von Ulrich Kaufmann
Die alte „Literatenweisheit“, wonach das zweite Buch eine besonders hohe Hürde sei, die schwer zu schaffen ist, kann hier nicht bestätigt werden: Nach dem Debüt mit den „Jenaer Tischgeschichten“ im Jahr 2012 wagt sich das Autoren-Duo, dem der Kulturhistoriker Christian Hill und die vormalige Marerialwirtschaftlerin Barbara Kösling angehören, aus dem Jenaer Talkessel heraus. Nunmehr nehmen beide die Weiten ihres kleinen Landes in den Blick und porträtieren zwanzig berühmte Thüringer – auch in ihren Trink- und Essgewohnheiten. Die Essays schweifen durch ein halbes Jahrtausend deutscher Kulturgeschichte und reichen von Martin Luther bis zu dem 1941 in Greiz geborenen Astronauten Ulf Merbold. Ohne Luther und Schiller, glaubten die Autoren wohl zu Recht, könne man ein solches Thüringen-Buch nicht anbieten, und so begegnen uns der Reformator wie der Dramatiker erneut. Technikgeschichtlich interessant ist, dass nach Otto Schott (im ersten Buch) nunmehr der bescheiden lebende Physikprofessor Ernst Abbe eine biografisch-kulinarische Skizze („Linsen extra scharf“) erhält.
Allein das Verzeichnis „ungedruckter und gedruckter Quellen“ zeigt, dass das so locker-unterhaltsam daherkommende Sachbuch das Ergebnis langjähriger Archivstudien ist. Insofern unterscheidet sich der Band „Mahlzeit“ wohlweislich von flott zusammengegoogelter Massenware, die uns auf Wühltischen zum Kauf angeboten wird. Im Falle Goethes konnten die Verfasser auf ein „Literarisches Kochbuch“ mit „erotischen Liebesspeisen“ zurückgreifen. Bei dem in Renthendorf geborenen Tierforscher Alfred Edmund Brehm fanden sich indessen zwei alte Rezeptbücher. Deshalb ist „Brehms Tischleben“ besonders authentisch dokumentiert worden. In anderen Fällen entschieden sich Hill und Kösling dafür, Rezepte aus der Region beziehungsweise der Zeit zu präsentieren.
Von dem in Gera geborenen Maler Otto Dix, der von sich wusste entweder „berühmt oder berüchtigt“ zu werden, erfahren wir, dass sein Lieblingswein „Pinot Noir“ war. Im Jahre 1939 wurden etliche seiner Bilder öffentlich verbrannt. Dix blieb während der Nazidiktatur in Deutschland, wo er nur wenige Bilder verkaufen konnte. Zurückgezogen lebte er mit seiner Frau am Bodensee, nicht zuletzt von den Früchten des Gartens, die in großer Mengen eingeweckt wurden. „Dix selbst kümmerte sich besonders um ein großes Kräuterbeet. Sein spezieller Kräutersalat war berühmt.“ Und so ist es nicht überraschend, dass am Ende des Kapitels über den Geraer Ehrenbürger die Rezeptur zu einem Kräutersalat nachzulesen ist.
Das Buch ist auch deshalb so blitzgescheit und unterhaltsam, weil es, genau betrachtet, von einem Trio geschaffen wurde. Unbedingt sind die zwanzig witzig-geistreichen Porträts der Julia Tripke hervorzuheben, die bereits den ersten Band bereichert hatte. Im Falle des in Kahla geborenen Urkantors Johann Walter (1496-1570) war die Phantasie der Künstlerin in besonderer Weise gefragt, da sie hier ohne eine Bildvorlage auskommen musste.
Der Schreiber dieser Zeilen, in einem seiner Berufe Germanist, hatte seine helle Freude an den bildenden wie gleichermaßen unterhaltenden Kurzporträts und nicht zuletzt an den tollen Anekdoten, die sich um die Themen Speis und Trank ranken. Dem literarischen Gourmet, auch wenn er in der Küche schrieb, entfaltete sich das eigentliche Aroma dieses besonderen Buches nicht vollständig. Dieser Band mit seinen 135 Rezepten aus fünf Jahrhunderten sowie einem Rezeptregister wird den total genießenden Leser hoffentlich zu Taten am Herd beflügeln. Erst dann kann er sinnlich erfahren, wie Anna Amalia, der Lexikon Meyer, der Brückenbauer Röbling, die Marlitt, auch Herbert Roth oder der „Adler der Lüfte“, der Tierarzt Dr. Helmut Recknagel, aßen und tranken oder dies, wie im letzten Fall, noch immer tun.
Christian Hill, Barbara Kösling: Mahlzeit! Berühmte Thüringer bitten zu Tisch. Mit einem Geleitwort von Kati Wilhelm, Bussert & Stadeler Jena 2014, 158 Seiten, 19,90 Euro.
Schlagwörter: Barbara Kösling, Christian Hill, Kulturgeschichte, Thüringen, Ulrich Kaufmann