von Frank Burkhard
Vielleicht bedeutete das volle Dutzend den Durchbruch? Das Neiße Filmfestival, das zu Monatsbeginn zum 12. Mal im Dreiländereck in deutschen, tschechischen und polnischen Spielstätten stattfand, wurde um einen Spieltag erweitert, konnte seine Besucherzahlen und auch das Medieninteresse vergrößern, und vor allem: Die Schirmherrin, die sächsische Kultusministerin Dr. Eva-Maria Stange, war diesmal selbst zur Eröffnung ins Zittauer Gerhart-Hauptmann-Theater gekommen. Sie hatte nicht nur schöne Worte für das ausschließlich von Freiwilligen organisierte Festival dabei, sondern auch die Mitteilung über eine nunmehrige institutionelle Förderung. Die ist auch dringend nötig, denn in Selbstausbeutung, aber mit nicht nachlassender Begeisterung stemmen die Festivalmacher um Andreas Friedrich, Ola Staszel und Antje Schadow drei Wettbewerbe (Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme), mehrere Nebenreihen (in diesem Jahr unter anderem eine 70-mm-Filmretrospektive im tschechischen Varnsdorf), Konzerte und Lesungen in 17 Spielstätten. Ehrenpreisträgerin war in diesem Jahr die polnische Regisseurin Dorota Kędzierzawska.
In der Hillerschen Villa in Zittau wurde am Rande die sehenswerte Ausstellung „Familia“ eröffnet, in der die Fotografin Oksana Yushko, die selbst in einer russisch-ukrainischen Beziehung lebt, binationale Paare aus den beiden Ländern porträtiert. Sie hatte keine Schwierigkeiten, Paare der angeblich verfeindeten Nationen von Wladiwostok bis in die Westukraine aufzuspüren. Wie nicht anders zu erwarten, würden sie es begrüßen, wenn ihre Heimatländer sich auf die gemeinsamen Wurzeln in der Sowjetunion besinnen und zum friedlichen Miteinander kommen. Noch bis Ende Mai kann man Fotos im Café Jolesch besichtigen.
Viele Filmemacher waren zu anregenden Gesprächen erschienen, beispielsweise Gerd Kroske, der mit seinem gerade in den Kinos angelaufenen Film „Striche ziehen“ nach Großhennersdorf kam. Hier geht es auch um die Unmöglichkeit eines Schlussstrichs, den mancher gern unter die Denunziationen in der DDR ziehen würde. Kroske porträtiert die Mitglieder einer Jugendclique aus Jena, die sich in den achtziger Jahren oppositionell gebärdet hatte und durch einen von ihnen verraten wurde. Dieser Jürgen, der Täter und Opfer zugleich war, stellt sich dem Gespräch mit dem Filmemacher wie auch mit seinem von ihm verratenen Bruder, aber zum gegenseitigen Verständnis ist ein weiter Weg. Vielleicht eine Sackgasse, kann man befürchten.
Mehr Hoffnung gab das Gespräch mit dem Oscar-Preisträger Jochen Alexander Freydank, dessen Literaturadaption „Kafkas Der Bau“ im Zittauer Kronenkino erst zum zweiten Mal (nach Saarbrücken, wo auch gedreht wurde) vor deutschem Publikum lief. Ohne in einen unbotmäßigen Realismus zu verfallen, schafft es Freydank, den Stoff (in dem es bei Kafka um einen Dachs in seinem Bau geht) in die Gegenwart zu holen und von einem Angestellten zu erzählen, der in einem labyrinthähnlichen Trakt eine Neubauwohnung bezieht. Ob seine Begegnungen wirklich oder eingebildet sind, bleibt offen. Mit entsättigten Farben erzählt Freydank vom zunehmenden Verfall in einer menschenfeindlichen Welt. Darin spielt Axel Prahl den Paranoiker fernab dessen, was er sonst auf dem Bildschirm liefert. Für die Ausstattung konnte Szenograf Tom Hornig den erstmals vergebenen Preis der Stadt Görlitz bei der Abschlussveranstaltung in der dortigen Landskronbrauerei entgegennehmen.
Neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen ging der inoffiziell als Hauptpreis angesehene Preis für den besten Spielfilm an die slowakisch-tschechische Produktion „Koza“ (Die Ziege). Der slowakische Boxer Peter Baláž spielt sich in dem gleichnamigen Film selbst: einen Berufsboxer, der lange nach seinen großen Erfolgen in Deutschland noch einmal in den Ring steigt, weil er Geld braucht. Dabei geht es in dem langsam erzählten, nachdenklichen Streifen vor allem um Kozas Innenleben, seine Sorgen und Zweifel. Regisseur Ivan Ostrochovský war mit seinem Hauptdarsteller in die Landskronbrauerei gekommen, und beide wurden stürmisch gefeiert.
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