von Erhard Crome
Der Film lief am 9. März gleich nach den Tagesthemen, 22.45 bis 23.30 Uhr, zu einer noch guten Sendezeit. Eine Dokumentation der ARD, produziert vom RBB. Die Autoren sind ausgewiesene Leute: Árpád Bondy, Filmemacher und Komponist, mehrfach preisgekrönt, und Harald Schumann, wegen seiner hervorragend recherchierten Bücher über die neoliberale Globalisierung seit zwanzig Jahren einem breiten, nicht nur globalisierungskritischen Publikum vertraut. Der Film kam unter der Rubrik „Die Story im Ersten“ und hatte den Titel „Die Spur der Troika – Macht ohne Kontrolle“. Es ging um Griechenland, das weiter unter der Kürzungspolitik der Troika leidet und das im Zusammenhang mit der neuerlichen Zuspitzung der Finanzkrise erneut in (fast) allen deutschen Medien niedergemacht wird. Es ging aber auch um die anderen Fälle, in denen die Troika regierte – Irland und Portugal. Nirgends wurde es besser: Die Löhne sanken, die Arbeitslosigkeit nahm zu, gut qualifizierte junge Leute wandern aus. Die Iren gehen nach Australien und Kanada, die jungen Portugiesen nach Brasilien oder Angola – letzteres wurde im Film nicht gesagt, aber deutlich wurde gemacht, dass Portugal in zwanzig Jahren vier Millionen Einwohner weniger haben wird, von jetzt 10,5 Millionen. Zukunftsfähigkeit sieht anders aus.
In einer zeitnah ins Netz gestellten Filmkritik wird dazu bei FAZ.net, dem Portal der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, festgestellt: „Sie trennen Welten: Die Technokraten in Brüssel, die die Reformen verordnen, und die Menschen, die mit diesen leben müssen.“ Die Auflagen haben in Griechenland und Portugal einen „Abwärtsstrudel mit verheerenden sozialen und ökonomischen Folgen“ herbeigeführt. Ein griechischer Arzt sagt: „Sie haben eine Ideologie: Wer Geld hat, lebt, wer keins hat, stirbt.“ Das Gesundheitsbudget in Griechenland wurde unter der Federführung der Troika um ein Drittel geschrumpft; mehr als drei Millionen Griechen sind jetzt ohne Krankenversicherung. Währenddessen verlautet aus Brüssel: „Die Tätigkeit der Troika war ein großer Erfolg.“ Im Film sagt dies der Europa-Abgeordnete Othmar Karas. Er ist Mitglied der Österreichischen Volkspartei und im Europäischen Parlament in der christdemokratischen Fraktion, zusammen mit CDU und CSU.
All diese Zitate kommen auch in der Kritik bei der FAZ vor. In einer Lesermeinung dazu heißt es dort: „Ich kann nicht glauben, so etwas in der FAZ zu lesen! Die Sendung war primitivste schwarz/weiß Propaganda.“ Der Film sei ein „Schauprozess“ gegen die Troika; es seien neben einigen Arbeitslosen der jetzige Finanzminister Varoufakis und ausschließlich Syriza-Vertreter zu Wort gekommen.
Der „Schauprozess“ ist üble Nachrede und wird durch den Film nicht gedeckt. Offenbar bleibt die dauernde Gehirnwäsche, die die deutschen Medien seit Jahren in Sachen Griechenland betreiben, nicht folgenlos. Die Köpfe sind verkleistert und zur Aufnahme von Tatsachen – um das altmodische Wort „Wahrheiten“ zu vermeiden – nicht mehr bereit.
Auch die Unterstellung, es seien ausschließlich Syriza-Vertreter zu Wort gekommen, ist sachlich einfach falsch. Yanis Varoufakis wurde, wie im Film ausdrücklich hervorgehoben wurde, im Sommer 2014 interviewt, als Wirtschaftsprofessor, der bereits 2013 einer der konsequentesten Kritiker der EU-„Sparpolitik“ war und ein alternatives Konzept zum Weg aus der Krise umrissen hatte. Damals war noch lange nicht klar, dass Syriza die Wahlen gewinnen und Varoufakis der neue Finanzminister werden würde. Die Minister, die als solche befragt wurden, waren ehemalige Minister der Vorgängerregierungen, die einfach berichteten, wie die Troika-Beamten in ihren damaligen Ministerien auftraten, sozusagen als ihre Vorgesetzten, und sogar Gesetzestexte wortwörtlich in den Block diktierten. Die Armen wurden geschröpft, während Steuerflüchtlinge absichtsvoll geschont wurden.
Dabei spielte auch die „Lagarde-Liste“ eine Rolle: Die französische Regierung verfügt über eine Liste von Steuerflüchtlingen, die ihr Geld illegal bei der Genfer HSBC-Bank deponiert hatten. Eine Liste mit über 2000 Namen griechischer Steuerflüchtlinge übergab die damalige französische Finanzministerin (und jetzige Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF) Christine Lagarde bereits im Jahre 2010 ihrem damaligen griechischen Amtskollegen. Bis heute nahmen die Steuerbehörden, so die Aussage im Film, sechs Fälle davon in Angriff. Die Troika-Beamten ermunterten das griechische Finanzministerium gerade nicht, diese Fälle weiter zu verfolgen. „Sie haben eine Ideologie“, hatte der Arzt im Film gesagt.
