von Judith Dellheim
Das Weltsozialforum (WSF) als globaler Kommunikations- und Kooperationsort ist aus der globalisierungskritischen Bewegung hervorgegangen. Es hat den Sinn und Zweck, neue Möglichkeiten dafür zu erschließen, dass die Linken stärker und politikwirksamer werden. Der Erfolg eines Sozialforums zeigt sich zum einen in der aktuellen politischen Intervention, zum anderen aber immer erst später.
Was das Eingreifen in den Alltag der Menschen vor Ort anbelangt, ist das Forum von Tunis (24.-28.3.2015) den Intentionen der „WSF-Erfinder“ sicher sehr nahe gekommen. Nach dem Terroranschlag am Bardo-Museum konnte es keine bessere Entscheidung als „Nun erst recht!“ geben. Dass das WSF stattfand und in der Stadt immer wieder Freude darüber auslöste, ist von nicht zu unterschätzendem Wert. Vielleicht hat das 2. Tuniser Forum sogar die größte politische Wirkung seit dem WSF 2003, das Proteste gegen den Irakkrieg bündelte und neu auslöste, erzielt. Schließlich haben die lokalen und globalen Aktivisten nicht zugelassen, dass die Regierenden die Proteste vereinnahmen und für ihren „Krieg gegen den Terror“ instrumentalisieren. Sie haben „gegen Terror und alle Formen von Diskriminierung und Unterdrückung“ protestiert und intensiv für gesellschaftspolitische Alternativen gearbeitet. Mehr als auf den Foren zuvor, wurde über die Funktionen des WSF und seine Zukunft beraten.
Seit dem ersten WSF im brasilianischen Porto Alegre 2001 haben sich in Lateinamerika mehrere Regierungswechsel zu Gunsten der Linken vollzogen. Damit wurden soziale und demokratische Fortschritte erstritten. Dabei konnten die Linken Vieles – auch Problematisches wie die Widersprüche und Grenzen von gutgemeintem Regierungshandeln – lernen.
Dem „Arabischen Frühling“ waren mehrere Sozialforen im Maghreb vorausgegangen. Und auch nach dem Weltsozialforum von Tunis 2013 haben Aktive in dieser Region etwa 40 thematische Sozialforen veranstaltet. In Tunesien, wo seit 2011 rund 20.000 zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse entstanden sind, und vor allem in seiner Hauptstadt haben sich seit 2013 nach WSF-Prinzipien arbeitende Jugendgruppen gebildet. Diese haben erfolgreich in den Verfassungsprozess interveniert. Dennoch verschärft auch in Tunesien die letztendlich neoliberal bestimmte Entwicklung Probleme, die die Organisatoren des Terrors auszunutzen suchen.
Um die emanzipativ-solidarischen Gegenkräfte konsolidieren zu helfen, haben Akteure des „Arabischen Frühlings“ darum gebeten, auch das WSF 2015 in Tunis zu veranstalten. Sicher ist nachvollziehbar, dass der Internationale Rat des Forums dieser Bitte nachkam. Schließlich ist auch er mit den tragischen Entwicklungen im arabischen Raum und der Verkomplizierung der globalen Wirkungsbedingungen der Linken konfrontiert. Aber leider hat er aus den Problemen 2013 nicht ausreichend gelernt und zu wenig dafür getan, dass auch Linke aus Israel teilnehmen konnten, dass die Gleichsetzung von herrschender israelischer Politik mit dem Judentum zurückgewiesen und Störungen des WSF durch Abgesandte autoritärer arabischer Staaten offensiv beantwortet wurden. So kam es zur Wiederholung von hässlichen Ereignissen. Auch war eine drastisch gesunkene Teilnahmezahl zu verzeichnen, die allerdings zum Teil sicher nicht zuletzt der Witterung und dem Terroranschlag geschuldet war.
Dennoch muss Einschätzungen wie, (Kultur)Probleme hätten das WSF dominiert, „es war ein verlorenes Forum“, „es war kein WSF, sondern ein regionales nordafrikanisches Sozialforum“ vehement widersprochen werden: An Tunis II waren etwa 4.000 Zusammenschlüsse aus aller Welt, zwischen 20.000 und 30.000 Menschen, darunter etwa 200 Teilnehmer aus Deutschland, beteiligt. Sie haben circa 1.000 Forums-Aktivitäten veranstaltet. Das ist mindestens das Doppelte des WSF 2007 von Nairobi. Und wo waren die demokratischen Frauenorganisationen eines Forumsveranstalters je so stark präsent wie in Tunis?
