von Renate Hoffmann
Weder zum Burgtheater noch ins Café Central in der Herrengasse oder zum „Steffl“ mit seinem volltönenden, reichen Geläute. Zur Spanischen Hofreitschule Wien, Michaeler Platz Nr. 1. Im Jahr 2010 erreichte die dort gepflegte klassische Reitkunst und Hohe Schule den Rang des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO.
Als ich an der Stallburg (Teil der Wiener Hofburg) eintreffe, in der die Lipizzaner residieren, ist das morgendliche Training der weißen Majestäten bereits beendet. Es bleibt Zeit, sich in dem Renaissancebau umzusehen. Diesem Hort edler Pferde, Ort großer Feste und wechselnder Ereignisse. Ein eleganter, klarer Gebäudekomplex, der einen Arkadenhof umschließt. Erbaut im 16. Jahrhundert. Die Habsburger, passionierte Pferdeliebhaber und Reiter, legten den Grundstein und sorgten, trotz aller Misslichkeiten, für die Entwicklung einer Tradition.
Kaiser Maximilian II. lebte mehrere Jahre in Spanien und führte 1552 bei seiner Rückkehr nach Wien im Gefolge „edle Spanische Roß“ mit. Max lässt die Stallburg errichten, in der im Erdgeschoss Boxen für seine „Roß“ aus Spanien vorgesehen sind. Vor der Stallburg entsteht im Jahr 1565 ein „Ross-Tumblplatz“. Und damit beginnt das schulmäßige Erlernen der klassischen Reitkunst, weswegen in diesem Jahr das 450-jährige Jubiläum der Spanischen Hofreitschule begangen wird. – Den wetterabhängigen „Tumbleplatz“ ersetzte ein hölzerner Bau, der bald lichterloh brannte. Den noch unvollendeten Neubau zerbombten die Osmanen.
Nun betrat Kaiser Karl VI (1685 – 1740) die Weltbühne. Unter ihm, der barocker Baukunst huldigte, erstand die „Winterreitschule“ in Wien. Von bekannten Architekten wie Johann Bernhard und Joseph Emanuel Fischer von Erlach geplant und gebaut. Eröffnet mit großem Gepränge am 14. September 1735. Der prunkvolle Reitsaal blieb nicht nur Schauplatz von Präsentationen klassischer Reitkunst, sondern auch von Veranstaltungen anderer Art. Hier vergnügte sich der Wiener Kongress, wozu man die Halle jeweils in einen Konzertsaal, Palmengarten oder Orangengarten verwandelte. Beethoven dirigierte am Ort höchstselbst „Wellingtons Sieg“. Und im Jahr 1848 fand in der „Winterreitschule“ die konstituierende Sitzung des ersten österreichischen Parlaments statt.
Der Reitsaal, festlich, lichtdurchflutet, ist ein architektonisches Meisterwerk. Noch dem Barock verpflichtet, deutet sich schon die Beschwingtheit des Rokoko an. Elfenbeinhell erstrahlen Wände, Säulen, Balustraden, Galerien und die außergewöhnlich schöne Decke. In siebzehn Metern Höhe freischwebend, in Kassetten unterteilt und mit Zierrat geschmückt. Ihre Leichtheit betonen drei Kristalllüster. Bei Festbeleuchtung werden sie dem ohnehin strahlenden Raum zusätzlichen Glanz verleihen. – Die Ausmaße der großzügig angelegten Reitbahn betragen 58 mal 17 Meter. Wäre nicht hier und da Hufschlag auf dem Boden zu sehen, so dächte ich, die Tore würden sich öffnen, und das Corps de ballet der Wiener Staatsoper tänzelte herein.
An der Schmalseite der langen Bahn fällt der Blick auf die Hofloge und das großmächtige Gemälde des kaiserlichen Bauherrn Karl VI. Ein stattlicher, wohlbeleibter Mann, in korrekter Haltung auf einem Schimmel sitzend. Wie es sich geziemt, in silberner Rüstung und übergeworfenem, wehendem Mantel. Die beigegebenen Reichsinsignien lassen keinen Zweifel am hohen Rang des Herrn. Wenn die Bereiter mit den Lipizzanern einziehen, so grüßen sie respektvoll zuerst den seligen Kaiser. Sollte man sich als Zuschauer unterhalb der Loge befinden und den Gruß geschmeichelt entgegennehmen, so galt dieser nicht unsereinem, sondern Karl oben drüber. – Der Hofloge gegenüber ließ der Kaiser eine lateinische Widmung anbringen (Auszug): Der adeligen Jugend zu Unterricht und Übung wie auch der Ausbildung der Pferde zu Kunstritt und Krieg.