Die FAZ-Rezension scheint sehr kritisch, deshalb auch die unwirsche Leser-Reaktion. Das wichtigste aber spart sie aus: Um die Troika – bestehend aus Vertretern des IWF, der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank – überhaupt einsetzen zu können, wurden die Vorschriften des IWF geändert. Die Konstruktion der Umschuldung Griechenlands hatte zur Voraussetzung, dass die Schulden als rückzahlbar gelten. Tatsächlich hätte ein sofortiger tiefer Schuldenschnitt unter Einbeziehung der privaten Gläubiger erfolgen müssen. Dann hätten aber auch französische und deutsche Banken Milliarden Euro ausbuchen müssen. Da der damalige Geschäftsführende IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn den Ehrgeiz hatte, der nächste Präsident Frankreichs zu werden, wollte er dies den französischen Banken nicht zumuten. Deshalb wurden klandestin die Vorschriften geändert, um Griechenland neue Kredite zu geben und den IWF in die Troika einzufädeln.
Die EU-Institutionen ihrerseits verstoßen mit dem Agieren ihrer Beamten in der Troika gegen geltendes EU-Recht. Nach den Verträgen, einschließlich derer von Lissabon (2007), ist niemand ermächtigt, sich über die nationalen Verfassungsordnungen hinwegzusetzen. Deshalb wurde mit den „Rettungsschirmen“ ein Ausnahmerecht geschaffen, das sich auch über EU-Recht hinwegsetzt. Die im Film befragten konservativen Europa-Abgeordneten halten es jedoch für ausgeschlossen, das in einem Untersuchungsausschuss auch nur auf die Tagesordnung zu setzen. Es gibt keine demokratische Kontrolle der Troika-Beamten.
Das eigentliche Thema ist also ein mittels Troika installiertes Unrechtsregime, das einem Schuldnerstaat wie Griechenland übergestülpt wurde. Nun stellt die neue, von der linken Syriza-Partei geführte Regierung die Demokratiefrage. Hat das griechische Volk das Recht, sich über die oktroyierte Schuldknechtschaft auf demokratischem Wege hinwegzusetzen? Oder sind die Ansprüche der Gläubiger und Spekulanten höherrangig? Als der sozialdemokratische Ministerpräsident Giorgios Papandreou am Beginn von Krise und Troika angekündigt hatte, ein Referendum über das Brüsseler Kürzungspaket durchzuführen, läutete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (2. November 2011) im Wirtschaftsteil die Alarmglocke: „Wirtschaft besorgt über Athener Euro-Manöver“. Das Ergebnis waren Neuwahlen, bei denen die PASOK-Partei auf nur noch zwölf Prozent der Wählerstimmen abstürzte. Die danach regierende konservative Partei Nea Demokratia verlor bei den Wahlen am 25. Januar 2015. Muss jetzt endlich doch ein Referendum über das Schuldenregime in Griechenland kommen?
Griechenland ist kein Land über lange Zeit konsolidierter demokratischer Verhältnisse. Im Zweiten Weltkrieg kämpften ein kommunistisch geführter Widerstand und ein royalistischer gegen die deutsche Besetzung. Nach dem Krieg tobte ein erbitterter Bürgerkrieg zwischen beiden um die Zukunft des Landes, dem antikommunistischen Lager, das vom Westen unterstützt wurde, und dem linken, das am Ende unterlag. 1967 wurde in Erwartung eines linken Wahlsieges eine blutige Militärdiktatur errichtet, die erst 1974 gestürzt werden konnte. Danach regierten auf klientelistische Weise abwechselnd die Konservativen und die Sozialdemokraten. Beide sind als politische Machtzentren unter der Ägide der Troika zerrieben worden. Jetzt regiert erstmals die Linke, im Zeichen der nationalen Einheit, der Würde und des Abstreifens des Schuldenregimes. Wenn die deutsche Politik und die der neoliberal geprägten „Eurogruppe“ jetzt alles daransetzen, Syriza zum Scheitern zu bringen, wer wird dann Griechenland regieren? Die extreme Rechte bläst auch in Griechenland zum Sturm. Der Faschismus ist ein Ungeheuer, das aus der europäischen Geschichte stammt, sagte neulich ein griechischer Intellektueller. Es wurde 1945 besiegt, aber es ist nicht verschwunden, sondern schläft in Zeiten der Prosperität. Wenn die vorbei sind, erwacht das Ungeheuer zu neuem Leben.
Es wäre klüger für die deutsche Politik, die jetzige griechische Regierung zu stabilisieren und ihr Zeit zu lassen, einen neuen Kurs zu finden. Vielleicht war ja der Film in der ARD ein Zeichen dafür, dass auch in Deutschland mehr Leute anders denken als die Bild-Zeitung, auch mehr, als die derzeitige Bundesregierung glauben machen will.
Schlagwörter: Erhard Crome, Griechenland, Sparpolitik, Syriza, Troika