von Thomas Behlert
Wie soll man einen Künstler bezeichnen, der Porträts von Berühmtheiten schafft, die schöner, faltiger, abstruser, witziger, greller, manchmal hässlicher, komischer und aufgeblähter sind, als Gott sie je erschaffen konnte? Da man sich festlegen muss, fallen oft die Bezeichnungen „karikierender Maler“ und „malender Karikaturist“. Sebastian Krüger, 1963 in Hameln geboren, begann mit 20 Jahren ein Studium an der Hochschule für bildende Kunst in Braunschweig, im Fach Freie Malerei. Bereits mit drei Jahren unternahm er erste Malversuche. Die künstlerisch „vorbelastete“ Familie erkannte sein Talent früh und förderte ihn maßgeblich. Da aber die festen Wege während des Studiums nichts für ihn waren, Krüger alles mehr und mehr als künstlerischen Zwang empfand, brach er das Studium ab und begann sich als Autodidakt weiterzubilden.
1986 erscheinen erste Illustrationen und Karikaturen in der Öffentlichkeit. Es folgen Auftragsarbeiten für viele bekannte Zeitungen und Zeitschriften. So konnten sich die Leser der Zeitschriften, Kowalski, Titanic, Stern, Capital, Playboy und L‘Espresso (Italien) an witzigen Titelblättern erfreuen. Aber eigentlich waren diese Pflichtaufgaben nie sein Ding, wie er in einem Interview erläuterte: „Ich habe häufig Personen wie irgendwelche Wirtschaftsmanager und drittklassige Politiker malen müssen, die mir völlig am Arsch vorbei gingen. Ich war dann froh, dass ich das irgendwann – symbolisch gemeint – wieder ins Klo spülen konnte.“ Zufrieden konnte er da wohl nur mit dem „Schmerzensgeld“, dem Honorar, sein.
Anfang der 1990er Jahre flog er bei der Capital raus, für die er die recht langweilige schwarze Krüger-Seite gestaltete. Seine Frau regte an, dass er endlich seine Ideen verwirklichen sollte. Mit unvergleichlichen und herrlich verrückten Stones-Porträts erreichte er den internationalen Durchbruch. Die Rolling Stones sind sowieso Krügers Streckenpferd und gleichzeitig Ideengeber, denn es gibt keine Band, die so viele unterschiedliche Typen vereint: Da ist Keith Richards, dessen Gesicht von tiefen Falten durchzogen ist – Sebastian Krüger nennt Bilder von ihm „The Devil in Focus“ und „Mr. Roll“. Dann natürlich der Hungerhaken Mick Jagger, den der Künstler aus Deutschland noch dünner und unheimlicher malt. Der weit geöffnete Mund streckt sich dem Betrachter entgegen, man möchte den Finger hineinstecken und aus ihm das letzte Stück Rock`n Roll reißen. Oft sperrt Jagger die Klappe weit auf und schreit ein lautes „Satisfaction“ in die Welt hinaus. Charlie Watts ist nicht von dieser Welt, denn er lächelt still vor sich hin und weiß von seiner Größe. Schließlich ist da noch der Gitarrist auf Lebenszeit: Ron Wood. Ganz cool schaut er den Betrachter an, seine Lippen umspielt ein feines, kaum zu erkennendes Lächeln. Wood hat alles gesagt, er will nur noch Rock`n Roll spielen.
Neben den Stones gibt es den unheimlichen Michael Jackson, der schon vor seinem Tod auf Krügers Bild wie der Tod aussah. Unheimlich schön. Der coole Bob Dylan ist dabei, an dessen Spruch sich der Künstler Krüger immer gerne erinnert: „Ein Mann ist erfolgreich, wenn er morgens aufsteht, abends ins Bett geht und dazwischen macht, was er möchte.“ Bewundern kann man im neuen Sammelband die schießwütigen Clint und Arnold, die lustigen Beatles und sogar Pippi Langstrumpf in Siegerpose.
Angefangen hat alles mit Keith Richards, den er oft zeichnete und an den sein damaliger Agent eine Arbeitsmappe mit Bildern weiterreichte, an der er Gefallen fand. Man traf und verstand sich auf Anhieb und besucht sich bis zum heutigen Tag. In der gerade erschienenen Sammlung „Face2Face“, die nach „Stones“, „Stars“ und „Faces“ das vierte Wunderwerk ist, gibt es neben den Stones und vielen weiteren alten Stars auch die Helden der Jetztzeit, wie „Noel“ (Gallagher), „Amy“ (Winehouse), „Johnny“ (Depp).
Auf den Bildern sind kleinste Haarstrukturen zu erkennen. Jede Bartstoppel wird sichtbar, die Augen sind fest zusammengekniffen oder weit aufgerissen, so dass man jeden Moment mit einem Unheil rechnen muss. Bei Michael Jackson („The Lost Boy“) könnte der Betrachter meinen, es ist ein Foto vom letzten Konzert, als Drogen, falsche Tabletten ihr „Werk“ vollendeten. Der Ausnahmesänger geht noch ein letztes Mal vollkommen in seiner Musik auf, Mund und Augen sind weit aufgerissen, die Faust stößt ins Leere. Einmalig und schön die Skizzen der verstorbenen Bluesmusiker (Albert King, Little Walter, Billie Holiday, Leadbelly), die Songs für die Ewigkeit schufen und von Krüger für diese gemalt und gezeichnet wurden.
Im Sinne der New Pop Art schuf Sebastian Krüger nicht schöne, aber wahre „Faces“. Man blickt endlich wieder in Gesichter, die Lebendigkeit zeigen und nicht von der heutigen Boulevardpresse der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Krügers Werke vereinen sich mit der Wirklichkeit und bringen echte Lichtreflexe und Schattenspiele, aber auch Traumlandschaften und abstrakte Momente. Es ist einfach die „nackte“ Wahrheit.
Mittlerweile veröffentlicht der Ausnahmekünstler nicht nur Bilder in Deutschland, sondern in der ganzen Welt. Vor einigen Jahren eröffnete der Club „Moods“, Las Vegas, seine Pforten. Als Höhepunkt gelten nicht nur die Jazz-, Blues- und Rockgrößen, die hier regelmäßig spielen, sondern vor allem die sieben Krüger-Bilder, die riesig groß über der langen Theke prangen. Regelmäßig werden in der Galerie 319, in Santa Monica (USA), Bilder ausgestellt, wie auch in London, Boston, Soho und im „L‘Unique“, in Basel.
Bis überhaupt der erste Strich auf der Leinwand erscheint, muss das Bild schon im Kopf des Porträtmalers existieren, wobei die zu malende Person ein interessantes Gesicht und Ausstrahlung besitzen sollte, ein DSDS-Sternchen oder die „Dauergrinse“ Yvonne Catterfeld werden nie den Hauch einer Chance bekommen. Er ist der Star des New Pop Realism, der in seiner Kunst ein Ventil sieht, Aggressionen loszuwerden. Mit Sebastian Krüger besitzt Deutschland einen der größten Künstler der Gegenwart. Ein langer Blick in das neue Buch „Face2Face“ wird diese Aussage bestätigen und festigen.
Sebastian Krüger: Face2Face. Fine Art by Sebastian Krüger. Verlag Lappan Art, Oldenburg 2015, 160 Seiten, 50 Euro.
Schlagwörter: Malerei, New Pop Realism, Rolling Stones, Sebastian Krüger, Thomas Behlert