von Bernhard Romeike
Joseph „Sepp“ Blatter hat nur vier Tage nach seiner umstrittenen Wiederwahl den Rücktritt vom Amt des Präsidenten des Weltfußballverbandes FIFA erklärt. Es wäre wohlfeil, nun in die Anti-Blatter-Hysterie der deutschen Medien einzustimmen. Gleichwohl, wenn alle über Korruption reden, soll es auch hier getan werden.
Versuchen wir es in drei Annäherungen an das Problem. Die erste: Welche Korruption? Über die moralische Verwerflichkeit von Schmiergeldsystemen muss man gewiss nicht streiten, auch nicht darüber, dass ein Leben unter den Bedingungen regelgerechten Verwaltungshandelns einfacher ist als unter solchen der Korruption. Aber wie steht es um die Politische Ökonomie der Korruption? Es sind stets die gehobenen Schichten, die den Honig saugen, und es sind die Arbeitsbienen, die ihn herbeischaffen.
Die Frage, die die großen Medien nicht stellen, lautet: Gibt es eigentlich Kapitalismus ohne Korruption? Schon im 19. Jahrhundert waren die großen Finanzjongleure der westlichen Länder und ihre Regierungen zu ihren wirtschaftlichen, dann politischen Machtpositionen in Ägypten oder im Osmanischen Reich nicht ohne Bestechung gekommen. Für die französische Einflusspolitik in Afrika gehörte der Kauf örtlicher Politiker auch nach dem Ende des Kolonialismus zum Tagesgeschäft. Beim Deal zwischen Frankreich und der BRD zur deutschen Einheit wurde dies auf Zentraleuropa erstreckt: Verkauf des DDR-Tankstellennetzes Minol und der Leuna-Werke an den französischen Konzern Elf Aquitaine, vereinbart dem Vernehmen nach direkt zwischen Einheitskanzler Kohl und dem damaligen französischen Präsidenten Mitterrand. Darauf folgten die „Leuna-Affäre“ und die Mutmaßungen um Kohls „schwarze Koffer“ voller Gelder. Die EU verwaltet ihr ganzes Protektorat Kosovo mittels Korruption. Die Deutsche Bank hat bereits etliche Strafzahlungen wegen Insider-Geschäften und Zinsmanipulation (die moderne Form der Korruption im Finanzkapitalismus) geleistet, allein im ersten Quartal 2015 1,5 Milliarden Euro, und weitere Milliarden als Rückstellungen in die Bilanz geschrieben. Beim Siemens-Konzern gehörte Schmiergeld regelmäßig zur Auftrags-Akquise; Anfang 2015 wurden in Griechenland 64 Personen wegen der Bestechungspraxis von Siemens vor Gericht gestellt.
Die FIFA hat gewiss aktiv beigetragen, das Fußballwesen zu neoliberaler Kenntlichkeit zu bringen. Aber die hängt beileibe nicht nur an ihr. In einem Kommentar zum Ende der Bundesliga-Saison hieß es kürzlich, das Nachsehen haben die altmodischen Vereine und oben in der Tabelle stehen Mannschaften, die entweder Wirtschaftsunternehmen sind – BVB Dortmund als Aktiengesellschaft, Bayern München als nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, deren Hauptaktionäre die Allianz Versicherungsgruppe, Sportausstatter Adidas und die in Bayern beheimatete Autofirma Audi sind – oder „außer-sportliche“ Sponsoren haben, wie VW bei Wolfsburg, Bayer AG bei Bayer Leverkusen, lange Zeit Postbank, jetzt Santander Bank bei Borussia Mönchengladbach, die russische Gazprom bei Schalke 04, SAP-Gründer Hoff bei der TSG Hoffenheim. Auch der Aufstieg des FC Ingolstadt in die erste Bundesliga ist nicht ohne Rückendeckung von Audi erfolgt – Audi liegt nicht nur allgemein in Bayern, sondern ist konkret in Ingolstadt beheimatet. Wenn Außenminister Steinmeier in Bezug auf Blatter und die FIFA nun von der „großen Diskrepanz“ zwischen den Fußballfans, Freizeitfußballern sowie den Eltern der fußballspielenden Kinder und den Sportfunktionären spricht, müsste er eigentlich das gesamte neoliberale System Fußball thematisieren. Zur Bundesliga gibt es bekanntlich das „schöne“ Bonmot: „Millionen Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger schauen 22 Millionären beim Fußball spielen zu.“
Die zweite Annäherung: Über was für eine Korruption reden wir? Allenthalben wird gesagt, dass die Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 an Russland und 2022 an Katar unter der Voraussetzung von Schmiergeldzahlungen erfolgt sei. Ein in den USA einsitzender Kronzeuge – das ist die juristisch akzeptierte Aussage unter der Voraussetzung der Nötigung von Staats wegen – hat, wie gerade jetzt stolz verkündet wurde, ausgesagt, die Vergabe an Frankreich 1998 und Südafrika 2010 sei mit Schmiergeld erfolgt. (Ach, ausgerechnet Deutschland 2006 nicht? Man erinnere sich an den jubelnden Kanzler Schröder nach der Entscheidung über das Austragungsland!) Nun wurde aktenkundig, dass die südafrikanische Regierung ganz offiziell zehn Millionen US-Dollar an die FIFA gezahlt haben soll. War das nun in der Tat die Korruption, die in Rede steht? Wenn die Regierung eines Ausrichter-Landes an den Weltverband zahlt? Das Geld wird nur dann Schmiergeld, wenn es in private Zuwendungen oder Zahlungen an Personen fließt, die die Entscheidung über die Ausrichtung getroffen haben. Andere Berichte verweisen auf Geldkuverts und dubiose Geldflüsse an Entscheider-Personen.
