von Edgar Benkwitz
Es waren ungewöhnliche Bilder, die vor einigen Wochen aus Neu Delhi unseren Bildschirm erreichten. Da umarmten sich zwei Staatsmänner, nannten sich bei ihren Vornamen, schwelgten in Visionen und betonten immer wieder, wie sehr sie freundschaftlich verbunden seien. US-Präsident Barack Obama weilte zum Staatsbesuch in Indien und traf hier den neuen starken Mann des Landes, Premierminister Narendra Modi. Vor gut einem halben Jahr war das noch undenkbar. Modi – damals Chef eines indischen Bundesstaates – galt seit über zehn Jahren für die USA (und für die EU-Staaten) als persona non grata und war mit einem Einreiseverbot belegt. Doch seitdem er mit seiner hindunationalistischen Partei die absolute Mehrheit im Parlament erringen konnte, hat sich die Lage grundlegend geändert. Die seit langer Zeit fehlende politische Stabilität, Grundlage für dringend benötigte Reformen, war plötzlich da.
Für die USA war es das Signal, alte Streitigkeiten zu vergessen. Die Anwesenheit von Narendra Modi zur Tagung der UN-Vollversammlung im September wurde kurzfristig genutzt, um ihn zum Staatsbesuch nach Washington zu holen. Hier tastete man den Nationalisten Modi ab und prüfte die Möglichkeiten, mit ihm stärker ins Geschäft zu kommen. Zur allseitigen Überraschung verkündete Präsident Obama dann wenig später, der Einladung Premier Modis zu folgen und als Ehrengast zum „Tag der Republik“ am 26. Januar in Neu Delhi zu weilen. Hier konnte er zeigen, dass er keineswegs die lame duck ist, zu der ihn die US-Wähler degradiert hatten. Und darüber hinaus konnte er auch etwas für seinen Nachruhm tun, denn die lange Liste der Ehrengäste zu diesem Nationalfeiertag liest sich wie ein „Who is Who“ der internationalen Politik: Sukarno, Sihanouk, Tito, Nelson Mandela, Königin Elisabeth, König Juan Carlos, Woroschilow, Kossygin, Chirac, Sarkozy, Abe, Putin – um nur die bekanntesten Namen zu nennen. Bezeichnenderweise war ein amerikanischer Repräsentant bisher nicht dabei. Obama ist der erste! Da nahm er es auch in Kauf, sich die traditionelle Militärparade ansehen zu müssen, bei der in Indien produzierte russische Waffensysteme dominierten. Für den amerikanischen Gast müssen die MIG- und Sukhoi-Kampfjets, T-90 Panzer und die cruise missile „Brahmos“ (Brahmaputra/Moskwa) wie eine surreale Vorstellung gewesen sein. Der indische Premier hingegen konnte zeigen, was eine wirkliche Partnerschaft, nämlich die mit Russland, für Indien bedeutet.
Man darf dem bauernschlauen Modi durchaus unterstellen, dass er Obama damit einen deutlichen Wink geben wollte. Denn eine bloße Charmeoffensive, gepaart mit vielen allgemeinen Feststellungen, hilft Indien nicht weiter. Doch konkrete Abmachungen sollte es auch nach dem zweiten Staatsbesuch nur in einem begrenzten Umfang geben.
So wurde ein abgelaufenes Rahmenabkommen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigung um weitere zehn Jahre verlängert. Die USA haben bisher nur Waffen verkauft, der ersehnte Transfer von Technologie oder gar eine Produktion in Indien fanden nicht statt. „Auch jetzt kratzt dieses Abkommen nur an der indischen Wunschliste“, schreibt die Economic Times und deutet damit an, dass die Erwartungen nicht erfüllt wurden.
Bei der Zusammenarbeit auf nuklearem Gebiet wurde nach Modis Worten ein „Durchbruch“ erzielt. Hier muss daran erinnert werden, dass bereits 2008 zur Überraschung der internationalen Öffentlichkeit beide Staaten einen weitreichenden Vertrag unterzeichneten. Die Fachwelt war sich einig, dass die USA damit Indien, das Kernwaffen besaß, aber nicht Mitglied des Kernwaffensperrvertrages war, den Weg zur internationalen Anerkennung als Atommacht freizumachen versuchte. Doch bis heute bewegte sich nichts. Die USA verlangten über die Kompetenzen der Internationalen Atomenergiebehörde hinaus zusätzliche Kontrollrechte, zudem störte ein indisches Gesetz, das im Katastrophenfall nicht den Betreiber von nuklearen Anlagen, sondern den Lieferanten verantwortlich macht. Für beide Vorbehalte wurden jetzt Kompromisse gefunden, doch noch ist nicht klar, ob die US-Konzerne und die internationale Öffentlichkeit damit leben können. Denn Indien benötigt für sein ehrgeiziges Nuklearprogramm die Mitgliedschaft in dem internationalen Kartell, das die Lieferung von nuklearer Technologie und Brennstoffen regelt und in vier Verträgen fixiert ist. Jetzt wollen die USA für Indiens Mitgliedschaft in diesen Verträgen eintreten.