Für das WSF hochrelevant waren die fortgesetzten, nun schon über die Jahre hinweg entwickelten Kooperationen zu den Commons. Dafür ein Beispiel: Beim WSF 2011 in Dakar, wo im vergangenen Jahr auch das Afrikanische Sozialforum stattfand, kamen erstmalig die globalen Netzwerke von einerseits um das Menschenrecht auf Wasser Kämpfenden und von andererseits für das Menschenrecht auf Land Eintretenden zusammen. Das konnte nicht zuletzt deshalb gelingen, weil auf dem WSF 2009 von Belem eine Vernetzung der Bewegungen gegen Großstaudämme und „Flusskorrekturen“ mit Bewegungen für ausreichend sauberes Trink- wie Nutzwasser und hygienische Abwasserentsorgung erfolgte. In Tunis 2013 hat man gemeinsame Positionen fortgeschrieben und Aktionen vereinbart. Beim jüngsten WSF wurde diese Arbeit weitergeführt und es hat sich gezeigt: Die fortschreitende Vernetzung der Aktiven hat die komplexe Behandlung von Zusammenhängen qualifiziert – zum einen der Kontexte von Wasser, Fischerei, Saatgut, Ernährungssouveränität und Land, von Klima und Biodiversität, zum anderen von Geschlechterverhältnissen und Menschenrechten, von Flucht/erzwungener Migration, sozialer Ausgrenzung und Kriminalisierung von Widerständigen. Die Kooperierenden haben die Hauptverursacher der Probleme wie ihre Praktiken analysiert und das Zusammenspiel der Mächtigsten, insbesondere der global Herrschenden mit ihren Privatisierungs-, Freihandels-, Megaprojekt- und „Klima-/Naturschutz“strategien, offengelegt. Die WSF-Akteure haben ihre Vorstellungen von einem Leben in Würde, Solidarität und Einklang mit der Natur weiter ausgeführt und oftmals mit UNO-Deklarationen legitimiert. Sie haben praktische Absprachen zur gegenseitigen Information und Unterstützung bei politischer Bildung, lokaler Verwaltung und zu globalen Aktionstagen getroffen.
Andere Bewegungen zu Commons wie zu Gesundheit und sozialer Sicherung, zu Information und Medien, zu Wissenschaft und Demokratie verbinden ebenfalls zunehmend die Vernetzung mit Analyse, inhaltlich-konzeptioneller Arbeit, praktischen Vereinbarungen und Aktionsplanung. Die Wissensproduktion – nun auch durch eine auf dem WSF gegründete Global University for Sustainability unterstützt –, die Schaffung von gemeinsamen Ressourcen und die Ausprägung von nachhaltig wirkenden Praktiken sind zu würdigende Resultate insbesondere der Sozialforumsprozesse.
Originäre WSF-Kultur hat sicher entscheidenden Anteil daran, dass das Abschluss-Papier der Versammlung der sozialen Bewegungen nicht nur abstrakt eine „Aktionswoche gegen den Kapitalismus“ enthält, sondern vor allem sehr konkret den Globalen Aktionstag gegen Freihandel am 18. April, die Unterstützung des 4. Weltfrauenmarsches von März bis Oktober und die Aktionen anlässlich der UN-Klimakonferenz im Dezember als gemeinsame Schwerpunkte benennt. Trotz der vom marokkanischen Staat geschickten Störer artikuliert das Dokument der Versammlung die Solidarität mit den Sahrauis.
Hervorgehoben werden soll auch, dass es in Tunis zugleich gelang, was weder ein europäisches Bewegungs-Treffen in Wien (Februar) noch die europäische Versammlung von Aktivisten in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen „Altersummit“ (März) fertigbracht hatten: sich auf konkrete Absprachen zu Solidaritätsaktionen für die Menschen in Griechenland zu verständigen. Der 1. Mai 2015 soll insbesondere im Zeichen der politischen Unterstützung für Syriza stehen.
Tunis II hat also konkrete Arbeitsschritte ermöglicht. Das nächste WSF sollte mehr Raum für Konvergenzprozesse, also für die gemeinsame Arbeit von verschiedenen Bewegungen und Netzwerken bieten. Und es muss zugänglicher für jene werden, die seine Charta akzeptieren und aus eigener Kraft nicht anreisen könnten. Daher gilt es, endlich einen solidarischen Finanzierungsmechanismus zu finden und zu praktizieren. Das folgenschwere Sterben der Sozialforen in Europa hatte schließlich wesentlich mit unzureichenden Bemühungen, ökonomische Spaltungen unter den Linken abzubauen, zu tun.
Schlagwörter: Judith Dellheim, Linke, Tunis, Weltsozialforum