Bei der Gesprächsrunde bei Günter Jauch wurde am 31. Mai versucht, der Sache näher zu kommen. Eingeladen waren der ehemalige FIFA-Kommunikationsdirektor Guido Tognoni, der jetzt als FIFA-Enthüller unterwegs ist, die Sportjournalisten Marcel Reif und Florian Bauer, die Grünen-Bundestagsabgeordnete Claudia Roth und der FIFA-Sprecher Alexander Koch. Die Veranstaltung lief großenteils mit der Maßgabe: „Mit Nichtwissen wird behauptet…“ Als gesagt wurde, die FIFA sei korrupt, weil da Personen aus Ländern sitzen, in denen Korruption üblich sei, antwortete Koch nicht zu Unrecht, dass die FIFA aus sechs Kontinentalverbänden und 209 Nationalverbänden bestehe, die je einen Vertreter mit einer Stimme auf dem jährlich tagenden Kongress haben. Seine Bemerkung, das sei wie bei der UNO, wurde mit Hohngelächter beantwortet und gefordert, die größeren Verbände sollten größeres Gewicht haben als Trinidad und Tobago. Dass das eine neokoloniale Struktur wäre, wurde nicht gesagt. Es gibt nur zwei mögliche Vertretungsprinzipien: ein Land/ein Nationalverband eine Stimme, oder gewichtet nach Größe wie in einer Aktiengesellschaft. Das Prinzip: ein Land eine Stimme ist ein demokratisches, das dem Geist der Gleichheit im Sinne der UNO-Charta entspricht. Aber genau das wurde kritisiert mit dem Argument, dass es darunter Personen aus korrupten Ländern gäbe, worauf Koch entgegnete, das sei dann aber nicht dem Verband zuzurechnen. Außerdem sei ja FIFA-intern die Entscheidung über die WM-Vergabe bereits vom Exekutivkomitee auf den Kongress übertragen worden: früher waren 13 Personen die Mehrheit, jetzt 105, was das Schmieren mit Sicherheit erschwert.
Dann wurde auf die journalistische Arbeit von Florian Bauer verwiesen, der die unmenschlichen Arbeitsbedingungen auf den Baustellen in Katar enthüllt hatte. Hier sah Claudia Roth ihren Moment gekommen und forderte, Fußballweltmeisterschaften und ähnliche Großveranstaltungen sollten nur noch an Länder vergeben werden, in denen Demokratie und Menschenrechte herrschten und nicht Korruption. Aber wer entscheidet das dann, jenseits des FIFA-Kongresses? Als Koch antwortete, für die Arbeiter in Katar sei das Stattfinden der Fußball-WM doch eine gute Sache, weil so der Fokus überhaupt auf die Arbeitsbedingungen dort gefallen sei. Die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen für die WM seien die dort üblichen, über die zuvor niemand geredet hatte. Auch deutsche Konzerne sind dort tätig. Das wollte Roth aber nicht mehr hören. Sie stört, dass die WM stattfinden soll, wenn bei uns Winter ist, und kurz vor Weihnachten wolle sie lieber Glühwein trinken als Fußball-WM sehen, zumal Public Viewing zu der Jahreszeit in Deutschland ohnehin nicht möglich ist. Bereits hier zeigt sich: das Korruptionsargument ist ein Joker, der nach Belieben eingesetzt wird.
Tognoni hatte in derselben Runde angemerkt, der ganze Skandal sei nur hochgekommen, weil die USA interveniert haben. Damit sind wir bei der dritten Annäherung: Welche politischen Interessen walten im Hintergrund? Es war offenbar kein Zufall, dass die Verhaftung hoher FIFA-Funktionäre in der Schweiz auf Betreiben der US-Justiz just zwei Tage vor Beginn des FIFA-Kongresses erfolgte. Und die lauten Kritiken an der Wiederwahl Blatters stehen genau in diesem Zusammenhang. Er hatte nicht nur verkündet, dass „der Cup nicht angetastet wird“, was meint: die Entscheidungen über die WM 2018 in Russland und 2022 in Katar werden nicht umgestoßen. Russische Medien verwiesen darauf, dass Blatter bekanntgegeben hatte, die FIFA werde allein im nächsten Jahr 185 Millionen Dollar in die WM-Vorbereitungen in Russland investieren. Der russische Kommentar dazu lautete: „Die FIFA ist eine der wenigen, unabhängigen internationalen Organisationen, die ihre Finanzgebarung nicht mit den USA abspricht.“
Im Kern geht es offenbar darum. Weder um fehlendes Public Viewing zu Weihnachten 2022 noch die Arbeitsbedingungen in Katar, sondern darum, Russland die Fußball-WM 2018 zu entziehen. Als Teil der weiteren Eskalation der Politik des Westens gegen Russland. Katrin Göring-Eckardt, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, fordert ganz offen, die WM 2018 in ein anderes Land zu verlegen, um Russland für seine Politik „zu bestrafen“. Während die Parteien der Regierungskoalition in dieser Sache bisher eher zurückhaltend sind, zeigt sich erneut, in welcher Partei hierzulande die schärfsten Vertreter einer Macht- und Drohpolitik sitzen.
Schlagwörter: Bernhard Romeike, FIFA, Joseph Blatter, Korruption, Russland, USA