18. Jahrgang | Nummer 15 | 20. Juli 2015

„Alle, die kommen wollen, sollen kommen können…“

von Renate Drommer

Seit Februar dieses Jahres gebe ich in einem Übergangsheim für Ausländer Deutschunterricht, ehrenamtlich. 280 Flüchtlinge leben in dem Containerdorf. Einzelzimmer gibt es nicht. Zwei Menschen teilen sich einen Raum, jeder hat ein Bett, einen Schrank und einen Tisch. Sie kommen aus Eritrea, Syrien, Pakistan, Sri Lanka und aus den ehemaligen serbischen Teilrepubliken. Alle diese Flüchtlinge haben bereits einen dreimonatigen Aufenthalt in einem Erstaufnahmeheim hinter sich. Jetzt sind sie im Übergangsheim, das heißt, sie warten auf ihre Aufenthaltsgenehmigung oder auf ihre Abschiebung. Das kann bis zu sieben Monaten dauern. Die Flüchtlinge aus Serbien haben keine Chance auf Anerkennung, sie müssen in ihre Heimatländer zurück. Ihr Interesse an der deutschen Sprache ist gering. Sie besuchen die Kleiderausgabe und decken sich reichlich mit Jeans und T-Shirts ein. Vermutlich schicken sie die Sachen nach Hause und tragen auf diese Weise zum Überleben ihrer Familien bei.
Die Flüchtlinge aus Eritrea sind junge Männer zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahren. Sie dürfen bleiben wie die vertriebenen Syrer. Ihre Asylverfahren könnten schnell und unbürokratische abgewickelt werden. Aber auch sie haben drei Monate in einem Erstaufnahmeheim mit Residenzpflicht hinter sich. Dort wurden sie verpflegt und durften sich nicht entfernen. Die jungen Männer aus Eritrea sind vor dem Militärregime ihres Landes geflohen. Das kann sie auf unabsehbare Zeit in den Armeedienst zwingen. Aussicht auf Arbeit außerhalb der Armee haben sie in ihrer Heimat nicht. Die Eritreer besuchen fleißig den internen Deutschunterricht, den wir Ehrenamtlichen anbieten. Sie fahren außerdem in eine Schule und belegen einen offiziellen Deutschkurs, um ein Zeugnis zu bekommen. Das sind die „guten“ Flüchtlinge, von denen die Politik gern in ihren „Sonntagsreden“ predigt.
Neulich fuhr ein Polizeiauto beim Flüchtlingsheim vor und holte einen meiner Schüler aus Eritrea ab. Hat er gestohlen, Gelder veruntreut oder Mitbürger angepöbelt? Sein Vergehen besteht im illegalen Überschreiten der europäischen Grenzen. Er hat nicht gewartet, bis die Regierungen eine verbindliche Regelung gefunden haben, nach der die Flüchtlinge verteilt werden. Der junge Mann hat seinen Weg nach Berlin selbst organisiert, ist seit zehn Monaten hier, spricht sehr gut deutsch, sein Asylverfahren läuft und er hat einen Praktikumsplatz in Aussicht. Er ist, wie seine Landsleute, gegen Bezahlung von Schleppern übers Mittelmeer gekommen. Er hat Glück gehabt und ist nicht ersoffen wie Tausende anderer. In Lampedusa wurde er mit seinem Fingerabdruck registriert. An diesem Fingerabdruck hat ihn nun die deutsche Behörde, die seinen Asylantrag bearbeitet, identifiziert. Sie scheut keinen Aufwand und schickt ihn zurück nach Italien. So besagen es die europäischen Vorschriften. Wo der Flüchtling ankommt, dort hat er zu warten. Aber worauf? Auf einen Schlüssel zur Verteilung der in Italien und Griechenland Gestrandeten konnte die EU sich nicht einigen. Das Signal, das sie damit versendet hat, wurde gut verstanden. Es bestätigt Pegida und deren ausländerfeindliche Anhänger. Kein Wunder, wenn die Flüchtlingsheime angegriffen werden.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen organisiert unterdessen die erste Phase der Militäroperation gegen die Schlepperbanden im Mittelmeer. Das deutsche Kriegsschiff „Schleswig Holstein“ soll zusammen mit anderen EU Schiffen ein „detailliertes Lagebild über die Schleuserbanden und ihre Infrastruktur“ vor der Küste Libyens erstellen. In einer zweiten Phase soll dann deren Vernichtung erfolgen.
Doch die Schlepper sind nicht die Ursache des Problems. Sie nutzen nur eine Marktlücke und machen Geschäfte, unmoralische Geschäfte, die nach offiziellen Angaben über Zehntausend Opfer gefordert haben. Das Mittelmeer ist ein Meer der Toten geworden. Wer in diesem Sommer an seiner Küste ins Wasser steigt, muss die Fernsehbilder der hilflos ertrunkenen Frauen, Kinder und Männer vergessen können.
Die Schleuserbanden hätten längst keine Kunden mehr, gäbe es endlich legale Einreisewege für Flüchtlinge. Das aber will die EU offensichtlich nicht. Sie startet lieber eine groß angelegte PR-Kampagne mit der Vorgabe, die Schlepper und ihre Strukturen zu zerstören. Wie das geschehen soll, weiß bisher niemand.
Über die Ursachen der Massenflucht, die einer modernen Völkerwanderung gleicht, sprechen die Regierenden ungern. Sie müssten dann die Verantwortlichen benennen, die durch Militäreinsätze und „Regime Change“ die staatlichen Strukturen der betroffenen Länder zerstört haben. Es ist leicht, einen autoritären Staatsführer wie Gaddafi zu töten. Aber einem Land wie Libyen eine „freiheitliche“ Ordnung nach amerikanischem oder europäischem Vorbild zu verpassen, ist unmöglich. Eingriffe dieser Art enden meist in Chaos und Gewalt. Es muss Kräfte geben, die genau das bezwecken, anders ist es nicht denkbar. Die Menschen fliehen aus ihrer Heimat, weil sie dort keine Bleibe mehr haben. Will man die Flüchtlingsströme wirklich eindämmen, wäre ein Umdenken nötig, ein weltweites Entwicklungsprogramm in Milliardenhöhe über zehn und mehr Jahre. Können die reichen Länder der Welt sich nicht bald darauf einigen, droht eine Katastrophe, die der IS für sich zu nutzen weiß.
Solange Krieg herrscht, haben die Vertriebenen ein Recht zu kommen, ein unveräußerliches Menschenrecht. Und wir haben die Pflicht, sie mit offenen Armen zu empfangen.

Der Titel ist dem gleichnamigen Lied des Sängers Gundi Gundermann entnommen.