18. Jahrgang | Nummer 13 | 22. Juni 2015

Antworten

Gregor Gysi, linker Übervater und (nicht zu später) Staffelstabübergeber – Gewiss gibt es an den gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland in politischer, sozialer, wirtschaftlicher, ökologischer und manch weiterer Hinsicht Grundsätzliches zu bemängeln und im Detail noch etliches mehr. Trotzdem teilen Sie die Neigung so mancher Linker nicht, das Kind gleich mit dem Bade auszuschütten, selbst wenn man eine praktikable, also auch mehrheitsfähige Alternative gerade nicht anzubieten hat. Auf dem vor wenigen Tagen beendeten Konvent Ihrer Partei in Bielefeld haben Sie Ihren Mitstreitern jedenfalls wieder einmal den Rechtsstaat als hohes Gut ans Herz gelegt. Denn die Kostbarkeit dieses zivilisatorischen Standards nehmen ja längst nicht alle Ihrer Genossen zur Kenntnis, obwohl es zu deren Bewusstmachung nur eines simplen Rechenexempels bedarf: Von den etwa 200.000 Jahren der Geschichte des Homo sapiens herrschte bisher nur maximal 500 Jahre so etwas wie Demokratie, wenn man die klassische athenische einberechnet. Also lediglich während 0,25 Prozent der Menschheitsgeschichte genoss wenigstens ein Teil der Weltbevölkerung – in Vergangenheit und Gegenwart aber bisher stets nur ein kleiner – Lebensumstände mit individueller Erwartbarkeit eines gewissen Maßes an sozialer Sicherheit, Rechtssicherheit, körperlicher Unversehrtheit und Unverletzlichkeit der Person …
Sie sagten in Bielefeld: „Gegen eine kapitalistische Diktatur ist die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt, um sie zu überwinden, braucht man eine Revolution. Wir aber leben in einer politischen Demokratie. Deshalb kommt für uns nur der gewaltfreie Weg der Transformation infrage. Wir müssen versuchen, eine Mehrheit der Menschen in unserem Land von unserem Weg zu überzeugen. Wenn uns das nicht gelingt, haben wir nicht das Recht, sie zu unserem Weg zu zwingen.“
Nicht zuletzt war Ihre Bielefelder Rede ein im positiven Sinne Schulbeispiel dafür, wie die Staffelstabübergabe einer politischen Führungspersönlichkeit an Jüngere zu einem nicht zu späten Zeitpunkt erfolgen sollte. Sie waren und bleiben ein Solitär im politischen Betrieb Deutschlands, ohne den dieser noch weit blutleerer wäre, als er uns so häufig vorkommt, und ohne den die Linke in der Gesellschaft heute nicht dort stände, wo sie steht. Das an letzterem Sachverhalt im Übrigen zahlreiche Persönlichkeiten mitgewirkt haben, haben Sie durch entsprechende Namensnennungen in Ihrer Rede auch selbst verdeutlicht.
Hut ab vor Ihrer (bisherigen) Lebensleistung, vor allem in den vergangenen 25 Jahren! Und da ist es uns mal völlig Wurscht, ob wir mit diesem uneingeschränkten Sonderlob auch Ihrer inzwischen manchmal schwer erträglichen Eitelkeit Zucker geben …

Karl Jaspers, an der erwünschten Demokratie gelitten Habender – Vor fast 50 Jahren haben Sie bei der Erörterung der Schuldfrage in Sachen Nazibarbarei eine Feststellung getroffen, die leider von nahezu unveränderter Aktualität ist. Es ging Ihnen um den Mangel an Miteinanderreden und Aufeinanderhören. „Dies wird verschlimmert dadurch”, haben Sie gesagt, „dass so viele Menschen eigentlich nicht nachdenken wollen. Sie suchen nur Schlagworte und Gehorsam. Sie fragen nicht und sie antworten nicht, außer durch Wiederholung eingelernter Redensarten. Sie können nur behaupten und gehorchen, nicht prüfen und einsehen, daher auch nicht überzeugt werden. Wie soll man reden mit Menschen, die nicht mitgehen wollen, wo geprüft und nachgedacht wird und wo Menschen ihre Selbständigkeit durch Einsicht und Überzeugung suchen!” Ließen sich ein halbes Jahrhundert später diesbezüglich strukturelle Fortschritte wenigstens bei Linken feststellen, was hätte gewonnen sein können.

Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission – Wie immer man zu Ihnen und Ihrem Auftritt beim G7-Gipfel in Elmau stehen mag, allein schon für eine Aussage und vor allem deren Klarheit könnte man Ihnen dankbar sein: „Wir müssen uns dringendst mit dem Thema Lieferkette (supply chain) auseinandersetzen. Wir brauchen Standards, denn der internationale Handel braucht Verkehrsregeln. Wir brauchen Mindeststandards bei Arbeit und Umwelt. Es kann nicht so bleiben, dass wir unseren Wohlstand gründen auf Sozialdumping in anderen Erdteilen. Dieser perverse Prozess muss zu einem Ende gebracht werden.“ Die Hoffnung, dass bei G7 & Co. daraus nennenswerte Konsequenzen erwachsen, gehen allerdings gegen Null.

