetzung (Schwarm) oder Mensch-Maschine-Interaktion können und werden in der Zukunft mit Automatisierung kombiniert werden. Im Näheren sollen hier vier Entwicklungen kurz näher beleuchtet werden:
Schwarmsysteme sind eine relativ neue Applikation von unbemannten Systemen. Orientiert am Vorbild von Insektenschwärmen und deren gemeinschaftlichen Aktionsmöglichkeiten, stehen Kostensenkung, Effizienzsteigerung und Systemminiaturisierung als zentrale Prämissen im Fokus. Statt eines singulären, großen, teuren Systems wie Global Hawk oder RQ-9, die lediglich mit einem Set von Sensoren ausgestattet und durch nur einen Blickwinkel und Handlungsradius relativ beschränkt sind, werden multiple, kleinere Systeme im Schwarm eingesetzt, um so eine Kombination diverserer Blickwinkel und Wirkungsfähigkeiten zu einem günstigeren Preis generieren zu können. Drohnenschwärme verfügen über ein weitaus größeres Level an Autonomie als singuläre Drohnen und können als nächster Schritt in einer evolutionären Entwicklungskette betrachtet werden. Sicherlich werden zukünftige unbemannte Systeme nicht ausschließlich in Schwärmen eingesetzt werden, doch im Rahmen der dargestellten Vorteile wird dies sicher eine valide Anwendung ergeben, um mittelfristig technische Schwierigkeiten zu umgehen sowie den Kostendruck zu mindern und der gewünschten Ausweitung auf neue Anwendungsfelder gerecht werden zu können. Die US-Navy testet zum Beispiel im Augenblick autonome Schiffe, die im Schwarmverbund die Sicherheit eines größeren Schiffs, beispielsweise einen Zerstörer wie die USS Cole, die im Jahr 2000 das Angriffsziel von Terroristen war, schützen könnten.
Neben dem Einsatz von „Schwärmen“ ist vor allem die Entwicklung von gemischten Mensch-Maschine-Einheiten der nächste, mittelfristige Schritt. Solche Einheiten Kooperation zwischen Mensch und Maschine heißt hier konkret, dass UAV-Fähigkeiten mit denen von bemannten Systemen kombiniert und gemeinsam in einem Szenario eingesetzt werden. Das bemannte System würde in diesem Fall in zweifacher Hinsicht durch Maschinen unterstützt werden: einerseits im direkten Missionseinsatz und andererseits, wie bereits heute, durch sogenannte Assistenzsysteme, die wiederum dem Menschen „vorgefertigte“ Handlungsoptionen aufzeigen und so die generierte Datenflut für den menschlichen Operator dahingehend kanalisieren, dass diese zu bewältigen ist.
Bisher wenig betrachtet und diskutiert – obwohl potenziell als kurzfristig realisierbar einzustufende Entwicklung – worden sind die Weiterentwicklungen der Verschlüsselungstechnik im Rahmen der Datenübertragung und die damit im Zusammenhang stehende, immer geringer werdende Latenz in der Steuerung von teil-autonomen Systemen. Um Sicherheit gegenüber Fremdeinwirkung gewährleisten zu können, müssen die Datenströme zwischen Steuerung und System verschlüsselt werden. Dies betrifft bereits heutige Systeme wie Drohnen, die einen vergleichsweise geringen Autonomiegrad aufweisen. Aber auch vollautonome Systeme müssen aufgrund ihrer Funktionslogik als taktische Waffensysteme mit einer Auftragstaktik durch einen Operator „versorgt“ werden. Durch die Ver- und Entschlüsselung auf beiden Seiten (send and receive) entsteht Latenz. Diese ist additional zur menschlichen Reaktionszeit und sorgt so für Wirkungsdegression. Neuere, effektivere Verschlüsselungsalgorithmen sowie höhere Rechenkapazitäten auf kleinerem, mobilem Raum sorgen für starke Fähigkeitszunahmen solcher Systeme. Eine schnellere Ver- und Entschlüsselung ergänzt daher die Entwicklungen zu mehr Autonomie.
Nicht zuletzt werden auch Anwendungen im Nanobereich erforscht. Nanoroboter sind autonome Kleinstroboter in der Größenordnung eines Streichholzkopfes (oder sogar wesentlich kleiner), die vollkommen neue Anwendungen, zum Beispiel im Bereich der Überwachung, aber auch für andere operative Zwecke vorstellbar machen.
Volle Autonomie, also der vom Menschen unabhängige Einsatz selbst agierender, planender und „denkender“ Systeme, liegt sicherlich noch weit in der Zukunft. Zu hoch sind die technischen Hürden. Da der Mensch aber das vermeintlich schwächste Glied in der Entwicklungskette kommender Waffensysteme ist, wird er zunehmend zum verzichtbaren Element. Die Dehumanisierung des Schlachtfeldes hat längst, auch ohne den Einsatz Autonomer Waffensysteme, begonnen. Mit über 12.000 Robotern im Irakkrieg haben die Amerikaner bereits die Stoßrichtung der zukünftigen Kriegsführung aufgezeigt.
Zugleich ist es evident, dass technologische Entwicklungen einer Sprunghaftigkeit unterliegen, die häufig nicht vorherzusehen ist. Diese Planungsunsicherheit erfordert eine möglichst früh ansetzende gesamtgesellschaftliche Diskussion über ein sich dynamisch entwickelndes Feld. Bill Gates hat Robotik als the next hot field bezeichnet. Dass dieses Feld eine signifikante militärische Komponente hat, die diskutiert und möglichst präventiv eingehegt werden muss, sollte immer wieder hervorgehoben werden – insbesondere auch weil Staaten sich vermehrt einem durch Proliferation generiertem Entwicklungszwang gegenüber sehen. Eine Ignorierung oder auch nur Unterschätzung des Game-Changers Robotik kann und ist keine Handlungsoption.
Christoph P. Mohr, Jahrgang 1985, hat in Marburg, Darmstadt und Istanbul Politikwissenschaft, Internationale Beziehungen sowie Friedens- und Konfliktforschung studiert und war für die Friedrich-Ebert-Stiftung im Bereich Internationale Politikanalyse sowie im Arbeitskreis Sicherheitspolitik tätig. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind Außen- und Sicherheitspolitik, Militärtechnologie und Rüstung. Mohr lebt in Frankfurt am Main.
Schlagwörter: autonome Waffensysteme, Christoph P. Mohr, Drohne, fire and forget, Krieg, Künstliche Intelligenz, Miniaturisierung, Nanoroboter, Schwarmsysteme, Sensorik, Software