von Franz Schandl
Es gibt Bücher, da ist der Titel das Beste. „Rasender Stillstand“ war so eines, „Postdemokratie“ ist auch so eines.
Auch wenn sein Band sympathisch schmal ist, hat der in Warwick „Governance and Public Management“ lehrende Colin Crouch ein geschwätziges Buch veröffentlicht. Da wird immer um den Brei herumgeredet, nur selten kommt da einer auf den Punkt. Die Konturen verschwimmen, nichts prägt sich ein, kaum etwas bleibt hängen. Posttheorie ist postanalytisch. Sie gleicht einer Gallerte. Was lese ich da gerade?, frage ich mich des Öfteren und lese anderswo, dass es sich hier um ein Standardwerk politischer Theorie handelt. Sprachlos macht das nicht, eher sprachwütig. In der Politik geht es um das Verkaufen markttauglicher Markenprodukte, um die „perfekte Präsentation“, behauptet Crouch. In der Wissenschaft ist das wohl nicht anders.
„Auf Werbung kann man nicht antworten“, schreibt der Autor. „Ihr Ziel ist es nicht, jemanden in eine Diskussion zu verwickeln, sondern ihn zum Kauf zu überreden.“ Richtig, nur dann sollte man sofort weiterdenken und könnte entdecken, dass Werbung als Kommunikation eindimensional funktioniert, nur eine Richtung kennt, sich gar keine Fragen stellen lassen will, weil sie alle Antworten schlagfertig parat hält. Die Debatte ist ihre Sache nicht, sondern das Dekret. Reklame ist auch dazu da, jedes Registrieren auf einen Reflex zu minimieren, Denken als Reflexion gar nicht erst zuzulassen. Wenn sich Politik auf Sager, also „sound bites“ reduziert, dann ist genau dieser Zustand erreicht. Es ist schon richtig, dass der Politik das Selbstvertrauen abhandengekommen ist, nur was ist da weswegen abhandengekommen? Und ist es irgendwo hingekommen oder ist es einfach untergegangen? So weit dringt Crouch nie vor.
Mit „Postdemokratie“ bezeichnet Colin Crouch „ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, dass Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur auf Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten.“
Die Vorsilbe „post“ indes ist heikel. Auch wenn man ihr nicht ganz entgehen kann, verweist sie stets auf ein analytisches Defizit, das sich darin ausdrückt, keine aussagekräftigen Begriffe zu finden, und diese daher durch eine zeitliche Bestimmung ersetzt. Das ist nicht falsch, aber es ist ziemlich dürftig. Crouch steht wie viele andere Autoren für dürftige Theorie in bedürftigen Zeiten.
Demokrat, der er ist, beschreibt er die Leute ausschließlich auf der Interessensebene ihrer Charaktermasken. Subjektkritik ist seine Sache nicht. Da haben Freiberufler und Manager dann gute Gründe „sich mit den politischen Interessen des Kapitals zu identifizieren“. Doch wer sagt, dass sie in ihrer Rolle aufgehen? Nicht selten mögen sie gar nicht, was sie tun. Ich kenne unzählige Freiberufler, ja sogar einige Manager, die sich alles andere als mit dem Kapital identifizieren. Und selbst viele, die es tun, empfinden es eher als Unterwerfung denn als Selbstbestimmung.
Da ist viel abgeschmackte Litanei: Der Markt darf zwar „keinen Zweck an sich“ darstellen, aber der Zweck für sich ist schon in Ordnung, denn „ganz offensichtlich wären Kaufleute nicht bereit, Läden aufzumachen, wenn wir die Kassen und die Prozedur, Ware gegen Geld zu tauschen, nicht akzeptieren würden“. Als Warenhändler zweifellos nicht, denn als solche definieren sie sich über ihre Geschäfte. Aber wozu benötigt man Kauf und Geschäft? Für den gesellschaftlichen Stoffwechsel oder für den Geldkreislauf? Die Frage stellt sich doch anders: Würden wir Mehl und Stiefel nicht nehmen, wenn sie nichts kosten? Und würden die Produzenten sie behalten, wenn sie kein Geld dafür bekämen?
Abwegige Gedanken sind des Autors Stärke nicht, im Gegenteil, er ist geradezu beseelt von einer alten Idee: „Ich habe in diesem Buch zu zeigen versucht, dass die wichtigste Ursache für den Niedergang der Demokratie heute in dem Ungleichgewicht zwischen der Rolle der Interessen der Unternehmen und denen aller übrigen Gruppen der Gesellschaft besteht.“ Das Problem ist ihm also die Überwertigkeit der Unternehmer, nicht die Strukturierung der Gesellschaft nach Wert und Arbeit, Tausch und Profit.
Unternehmer und Manager haben zu viel Macht, ja Crouch sieht sogar eine „postdemokratische Verschwörung“. Daher: Lasset uns „reglementieren“! Doch nicht Behörden und private Beratungsfirmen sollen das machen, sondern – dreimal darf man raten – die aktiven und interessierten Bürger sollen ran. „Wir müssen daher diese beiden auf den ersten Blick unvereinbaren Formen des politischen Engagements – soziale Bewegungen und Parteien – miteinander kombinieren.“ GO und NGO schlagen Unternehmer k.o. Zweifellos, solcherlei bahnbrechende Erkenntnis ist in den letzten hundert Jahren tatsächlich niemandem eingefallen. Das ist so originell wie ein abgetragener Socken in der Schmutzwäsche.
Was ein echter Sozialdemokrat ist, der bezweifelt natürlich nicht, dass jemand schuld sein muss. Aber eben nicht die Immigranten, auch nicht die Politiker und Beamten, sondern die großen Unternehmen, die seien die „wahre Ursache dieser Probleme“. Wahrlich, es ist ein Abgesang: „Für frühere Generationen radikaler politischer Denker wäre diese Aussage der Anlass gewesen, die Abschaffung des Kapitalismus zu fordern. Diese Option steht heute nicht länger offen“, resümiert ein Autor, der seine Illusionslosigkeit mit einer Perspektive verwechselt. Der Kapitalismus muss hingegen gefesselt werden, das ist die sexuelle Phantasie, die alle reformistischen Sadisten aus- und erleben wollen. Utensilien werden bereits gesucht. „Daher muss es darum gehen, Instrumente zu finden, die die Dynamik und den Unternehmensgeist des Kapitalismus bewahren und zugleich die Firmen und ihre Spitzenmanager daran hindern, in einem Ausmaß politische Macht auszuüben, das nicht mit demokratischen Prinzipien vereinbar ist.“
Einmal mehr soll die Politik den Markt vor seinen Konsequenzen retten. Es ist ein Aufruf, ja ein Gebet, doch die alten sozialdemokratisch-keynesianischen Strukturen wieder herzustellen. Alles läuft auf die grandiose Banalität hinaus, dass da eine falsche Politik gemacht wird. Seichtester Sozialdemokratismus inszeniert sich als Alternative zum Neoliberalismus. Man ist bei der Lektüre nicht nur ungeduldig, man wird zusehends unlustig. Muss man Colin Crouch gelesen haben? – Nein, diese Rezension reicht.
Colin Crouch, Postdemokratie, edition suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, 160 Seiten, 10,00 Euro.
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