von Eckhard Mieder
Neulich traf ich Wladimir in der Sauna. Ich zögerte, dachte, es müsse sich um einen Doppelgänger halten. Ich schaute mich um: Er und ich saßen auf den Bänken, er eine über mir, standesgemäß. Zwei Damen waren noch anwesend. Aber sie hielten sich bedeckt, und ich vermutete unter ihren Handtüchern die Revolver der Leibgarde.
Ich dachte nicht weiter darüber nach. Etwa, warum ich die Sauna betreten konnte, ohne daran gehindert zu werden. Solche Mega-Politiker werden doch Tag und Nacht und aufm Klo und in der Sauna sowieso beschirmt. Dachte ich immer. Ich überlegte, was ich falsch gemacht haben könnte, dass ich in diesem Hotel am Bodensee gewissermaßen gleitend und schweißtreibend glitschig am Überwachungsapparat vorbeigekommen war. Keine Ahnung, wie es geschehen konnte. Vermutlich erfüllte sich an mir jene dunkle Voraussage, dass niemand perfekt sei und dass jede Organisation, sei sie noch so perfekt, ihre Lücken habe. Ich war Gast des Hotels und wollte saunieren, ganz einfach. Klappte ja auch, wie die Holztür.
Ein kurzer Moment der Verwirrung. Dann nickten wir uns zu. Ich überlegte, was es zu reden gäbe. Ich kann ein bisschen Russisch, er spricht Deutsch. Ich kannte seine Vergangenheit als Geheimdienstler an der Bautzener Straße in Dresden, er dürfte meine Vergangenheit als redlicher Idiot in der DDR nicht kennen. Es sei denn, dieses Sauna-Treffen war kein Zufall und Waldimir wäre vorher informiert worden und mein Hineinkommen in die Sauna war gewissermaßen geplant oder abgesegnet worden?
Wir schwitzten vor uns hin. Hin und wieder wechselte ich Blicke mit den Damen, deren muskulöse Körper mich abschreckten und die mein zaghaftes Zulächeln nicht erwiderten. Nun sehe ich nicht gerade aus wie ein Leckerli und auch nicht wie James Bond. Soweit war alles in der Ordnung.
Fieberhaft arbeitete es in meinem Kopf. Falls Sie mal in einer Sauna waren: Man sollte sich in ihr keine Fragen stellen, nicht nachdenken, man sollte sich in einer Sauna ganz dem körperlichen Fluss hingeben. Das scheint mir der Sinn einer Sauna zu sei. Da zu sein, zu fließen, ergeben zu sein, die Augen zu schließen und an nichts zu denken außer an die ewige Jugend, die man verpasst hat.
Plötzlich räusperte sich Wladimir. Ich schaute hoch, er schaute mich an und lächelte. Recht verlegen, fand ich. Keinesfalls so, wie ich ihn auf Fotos schon gesehen habe: reitend den sibirischen Tiger, tauchend im Asowschen Meer, strahlend in der Kanzel eines Militär-Jets.
Wladimir war tatsächlich viel kleiner und schmaler als ich gedacht hätte. Was ich überhaupt nicht schlimm fand, was mich nicht enttäuschte. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die küchenpsychologisch über die Größe von Männern und deren Napoleon-Komplexe salbadern. Das überlasse ich dem bürgerlichen Feuilleton. Die Jungs da müssen Zeilen schinden, um ihr Gehalt oder Honorar zu rechtfertigen. So einer wie der Hitler war größer als ihn Chaplin ins Kultur-Bewusstsein spielte und spülte. So einer wie Napoleon war kleiner als Putin. Und Nero? Wie groß war der eigentlich? Und Karl der Große, wie klein war der? Mal abgesehen davon, dass ich keinesfalls Birnen mit Äpfeln vergleichen oder gleichsetzen möchte. Außerdem waren die Leute der Vergangenheit sowieso kleiner gewachsen als wir Heutigen. Im Schnitt. Ausnahmsweise freilich gab es da hinter uns in diesem unfassbaren Gelände, das wir Geschichte nennen, immer mal so einen Goliath. Ach, was fasele ich …
Zurück in die Sauna.
Auch der rasche Blick auf Wladimir seinen Schniedelwutz war nicht wirklich nötig. Reine Gewohnheit. Es ist nun mal so, dass Männer in der Sauna auf die Plautzenplutzen ihrer Geschlechtsgenossen schauen. Ist wie beim öffentlichen Pinkeln. Man möchte einigermaßen gut abschneiden (jetzt mal nicht wörtlich), zumal, wenn Damen anwesend sind. Wladimir seiner war so mittel. Wie meiner, so ungefähr. So gesehen: friedliche Koexistenz.
Irgendwann sagte Wladimir: „Ach!“ Ich nickte und sagte auch: „Ach!“ Er sagte dann: „Molodjez!“ Das Wort kannte ich, und ich sagte: „Tosche Molodjez!“
Ich wusste nicht, ob das richtig war. Immerhin haben die da in der Ukraine einen Krieg, an dem Wladimir seinen Anteil hat. Ich wusste nur nicht genau, welchen Anteil. Außerdem hatte ich schon immer ein Herz für die Russen, ich glaube sogar, mein Herz ist etwas russisch, sozusagen, und ich könnte, dachte ich, auch denken, dass mein Herz ukrainisch ist. Weil ich da schon war, in der Ukraine, und in Russland sowieso, da hieß das alles zusammen aber noch UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken). Ich hatte da Probleme, muss ich sagen. Aber das sind Geschichten, die ich später erzähle. Und es sind Probleme, die nichts mehr mit dem Heute und Da zu tun haben. Ich habe da überall sehr feine Menschen getroffen, mit denen ich trank, Gurken und Zwiebeln aß und aufs Köstlichste palaverte. Man könnte sagen: Wir feierten zusammen, als gäbe es keinen Morgen und als wäre es auch nicht erstrebenswert, einen Morgen zu erleben. Er würde kommen oder auch nicht.
Ich bleibe dabei: Eine Sauna ist nicht der Ort von Debatten oder gar Streits. Eine Sauna ist ein Ort der Entspannung. Das sah ich so, das sah auch Wladimir so. Noch einmal schauten wir uns an. Dann erhob sich die eine Dame, Wladimir stellte sich hinter sie, hinter ihm postierte sich die zweite Dame –, und in dieser Formation marschierten sie hinaus. Die Frauen waren zwei Köpfe größer als er, und auch ihre Schultern waren breiter als seine. Was ich als richtig empfand. Schließlich mussten sie ihn abschirmen gegen Schüsse, Giftpfeile und Atomraketen.
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Schlagwörter: Eckhard Mieder, Sauna, UdSSR, Ukraine, Wladimir Putin