Den Kunstschritt für den Kunstritt beherrschen die Lipizzanerhengste par excellence. Davor liegen etwa drei Jahre Heranwachsen im Lipizzaner-Gestüt Piber (Steiermark) und sechs Jahre „Schulzeit“ in der Wiener Hofreitschule. Danach zeigen sie unter dem Bereiter die Vollkommenheit und Harmonie des Gelernten. Die Lektionen steigern sich von den Gangarten „auf der Erde“ bis zu den Sprüngen „über der Erde“. Von diesen schwierigen Figuren ist die Kapriole Höhepunkt des Könnens: Aus dem Trabschritt auf der Stelle (Piaffe) ein kraftvoller Sprung, dabei Ausschlagen der Hinterhand bei angewinkelter Vorderhand. Das Pferd schwebt.
Die Vergangenheit der Lipizzaner liest sich wie der Stammbaum eines Königshauses. Von den Mauren aus Araber-, Berber- und Iberer-Pferden gezüchtet, reisen sie als Andalusier nach Italien und treffen dort auf die Neapolitaner. – Maxens jüngster Bruder Erzherzog Karl II. gründet um 1580 im Triestiner Karstgebiet das Habsburgische Gestüt Lipica im heutigen Slowenien und gesellt in der Zuchtrichtung das Karstpferd dazu. Nun sind die entscheidenden Merkmale vereint: Gelehrsamkeit, Schönheit, Robustheit und Genügsamkeit.
Ich darf die Stallungen besuchen. Eine noble Unterkunft. Joseph Richter (1749 – 1813) schreibt in den fiktiv-satirischen „Eipeldauer Briefen“ über die Pferde in der Residenz: „ … die sind schöner logiert als der Kaiser selbst.“ Einundsiebzig Lipizzaner stehen nach Auskunft zurzeit in der Stallburg, Hengste unterschiedlichen Temperaments. Individualisten. Man muss sie klug aufstallen. Die Feuerköpfe neben die Ruhigen, die Sensiblen, Nervösen neben die Ausgeglichenen. Den Neugierigen gewährt man eine Box mit Ausblick in den Hof der Stallburg, so dass ihnen im Tagesgeschehen nichts entgeht. – Wer sich mit den Stolzen einlässt, wie die Pfleger, Eleven, Bereiter, erkennt bald, dass sich in diesem Falle die Pferdekenntnis der Menschenkenntnis nähert.
Die Majestäten tragen klangvolle Namen, die ihre bedeutenden Eltern ausweisen und auf einer Tafel an der Box angebracht sind. Allesamt entstammen sie Zuchtlinien, die sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. „Favory Bellamira“; „Maestoso Alma“, ein Brauner … ? Kein Fehltritt! In der Frühzeit züchtete man Lipizzaner in verschiedenen Fellfarben. Die Braunen gelten in der Hofreitschule als „Glückspferde“. „Favory Fantasca II, ein grauer Junghengst. Schimmel kommen dunkel zur Welt und färben erst nach sechs bis neun Jahren aus. Sie sind Spätentwickler und erreichen – nach Pferdebegriffen – ein hohes Alter, das die Dreißig überschreiten kann. Werden sie nach einer langen glanzvollen Karriere ein wenig müde, so dürfen sie sich im Gestüt Piber auf ihren Lorbeeren ausruhen. Auch dann noch verlieren sie nichts von ihrer Grazie.
Xenophon (um 430 – 354 v.Chr.), Historiker und Schriftsteller, fasst zusammen: „Ein Pferd, das sich stolz trägt, ist etwas so Schönes, Bewunderns- und Staunenswürdiges, dass es aller Zuschauer Augen auf sich zieht.“
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