von Margit van Ham
Die Liste der gescheiterten Projekte, die eine eigene Welt von Kunst, Kultur, sozialer Kommunikation und Begegnungen im Rahmen der geldbestimmten Umwelt schaffen wollten, ist lang. Ebenso die der aus ihren Vierteln vertriebenen Menschen. Immer wieder gibt es ein Aufbäumen, Proteste – und eigentlich weiß man die ganze Zeit, dass es vermutlich keinen Sinn machen wird zu kämpfen. Am Ende siegt in der Regel Kaiser Kommerz. Das ist in Berlin so zu beobachten wie anderswo. Dennoch gibt es da dieses kleine Fünkchen Hoffnung, das dafür sorgt, doch erneut für etwas zu sein, die Ausnahme von der Regel zu ertrotzen.
Ostern hatte eine Doku gegen den Ausverkauf der Stadt im Berliner Babylon Premiere. Titel „Baiz bleibt … woanders“. Ein No-Budget-Film, mit einfachsten technischen Mitteln gedreht von Jochen Wisotzki, der einigen Lesern vielleicht noch als Regisseur von „flüstern und SCHREIEN“ über den DDR-Punk bekannt ist. Wisotzki wollte eigentlich zumindest das Aufbäumen dokumentieren, zeigen, was erneut verloren gehen würde im Berliner Prenzlauer Berg – und wurde dann selbst überraschter Zeuge eines der seltenen Erfolge der Underdogs.
Die Kultur- und Schankwirtschaft Baiz war zehn Jahre lang Kneipe und engagierter Veranstaltungsort für Musik, Lesungen und Filmvorführungen in der Torstraße. Ein „linker“ Treffpunkt für hauptsächlich junge Leute, aber auch nicht ganz so junge Interessierte. Niedrige Preise trugen ganz sicher zur Popularität des Baiz bei. Über das Baiz kam 2013 die Ankündigung des Endes des Pachtvertrages, weil das Haus luxus-saniert werden sollte durch neue Westbesitzer (die Realität entspricht eben doch häufig dem Klischee…) und die Kneipe sich durchaus wertmindernd darstellte. Matthias Bogisch, Wirt und Veranstaltungsorganisator, hatte mit Gästen und Sympathisanten erfolglos protestiert. Es hatte sich eine mehr als hundertköpfige Unterstützergruppe gebildet (!), Unterschriftensammlungen wurden initiiert, demonstriert. Erfolglos, der Pachtvertrag wurde nicht verlängert. Bogisch und seine Mitstreiter organisierten dann die Jubiläumsfeier als Art Abschied. Und sie suchten nach einer Alternative.
Die fand eine Mitstreiterin in der Schönhauser Allee, nahe dem Jüdischen Friedhof. Zahlreiche Privatkredite der Unterstützer machten den Kauf der neuen Baiz-Räume möglich – und so die Hoffnung auf Bleiben. Wisotzki zeigt die Treffen der Unterstützer, in denen Aktionen vorbereitet werden, Auftritte von Künstlern und Interviews mit Gästen und Mitarbeitern. Er zeigt den Fortschritt der Renovierungsarbeiten. Auch hier viele Unterstützer.
Er kommt dann immer wieder zurück auf die Bilder einer langen Menschenkette, die sich am Umzug des Mobiliars des Baiz von Tür zu Tür beteiligen. Es waren mehrere hundert junge Leute dabei. Was für eine geniale Idee der Organisatoren – den Umzug einer Kneipe in eine stolze und fröhliche Demo zu verwandeln. Das ehemalige Motto der Kämpfe „Baiz bleibt“ abgewandelt in „Baiz bleibt …woanders“. Mit Hinweisen befestigt an Mobiliar und Kleidung auf all die verlorenen Projekte und Orte für Gemeinschaft. Diese Bilder bleiben im Gedächtnis, berühren. Sie lassen über die teilweise unscharfen Aufnahmen hinwegsehen. Wohl der zu zahlende Preis für einfachste Technik. Das neue Baiz wurde vor einem Jahr eröffnet und verfolgt den gleichen hohen Anspruch, Ort für Gemeinschaft und Kultur zu sein.
Im Babylon meinte einer der Unterstützer nach der Premiere, er wünschte, dass all die Kämpfe vor dem endgültigen Aus des alten Ortes auch hätten gezeigt werden können, um das breite Spektrum des Widerstandes und der Unterstützung zu zeigen. Sicher hat er recht, das wäre schön gewesen. Aber das Wichtige an dieser Dokumentation ist die Ermutigung. Einmal wurde wieder die Regel gebrochen, einmal hat die Ausnahme gesiegt. Es kann wieder geschehen.
„Baiz bleibt …woanders. Doku gegen den Ausverkauf der Stadt“, Regie Jochen Wisotzki, 60 Minuten. Mehr Informationen bei Basisdruck.
Schlagwörter: Baiz, Berlin, Jochen Wisotzki, Margit van Ham