von Mathias Iven
„Man wird den autobiographischen Aussagen von Alma Mahler nicht gerecht, wenn man das Exaltierte für wahr hält, aber das Normale zur Idealisierung erklärt.“ – Jeder, der einmal in ihre Bücher geschaut hat, könnte diese Aussage unterschreiben. Doch welchen Weg wählt man, um einer solchen, sich selbst gerne in Szene setzenden Person gerecht zu werden?
Vor nunmehr zehn Jahren präsentierte beispielsweise Oliver Hilmes mit seiner „Witwe im Wahn“ ein Bild von Alma Mahler-Werfel, das nicht zuletzt auf Grund einiger, erst in der letzten Zeit veröffentlichter Archivalien einer Korrektur bedarf. Die Musikwissenschaftlerin Susanne Rode-Breymann hat sich dieser Aufgabe gestellt. Ihre pünktlich zum 50. Todestag Alma Mahler-Werfels erschienene Biographie zeigt diese „in vielfältigen Rollen und an vielfältigen Orten“. Gestützt wird das Ganze zu einem großen Teil durch den erst unlängst publizierten Schriftverkehr mit Alban und Helene Berg sowie mit Arnold Schönberg. „Diese beiden Briefwechsel“, so die Autorin, „führen mitten hinein in die Welt des geistigen Potentials von Alma Mahler-Werfel und ermöglichen, ihr Leben neu und ganz anders zu erzählen.“
Klimt, Zemlinsky, Mahler, Gropius, Kokoschka, Werfel – all diese heute so berühmten Namen stehen nicht nur enger in Beziehung zu Alma Mahler-Werfel, in erster Linie verweisen sie auf die Wiener Kultur der vorletzten Jahrhundertwende, die eine ihrer wesentlichen Prägungen durch das Lesen, Vertonen und Singen von Gedichten erhalten hat.
Die junge Alma, Tochter des 1892 verstorbenen Landschaftsmalers Emil Schindler, interessierte sich schon früh für Literatur und Musik. Die Villa von Carl Moll, den Almas Mutter 1897 in zweiter Ehe heiratete, bot der Heranwachsenden in dieser Hinsicht uneingeschränkte Möglichkeiten. Dieses Haus, in dem Wiens künstlerische Crème de la Crème verkehrte, „war kein Ort des Aufschnappens, sondern ein Ort langer Gespräche, ein Ort exzellenter kultureller Bildung durch Teilhabe“. Und so widerspricht Rode-Breymann denn auch der von anderen Biographen vertretenen Auffassung von der „flüchtig Lesenden“, die – nimmt man ihr ganzes Leben in den Blick – unbedingt zu revidieren ist: „Am Schluss ihres Lebens stand das Lesen: Alma Mahler-Werfel kehrte auf anrührende Weise zu ihrem geistigen Ausgangspunkt zurück: Ihre Weltaneignung war eine lesende gewesen“.
Doch zugleich war diese Art von Weltaneignung auch Teil ihres Musikverständnisses. Nur als Interpretin Beachtung zu finden, reichte ihr bei weitem nicht. Es ging ihr nicht allein darum, „professionell pianistisches Können abzurufen. Sie wollte sich selbst ausdrücken, (sich) erfinden in Musik, komponieren.“ Und sie komponierte. Das Handwerkszeug dazu vermittelte ihr Josef Labor, zu dessen Schülern unter anderem Arnold Schönberg und Paul Wittgenstein zählten, später übernahm Alexander Zemlinsky diese Aufgabe. Sein Unterricht, der nicht nur auf die Analyse der klassischen Meisterwerke ausgerichtet war, machte Alma vor allem klar, dass sich das Neue aus der Tradition herleitete.
Immer wieder spekuliert die Fachwelt darüber, welchen Einfluss die Bekanntschaft und spätere Ehe mit Gustav Mahler auf Almas Komponieren hatte. In ihren „Österreich intim“ betitelten Erinnerungen beschreibt Berta Zuckerkandl, die letzte große Wiener Salonnière, den Anfang der Beziehung wie folgt: „Gestern [am 23. Dezember 1901 – der Verfasser] hat sich Alma mit Mahler verlobt. Gleich nach dem Abend bei mir [am 7. November] hatte er Frau Moll, Almas Mutter, besucht, war von der Atmosphäre dieses Heims entzückt – taute auf, vergaß seine asketische Weltanschauung, wurde jung und töricht.“
Nur wenige Tage vor der Verlobung erhielt Alma einen Brief von Gustav Mahler, der immer wieder so ausgelegt wird, als wäre das der Grund für ihre versiegende kompositorische Produktivität gewesen. Dem hält Rode-Breymann entgegen: „Kaum hatte sie Gustav Mahler kennengelernt, verging ihr Lust und Liebe am Arbeiten.“ Wobei sie zu bedenken gibt, dass es auch vorher schon das Schwanken zwischen produktiven und „sterilen“ Phasen in Almas Leben gab. Und Rode-Breymann weiter: „Es heißt Gustav Mahlers Anteil überschätzen, wenn man ihn zum allein Verantwortlichen für diesen Verzicht auf weiteres Komponieren macht.“ Die Frage, ob die zehnjährige Ehe mit Mahler eine im Hinblick auf Almas Komponieren vollkommen tote Zeit war, muss somit neu gestellt werden.
Um die Rolle, die Alma für ihren Mann spielte, zu umreißen, wird noch einmal das Urteil bisheriger Interpretationen hinterfragt und schließlich festgestellt: „Dass sie geistig und musikalisch Qualitäten besaß, die sie befähigten, Mahlers Kreativität zu verstehen, zu begleiten, anzuregen, die sie zum inspirierenden Dialog mit ihm befähigten, gehört zu dem Teil der Ehe, der von den Biographen durch Nicht-wahrhaben-Wollen ignoriert, teils offen diffamiert wurde.“
Almas Leben war reich an Ereignissen und Begegnungen, die sie geprägt haben. Es waren aber vor allem ihr erster und ihr dritter Mann, die ihr Leben bestimmt haben: Mahler mit seinen Sinfonien und Liedern, für deren Aufführung sie ein halbes Jahrhundert lang wirkte, und Franz Werfel, mit dem sie ins Exil ging und für den sie alles tat, um seine Bücher einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Für Alma Mahler-Werfel war all das eine Selbstverständlichkeit. „Ich habe“, erklärte sie am Ende ihres Lebens, „sozusagen zwei Firmen zu verwalten, einen musikalischen und einen dichterischen Nachlass.“
Dank Susanne Rode-Breymann liegt jetzt nicht nur eine hervorragend recherchierte, leicht fassliche und mit Klischees aufräumende Darstellung von Alma Mahler-Werfels Leben und Zeit vor. Das Buch macht vor allem Lust, sich in einer ruhigen Minute mit den wenigen überlieferten Kompositionen von Alma Mahler-Werfel zu beschäftigen.
Susanne Rode-Breymann: Alma Mahler-Werfel. Muse – Gattin – Witwe, Verlag C. H. Beck, München 2014, 335 Seiten, 22,95 Euro.
Schlagwörter: Alma Mahler-Werfel, Gustav Mahler, Mathias Iven, Susanne Rode-Breymann