von Sem Pflaumenfeld
Kürzlich ließ mein Lieblingsredakteur über eines dieser sozialen Netzwerke verlauten, dass er arbeite. Das kommt häufiger vor, könnten wir annehmen. Denn er ist ein fleißiger Mensch. Ich dagegen gehöre zur Latte-Macchiato-Generation: Wir arbeiten, wo immer wir für überteuerten Kaffee unseren Laptop aufstellen dürfen. Oder anders formuliert: Wir tun das, was wir Arbeit nennen, und für das uns niemand wirklich bezahlen will. Wir sind schon arm dran.
Der Typus der auf die Tasten einhämmernden Schreibenden ist ein Klischee des jungen 21. Jahrhunderts geworden. Die Zehner Jahre haben einen Zuwachs an Cafés mit Internetzugang, Arbeitsplätzen und Steckdosen gesehen. Wir sitzen uns mit unseren aufgestellten Bildschirmen gegenüber und erzählen uns das, was wir versuchen zu schreiben. Neben uns liegt unser Smartphone. Dabei sind wir reich genug für einen teuren Kaffee und so arm, dass wir die angesprungenen Bildschirme unserer Handys stolz in die Mitte des Tisches schieben. Ich kenne mittlerweile niemanden mehr, dessen Telefon nicht mindestens einen großen Sprung hätte. Da sind unsere Geräte uns sehr ähnlich; deswegen können wir uns nur so schwer von ihnen trennen. Es mag aber auch an den Preisen für die Mistdinger liegen.
Die Tourismusforschung stellte bereits Anfang der 1990er Jahre einen Trend fest, den sie die „McDonaldisierung der Innenstädte“ nannte: Den Reisenden werden bei ihrer Ankunft bekannte Restaurants geboten, deren Angebot und Bestellverfahren sie kennen. Das gilt nun nicht mehr nur für diese Fast-Food-Ketten, sondern vor allem für Cafés. Auch ich sitze in Japan gern in einem „Starbucks“, weil ich dort den Kaffee kenne und mit meinem Computer nicht allzu sehr auffalle. Am liebsten sitze ich jedoch in den landeseigenen Ketten. Ein Cafébesitzer im Bergmannkiez sagte einmal zu mir, als ich keine Steckdose für mein Handy fand, dass ich eine Pause machen sollte. Darin liegt das Problem: Ich bin freischaffend, also habe ich verlernt, wie man sich Zeit ohne elektronische Geräte nimmt. Ich sitze in Cafés und schreibe meine Texte. Dieser hier entsteht für mein geneigtes Publikum in einem solchen mit angeschlossenen englischen Buchladen. Es gibt Bagels, und man spricht Englisch. Postmoderner geht es kaum.
In Japan sitze ich in den Franchisecafés, weil ich dort aus dem Fenster und auf meinen Bildschirm schauen kann. Der Kaffee soll mir dabei helfen, nicht vor Erschöpfung in meine Tasten zu fallen. Denn von irgendetwas muss ich den Preis des Getränks bezahlen. Fair gehandelt soll er sein und biologisch. Das will finanziert werden. Möchte ich wirklich wissen, wie viel davon bei den Kaffeebohnenpflückerinnen ankommt?
Das englische Café im Friedrichshain hat eine breite Fensterfront und war einmal eine große Buchhandlung, die es bereits zu DDR-Zeiten gab. Es ist also ein Symptom der Gentrifizierung im Süden des Teilbezirkes. Die Klientel ist dementsprechend jung und weiß. International sind wir bestimmt auch. Die akademische Mittelschicht, die freischaffend arbeitet, lebt in Berlin in den Cafés um den Rosenthaler Platz. Das „Sankt Oberholz“ hat es in viele überregionale Zeitungen geschafft, weil es als eines der bekanntesten Orte dieses Arbeitens gilt. Geistige und körperliche Nahrung stehen uns zur Verfügung, damit wir schnell liefern können. Ich gehöre dazu, wenn ich die Kapitel meiner Dissertation, meine Artikel oder meine Unterrichtsvorbereitung auf einem Caféhausstuhl schreibe. Ich bin an diese besondere Bequemlichkeit gewöhnt. Ich beschwere mich nicht, da meine Einkünfte mir diesen Luxus in meiner Wohnung nicht erlauben. Ich bin Mitte dreißig und wohne in meiner Studentenbude.
