von Frank-Rainer Schurich
„Weihnachten: Festtag, der Völlerei, der Trunksucht, klebrigen Gefühlen, der Entgegennahme von Geschenken, öffentlicher Langeweile und häuslichem Frieden geweiht.“ Diese etwas zynische Definition stammt vom amerikanischen Schriftsteller Ambrose Bierce, aber die kriminelle Wirklichkeit ist noch viel schlimmer. Schon die Adventszeit ist sehr spannend, denn es wird entführt, gestohlen und gedroht. Und manchmal wird kurz vor oder zu Weihnachten auch gemordet.
Aus einer alten Quelle wissen wir, dass am 23. Dezember1735 in Berlin in der Friedrichstadt ein „Materialist“, seine erst vor drei Tagen geheirate Frau und deren 11-jährige Tochter aus erster Ehe „von seinem Schwager und dessen Frau jämmerlich ermordet worden“ sind. Am Heiligabend 1994 wurde ein 61-Jähriger in seiner Hamburger Wohnung brutal getötet. Die Obduktion ergab, dass sein Brustkorb in dieser Zeit des Friedens und der Besinnung „massiv zertrümmert“ wurde. Genau zu diesem christlichen Zeitpunkt verletzte ein 35-Jähriger im mecklenburgischen Wittenbeck einen Mann mit Gewehrschüssen… Und vor nunmehr zwanzig Jahren überfielen zwei Räuber das Kaufhaus Wertheim am Kurfürstendamm in Berlin und erbeuteten kurz vor Geschäftsschluss 100.000 DM.
Stille Nacht, Heilige Nacht, und die Gangster machen weltweit über die Feiertage keine Pause. Aber der Reihe nach.
Die Freiheit der Nikoläuse habe sich ein Vertreter der Rotröcke in Neuseeland ein wenig zu großzügig ausgelegt, meinte ein Gericht in Wellington. Auf dem Rückweg von einer Weihnachtsparty verlangte der als Nikolaus verkleidete Michael Lindsay im Dezember 1994 an einer Tankstelle umsonst ein Eis. Andernfalls würde er eine Scheibe einschlagen. Als ihm das abgeschlagen wurde, habe er seine Drohung wahrgemacht. Die Strafe: Geldzahlung und tageweise abzusitzende Haft.
Manchmal nimmt auch der Telefonterror zu Weihnachten wunderliche Formen an. Mit täglichen Anrufen hat vor einigen Jahren ein liebeskranker Australier seine Ex-Freundin tyrannisiert. Er habe sich vorgenommen, sie bis zu ihrem Tod zu belästigen, sagte Daniel Hallas zum Auftakt seiner Vernehmung vor einem Gericht in Melbourne in Südaustralien. Innerhalb von drei Monaten hatte Hallas seine ehemalige Partnerin mehr als 4.000 Mal angerufen, allein zu Weihnachten 90 Mal. Der Arbeitgeber der Frau, ein Versicherungsunternehmen, hatte zeitweise die Telefonleitungen der Firma stilllegen müssen.
Der Verzicht auf den Weihnachtsmann aus kulturellen Gründen hatte 2002 einem australischen Kindergarten in Brisbane zahlreiche Morddrohungen eingebracht. In der Vorankündigung hieß es, der Rote sei deshalb von der Weihnachtsfeier ausgeladen worden, weil viele Kinder Angst vor dem Weihnachtsmann hätten und andere aus Ländern kämen, wo es diesen Kerl einfach nicht gibt. Ein Anrufer hatte am Telefon gedroht: „Ich bring euch und eure Muslim-Kumpane um.“ Die Leiterin blieb hart und hielt an den Bann fest. Hinzuzufügen ist, dass der Kindergarten zuvor den Preis für besondere Verdienste um den Multikulturismus erhalten hatte.
Auch Betrug blüht. Telefonische Weihnachtsmann-Ansagedienste schröpfen in der Adventszeit französische Familien. Die automatischen Stimmen-Computer sind so aufgebaut, dass Kinder möglichst lange an der Strippe gehalten werden. Abgerechnet werden die Dienste nach Minuten. 45 Franc kostet der Anruf bei einer Maximaldauer von 20 Minuten. Eine Verbraucherzentrale riet den Franzosen, nicht auf die Reklame hereinzufallen, damit die Telefonrechnung keine böse Bescherung bringt.