Dieser Schritt ist mehr politisch als wirtschaftlich motiviert, er belebt die alte Strategie, Indiens Pariah-Status als Nuklearstaat zu beenden und es als anerkannte Atommacht gegen Chinas wachsende Stärke aufzubauen. Postwendend kam dazu aus China eine Reaktion. „Wir unterstützen Indien bei der Inangriffnahme weiterer Maßnahmen, um die Anforderungen für die Aufnahme in die Gruppe zu erfüllen“, lautete die „helfende“ Kritik des Sprechers des chinesischen Außenministeriums, der außerdem auf den Konsens bei der Aufnahme neuer Mitglieder verwies. Zweifelsohne dürften bei dieser Stellungnahme auch Pakistans Interessen durchgeklungen haben, dessen nuklearer Status dem Indiens ähnelt. Pakistan wacht eifersüchtig, dass es durch die US-Politik gegenüber seinem großen Nachbarn nicht benachteiligt wird. Es will, wenn schon nicht mehr wie früher bevorzugt, jetzt zumindest gleich behandelt werden. „Islamabad muss sicherstellen, dass es durch eine Bevorzugung Indiens keinen Schaden erleidet“, schreibt die pakistanische Zeitung Times. Ein weiteres Problem für die USA, da Pakistan mit seiner zwielichtigen Behandlung des Terrorismus, seinem Atomwaffenarsenal und der engen Zusammenarbeit mit China über Druckmittel gegenüber seinem früheren engsten Verbündeten verfügt.
Die USA sind somit in der Zwickmühle, denn sie müssen bei jedem Schritt gleichzeitig die Interessen Indiens und Pakistans im Auge behalten. Präsident Obama reagierte auch nur zurückhaltend auf die indische Forderung, den Druck auf die pakistanische Regierung zu verstärken, damit terroristische Anschläge gegen Indien von pakistanischem Boden aus endgültig unterbleiben. Überhaupt spielten weltpolitische Fragen in den Gesprächen zwischen Präsident Obama und Premier Modi eine untergeordnete Rolle. Zu weit entfernt sind die Positionen zwischen der imperialen Großmacht und dem aufsteigenden Schwellenland. Viele Probleme wurden überhaupt nicht erwähnt, doch immer wieder wurde das Bemühen der USA sichtbar, Indien in seine Strategie zur Eindämmung Chinas einzubinden. Zur Region des Südchinesischen Meeres, in der Indien Vietnam bei der Erkundung und Förderung von Erdöl unterstützt, ließ sich Indien nicht an US-Positionen binden.
Die Beziehungen zwischen Indien und den USA haben in der Vergangenheit mehr Tief- als Höhepunkte erlebt. Es gelang den USA nie, das Verhältnis zu Indien dauerhaft zu verbessern. Jetzt wurde ein neuer Anlauf gestartet und mit Narendra Modi scheinbar der passende Partner gefunden. Die Rhetorik und Gestik bei den beiden Staatsbesuchen sollen das zumindest glaubhaft machen. Doch selbst die amerikanische Presse ist zurückhaltend. So schreibt die New York Times zwar, dass vorsichtiger Optimismus angebracht ist, doch „eine wirkliche Partnerschaft aufzubauen, erfordert über Jahrzehnte anhaltende Anstrengungen“. Das Wall Street Journal verweist darauf, dass auch die neue indische Regierung mit ihrer „Make in India“-Politik Absichten verfolgt, die dem US- Kapital nicht immer gelegen seien. Ein Thema, dass auch kürzlich Außenminister Kerry zu kritischen Bemerkungen veranlasste.
Indien braucht die internationale Zusammenarbeit mehr denn je, akzeptiert sie aber nur, wenn seinem gewachsenen Stellenwert und seiner Interessenlage gebührend Rechnung getragen wird. Auch künftig wird es nicht auf ein Land fixiert sein. Wie Russland und China strebt es nach einer multipolaren Welt, in der seine Interessen am besten aufgehoben sind.
Übrigens gab die indische Regierung wenige Tage nach dem Obama-Besuch bekannt, dass Premierminister Modi im Mai China besuchen wird, nur neun Monate nachdem Präsident Xi Jinping in Indien weilte.
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