Jakob Pietschnig und Martin Voracek, Forscher der Uni Wien – Ihre umfangreiche Studie hat belegt, dass die Menschen seit einem Jahrhundert immer schlauer werden; ihr Intelligenzquotient jedenfalls signifikant steigt. Merkwürdig, dass man zugleich den Eindruck immer wieder bestätigt findet, dass sie – eben diese Menschheit – in elementaren Fragen dennoch nichts dazugelernt hat.

Recep Tayyip Erdogan, Möchtegern-Sultan – Ihre famosen Pläne einer Alleinherrschaft per Präsidialsystem haben Schiffbruch erlitten. Nun reicht es für Ihre reaktionäre AKP nicht einmal mehr zur absoluten Herrschaft im Parlament, das zudem auch noch die kurdische Partei erdulden muss. Ohne sich in Illusionen zu verlieren, ist man manchmal – wie eben in diesem Falle – geneigt, doch auch an eine positive Wirkungsmacht demokratischer Entscheidungen zu glauben.

Eidgenossinnen, spätberechtigte – Bei allem Respekt, den unsereiner vor der helvetischen Basisdemokratie haben kann, sei doch auf einen bemerkenswerten Jahrestag hingewiesen, den Spätgeborene möglicherweise für einen Scherz halten: Am 14. Juni 1981 (!) wurde die Gleichstellung von Mann und Frau in der Verfassung der Schweiz verankert. Das Wahlrecht war der Weiblichkeit des Alpenlandes „schon“ zehn Jahre zuvor zuteil geworden. Sehen wir mal von der Diskrepanz zwischen normativer Gleichberechtigung und deren Alltagsrealitäten ab, so belegt diese demokratische Spätgeburt zumindest, dass die Aufklärung auch im Herzen Europas teils ziemlich lange gebraucht hat, um rundum Verfassungsrang zugebilligt zu bekommen.

Franziskus, Stellvertreter Gottes auf Erden – Möglicherwiese dank Ihres nach heute üblichen Maßstäben unspektakulären Auftretens und Wirkens scheint vieles Ihres segensreichen Obwaltens im Amt zumindest deutsch-medial zwar nicht verloren zu gehen, aber doch betont zurückhaltend behandelt zu werden. So also auch Ihre Entscheidung, der Verschleierung von Missbrauchsfällen ein Ende zu bereiten. In Zukunft sollen Bischöfe wegen Amtsmissbrauchs belangt werden können, wenn sie nicht adäquat gegen mutmaßliche Straftaten vorgehen. Das wird Ihnen, so scheint es jedenfalls möglich, neuerlich in der apostolischen Nomenklatura mehr Feinde als Unterstützer zu bescheren – umso mehr ist Ihnen unsere – wenn auch atheistische – Sympathie sicher.

Jack Warner, ehemaliger Vizepräsident der FIFA – ihr Dementi, dass auch vor der Vergabe der Fußball-WM 2006 in Deutschland Bestechungsgelder an und über Sie geflossen seien, lassen wir mal so stehen. Viel aufschlussreicher in Bezug auf die Selbsteinordnung zumindest der FIFA-Obrigkeit ist Ihre folgende Auskunft: „Ich bin mir keiner Schuld bewusst. War es etwa Korruption, als Obama mich zum Essen eingeladen hat? Oder Putin? Man erweist sich unter mächtigen Männern gegenseitig einen Gefallen, das ist keine Korruption.“ Ja wenn das so ist …

Bohuslav Sobotka, Premier der Tschechischen Republik – Auch Ihr Land lehne eine EU-weite Quotierung der Flüchtlingsaufnahme ab, haben Sie wissen lassen, zugleich aber einen Akt vorbildlich generöser Solidarität bekundet: Tschechien nämlich werde „freiwillig“ 15 Flüchtlingsfamilien mit insgesamt 70 Personen aus Syrien aufnehmen. Vor solcherart Selbstlosigkeit kann unsereiner nur gerührt verstummen.

Oxana K., junge Mutter – Bei der Geburt Ihres Maximilians per Kaiserschnitt haben Sie Maßstäbe gesetzt, die alle Krankenkassen geradezu zwingen dürften, über die Kostenübernahme für Krankenhausleistungen bei der Entbindung nachzudenken. Da Sie in Bad Oeynhausen bei eben dieser selbst Hand angelegt und Ihren Sohn so ans Tages- und Weltenlicht befördert haben, dürfte das Verlangen der Kassen wachsen, dass Schwangere künftig das Gebären gut und gern allein und damit ohne kostenträchtige Personalhilfe und Krankenhausaufenthalte erledigen. Schließlich haben Sie bewiesen: Es geht doch!