In Tokyo bitten viele Cafés mittlerweile darum, in der Prüfungszeit nicht die Plätze mit Büchern und Computern zu belegen. Lernen ist in dieser Öffentlichkeit nicht erwünscht, weil dies Platz und Zeit braucht. Diese Cafés sind nicht darauf ausgelegt, für Stunden Menschen und die Welt an einem vorbeiziehen zu sehen. Ich habe junge Menschen gesehen, die diese schriftlichen Aufforderungen geflissentlich ignorieren. Warum arbeiten wir nicht in Bibliotheken, könnte man fragen. Dass deren Plätze in Berlin für die vielen Schreibenden nicht reichen, ist dabei nur ein Problem. Wir dürfen Wasser in die Lesesäle mitnehmen, was bei den trocknen Räumen gut für den Kopf ist. Die Verpflegung dagegen ist unterirdisch. Beide Häuser der Berliner Staatsbibliothek sind ernährungstechnisch eine Katastrophe. Von den Universitätsbibliotheken schweige ich lieber.
Warum jedoch stellen wir die Frage nicht an die Schriftsteller der Moderne? Auch sie schrieben in Cafés, ihr Schreibwerkzeuge waren nur andere. Heute erst dachte ich daran, meine Schreibmaschine in meinen Fahrradkorb zu hieven. Ein Stift steht nun nicht in Gefahr, Elektrosmog auszuströmen und damit potentiell andere Gäste gesundheitlich zu beeinflussen. Das wäre ein Argument, das in der Diskussion über Schreibende in Cafés wirklich interessant werden könnte. Bisher habe ich nur moralisierende und ästhetische gehört. Ich nehme mit meinem Computer Platz ein, wenn ich ihn und meine Materialien ausbreite. Ich habe nichts dagegen, meinen Arbeitsprozess öffentlich zu machen. Das sind die Späne meines Handwerks. Meine Arbeit ist anstrengend und erschöpfend. Wenn mein Klappern stört, könnt ihr mich darauf ansprechen. Ansonsten dürfen mir Menschen zusehen, wie ich meine Waren produziere.
Während des Schreibens brauche ich Musik, und manchmal möchte ich sofort ausplappern, was ich gerade getippt habe. Ich gehöre zu einer kommunikativen Generation. Eigentlich reden wir nur. Wir sind so unsicher, dass wir regelmäßig unsere halbfertigen Gedanken teilen müssen. Denn wir brauchen die Rückmeldung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir sind auf der ständigen Suche nach uns selbst. Man könnte das auch selbstzentriert nennen. Die Selbstversicherung ist der einzige Weg, uns überhaupt Sicherheiten zu verschaffen. Eine Freundin von mir wunderte sich deswegen, warum Menschen in meinem Alter sich zwar leidenschaftlich für Flüchtlinge einsetzten, aber nicht für die Verbesserungen der eigenen Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Wir sind keine Gewerkschaftsmitglieder, weil wir uns nicht in Strukturen langfristig binden wollen.
Die Zitty nannte unser Zeitalter bereits vor zehn Jahren „Neo-Biedermeier“. Wir nehmen unsere Bedürfnisse nach Häuslichkeit in die Cafés und lagern unser Privatleben in die Öffentlichkeit aus. Ich schreibe über mein Leben und meine Arbeit und nehme für mich in Anspruch, damit etwas zu sagen zu haben. Was genau das ist, wird sich im Prozess zeigen. Die „Digitale Bohême“, wie wir uns gern auch selbst nennen, sind die prekär Arbeitenden des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, und ich habe mich darin eingerichtet. Ich selbst würde meinen Arbeitsalltag mit Klauen verteidigen. Mein Leben ist meine Arbeit. Ich liebe, wie ich arbeite: ungebunden, mehrere Stellen auf einmal, zwischen allen Stühlen, mit einem Getränk neben mir und meinem Computer zur Hand, um die Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen. Doch über die Entlohnung für meine Arbeit schweige ich an dieser Stelle lieber.
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