Von den legendären deutschen Tresorknackern Franz und Erich Sass gibt es eine sehr schöne Weihnachtsgeschichte. Zum Christfest anno 1929 wundert sich der damalige Pedell Geschwendt des Kaiserin-Augusta-Gymnasiums in Berlin-Charlottenburg über einen frischen Erdhaufen an der Mauer zwischen Luisenfriedhof und Pedell-Privathof. Sowohl Gespenster wurden auf dem Friedhof gesehen als auch Fremde, die sich nachts auf dem Gottesacker zu schaffen machten. Kommissar Max Fabich und ein paar Kollegen vom Polizeipräsidium am Alexanderplatz, die den Ganoven auf der Spur sind, eilen herbei und entdecken einen „Fuchsbau“, einen gut getarnten, ziemlich geräumigen Raum im Erdreich des Friedhofs. Die „Füchse“ hatten die ausgehobene Erde einfach auf den Schulhof geworfen. Mit dem Eintreffen der Polizei sind die Gebrüder Sass allerdings ihren mühsam angelegten Lagerraum auf dem Luisenfriedhof los, der eigentlich für ihr reichhaltiges Einbruchswerkzeug und für die erbeuteten Schätze der Disconto-Gesellschaft am Wittenbergplatz, wo sie ihr Meisterstück abgelegt hatten, gedacht ist. Franz und Erich Sass werden zwar verhaftet, aber die „Tat Fuchsbau“ kann ihnen nicht nachgewiesen werden. Herausgehauen hat sie der tüchtige Rechtsanwalt Müller-Stromeyer.
Ein anderer brillanter Strafverteidiger dieser Zeit musste die schöne Erfahrung machen, dass Ganoven zum Weihnachtsfest rührselig und dankbar sein können. Im berühmten Prozess gegen den legendären Boss „Muskel-Adolf“ des Ringvereines „Immertreu“, der für eine Massenkeilerei am Schlesischen Bahnhof in Berlin (heute: Ostbahnhof) mit zwei Toten verantwortlich war, erreichte der schlitzohrige Anwalt Dr. jur. Dr. phil. Erich Frey milde Strafen und eine Aufhebung des Vereinsverbotes von 1928. Sieg auf der ganzen Linie für den Verteidiger! Nur: Während seines Plädoyers erhielt er vom Gerichtsdiener die Nachricht, dass aus dem Anwaltszimmer sein kostbarer Pelz entwendet wurde, ein prächtiges Erbstück vom Vater mit einem Kragen aus Nerz. Zu Weihnachten 1929 öffnete Frey ein ihm zugestelltes Paket, worin die überaus gelungene Kopie des entwendeten Mantels enthalten war und ein Zettel: „Ehrlich verloren, ehrlich erworben. Aktien-Mieze.“ Aktien-Mieze war „Muskel-Adolfs“ Dame!
William Burke und William Hare ermordeten in Edinburgh (Schottland) 16 Menschen und verkauften die Leichen gewinnbringend an einen Anatomen, der die menschlichen Körper für die Medizinerausbildung benötigte. Hare kaufte sich als Kronzeuge frei, wie es heute noch üblich ist. Der Prozess gegen Burke im High Court of Justiciary begann am Heiligen Abend (!) 1828. Pausen gab es nicht. Am Morgen des ersten Weihnachtstages wurde das Urteil gegen Burke verkündet – Tod durch Erhängen. Nach der Hinrichtung, so wurde verfügt, solle sein Körper der medizinischen Forschung zur Verfügung gestellt werden. Sein Skelett steht heute noch im Anatomischen Museum der Stadt Edinburgh.
Fritz Haarmann aus Hannover, der bestens bekannte multiple Mörder mit dem Hackebeilchen, bat die Geschworenen, schnell zu einem Urteilsspruch zu kommen: „Macht’s kurz, Weihnachten will ich im Himmel sein bei Muttern.“ Man beeilte sich, der Schuldspruch für seine Missetaten wurde am 19. Dezember 1924 verkündet. Haarmanns Wunsch ging aber nicht in Erfüllung. Erst am 15. April 1925 trennte das Fallbeil den Kopf vom Körper, und derart geteilt konnte er endlich friedlich gen Himmel ziehen.
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